Darf Lidl das?

Hiermit möchten wir Sie informieren, dass Lidl Deutschland ein Paket bestehend aus verschiedenen Sonderservices über Mercareon an den Pilotlagerstandorten (Großbeeren, Kremmen, Freienbrink, Siek, Rostock und Hamburg) anbieten wird." Mit diesen Worten beginnt ein Schreiben, das am 13. August 2018 versandt wurde. Absender war Mercareon, Anbieter IT-gestützter Zeitfenstermanagement-Systeme, im Auftrag des Discounters Lidl. Das Schreiben liegt der VerkehrsRundschau vor. Der Ton ist höflich. Doch der Inhalt sorgt für mächtig Wirbel in der Transport- und Logistikbranche. Lidls Angebot sorgt für Empörung Dabei sichert Lidl Deutschland Transporteur- und Speditionsdienstleistern in dem Schreiben das zu, was viele von ihnen seit vielen Jahren an der Handelsrampe fordern: "eine flexiblere Möglichkeit zur Anlieferung an den Pilotlagerstandorten, um so den Unternehmen eine möglichst optimale Auslastung der Schichtzeit ihres Fahrpersonals zu ermöglichen". So bietet Lidl Transport- und Speditionsfirmen, die ihre Lkw an Lidl-Rampen schnell entladen haben wollen, künftig zwei Optionen an. Angebot eins ist die sogenannte Expressrampe mit Entladung der Ware durch Lidl. Hier sichert der Discounter eine Abwicklung innerhalb von 90 Minuten zu. Kosten: 40 Euro pro Lkw. Die Buchung sei über die Mercareon-Plattform bis fünf Uhr morgens am Anliefertag möglich. Angebot zwei ist eine Entladung außerhalb der Wareneingangszeiten. Dieses Angebot, so Lidl, richte sich an Unternehmen, deren Lkw zum Beispiel aufgrund von Staus nicht mehr pünktlich zur Rampe kommen. Wer - ebenfalls bis fünf Uhr am Anliefertag - diesen Service buche, könne sich aber künftig ein späteres Zeitfenster außerhalb der regulären Wareneingangszeit buchen, damit der entsprechende Lkw nicht bis zum nächsten Morgen warten müsse. Kostenpunkt hier: 100 Euro pro Lkw. Lidl zufolge liegt der Zeitraum 12 bis 18 Uhr außerhalb der regulären Wareneingangszeit. Karlhubert Dischinger, eigentlich ein Mann der leisen Töne, ist empört. "Es ist ja prinzipiell begrüßenswert, dass sich das Unternehmen Lidl des Themas Wartezeiten an den Rampen annimmt und dafür nach Lösungen sucht", sagt der Präsident des Verbands Baden-Württembergischer Spediteure (VSL). "Es ist aber scheinheilig, wenn Lidl den Transport- und Speditionsdienstleistern nun sagt, dass man die Betriebe mit der neuen Rampenlösung unterstützen will." Zumal Lidl als Empfängerunternehmen