"Das Bewusstsein ändert sich"

Für wen ist das Thema Ladungssicherung relevant? Markus Otremba: Nach Paragraf 22 (StVO) muss die Ladung gegen Herabfallen, Lärmen sowie Hin- und Herrollen nach den anerkannten Regeln der Technik gesichert werden. Alle, die am Transportvorgang beteiligt sind, müssen somit ihr Übriges dafür tun, den Transport verkehrssicher und ordnungsgemäß durchzuführen. Das Thema Ladungssicherung betrifft also jeden von uns, die gewerbliche Branche genauso wie Privatpersonen. Welche Sanktionen drohen bei Nicht-Beachtung? Otremba: Jeder trägt in seinem Umfang die Verantwortung - rechtlich über die Straßenverkehrsordnung sowie -verkehrszulassungsverordnung und zivilrechtlich über das Handelsgesetzbuch. Aber jeder Fall geht vor Gericht anders aus und hängt letztlich schon von der Bewertung am Unfallort ab. Laut Verband der deutschen Versicherer brauchen die Gutachter eine hohe Sach- und Fachkompetenz, um einen Zusammenhang zwischen mangelnder Ladungssicherung und einem Verkehrsunfall zu erkennen. Die Dunkelziffer der Unfälle, bei denen eine falsche Sicherung für einen Unfall ursächlich war und nicht erkannt wurde, ist vermutlich höher als gedacht. Wie oft sollten Spediteure ihre Fahrer in korrekter Ladungssicherung unterweisen? Otremba: Die Notwendigkeit der Unterweisung ergibt sich aus einer Vielzahl von Vorschriften. Hierzu gehören u. a. das Arbeitsschutzgesetz, die Gefahrgutverordnung, die Gefahrstoffverordnung und die Berufsgenossenschaftliche Vorschrift BGV A1 "Grundsätze der Prävention". Sofern in diesen Vorschriften konkrete Fristen für die Unterweisung festgelegt sind, beziehen sich diese jeweils auf die Verpflichtung zur Unterweisung vor der ersten Aufnahme der Tätigkeit. Die Unterweisung ist mindestens jährlich zu wiederholen. Der VDI empfiehlt mindestens eine Schulung in einem Zeitraum von drei Jahren. Ich empfehle eine Schulung nach spätestens zwölf Monaten, weil sich schnell unbewusst Routinen einschleichen und Gefahren ausgeblendet werden. Es braucht die regelmäßige Sensibilisierung. Und wer haftet dann bei Unfällen aufgrund mangelnder Ladungssicherung? Otremba: Wenn der Spediteur gemäß Paragraf 31 (StVZO) das für den Transport geeignete Fahrzeug mit dem geeigneten Fahrer und dem geeigneten Equipment losgeschickt hat - sprich seine Hausaufgaben gemacht hat - und wenn der Fahrer unterwiesen wurde und die Schlüsselzahl 95 in seiner Fahrerlaubnis hat, hat der Besitzer des Lkw erst mal alles richtig gemacht. Dann bleibt die Frage: Welchen Fehler haben Verlader und Fahrer gemacht? Was zählt zum geeigneten Equipment? Otremba: Es gibt den zertifizierten Fahrzeugaufbau nach DIN EN 12642 (Code L/ XL), zudem Zurrmittel, die man in Kraftoder Formschluss einsetzen kann - die textilen Zurrfasern (DIN EN 12195-2) sowie die Zurrketten nach (DIN EN 12195-3), und außerdem stehen Hilfsmaßnahmen wie Sperrbalken, Klemmbretter oder - etwa im Autotransport - Radvorleger und -keile zur Verfügung. So weit die Hardware. Welche Kenntnisse braucht der Fahrer neben der richtigen Ausrüstung? Otremba: Fahrer müssen wissen, welche Kräfte im Fahrbetrieb maximal auftreten können - 80 Prozent in Fahrtrichtung, 50 Prozent zur Seite bei nicht kippgefährdeten Ladegütern und 50 Prozent nach hinten. Zudem müssen sie den Reibbeiwert kennen und zur Berechnung der Anzahl der Zurrmittel braucht man zudem bestimmte Eingangsgrößen, die der Verlader oder Absender zur Verfügung stellen muss - oft ein Knackpunkt: Fahrzeugabmessungen, Schwerpunktlage, Informationen zur Kippgefährdung des Ladeguts, Gewichte. Für die tatsächliche Berechnung stehen dann diverse Ladungssicherungs-Rechner oder Apps zur Verfügung. Wie unterstützt TÜV SÜD die Branche beim Thema Ladungssicherung? Otremba: In der TÜV SÜD Auto Service GmbH erstellen wir Gutachten für die verladende Industrie und untersuchen fahrdynamische Einflüsse, um den effizientesten Transport zu ermitteln. Zudem zertifizieren wir Fahrzeugaufbauten, damit sind wir das Bindeglied zwischen Spediteuren, Aufbauherstellern und Versendern. Wir helfen allen Beteiligten mit maßgeschneiderten Produkten - der verladenden Industrie mit Verladeanweisungen, den Fahrzeugbauern mit der Zertifizierung der Aufbauten sowie der Prüfung von Zurrpunkten und den Spediteuren mit Schulungen, Gutachten und Beratung bei der Fuhrparkbeschaffung. Welche Wissenslücken begegnen Ihnen bei Ihren Schulungen am häufigsten? Otremba: Viele Verlader sind sich ihrer Verantwortung beim Thema Ladungssicherung gar nicht bewusst. Fahrer geben sich oft der Illusion hin, dass ein Gegenstand, der so schwer ist, dass er sich händisch kaum bewegen lässt, auch bei der Fahrt von alleine stehen bleibt. Und bei Spediteuren stelle ich fest, dass sie sich oft gar nicht mit dem Thema auseinandergesetzt haben. So greifen sie häufig auf vermeintlich bewährte Fahrzeugkombinationen zurück - ohne zu hinterfragen, ob Handlungsbedarf besteht. Auch dass die Anforderungen an Transportthemen hinsichtlich Längen, Gewichten etc. steigen, wird häufig ausgeblendet. Welche Anfragen aus der Branche erreichen Sie zum Thema Ladungssicherung am häufigsten? Otremba: Es gibt zwei Kategorien - neben den Betroffenen, die sich aufgrund einer behördlichen Sanktion des Themas erstmals annehmen, gibt es diejenigen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, sich absichern und mit einer Vorbildfunktion im eigenen Unternehmen vorangehen wollen. Man merkt dabei, dass sich in der verladenden Industrie in den Unternehmen, in denen ein Generationswechsel stattfindet, das Bewusstsein dafür ändert. Inwiefern? Otremba: Die nächste Generation denkt um: Jüngere Führungskräfte fragen gezielt nach der Haftung, erkennen mögliche Probleme, wenn sie etwa die Unternehmenshaftung übertragen bekommen haben. Im Gegensatz zur älteren Generation - "Wir machen das Geschäft seit vielen Jahren, das Thema Ladungssicherung hat nie jemanden interessiert" - wollen die Jüngeren das Thema oft vorbildlich lösen, um sicher zu sein. Zur Person: Markus Otremba Diplom-Ingenieur Markus Otremba arbeitet seit 2006 bei TÜV SÜD und leitet bei der TÜV SÜD Auto Service GmbH innerhalb der TÜV SÜD Division Mobility die Fachgruppe Ladungssicherung. Der gelernte Karosserieund Fahrzeugbauer ist international personenzertifizierter Sachverständiger auf dem Gebiet der Transport- und Ladungssicherung sowie amtlich anerkannter Sachverständiger für den Kfz-Verkehr. Bei TÜV SÜD betreut Otremba vollumfänglich das Thema Ladungssicherung - von fahrdynamischen Untersuchungen über Verladeanweisungen bis hin zu Schulungen. TÜV SÜD Ansprechpartner Markus OtrembaLeiter Fachgruppe Ladungssicherung TÜV SÜD Auto Service GmbHTel.: +49 94 21 99 64-24E-Mail: markus.otremba@tuev-sued.de

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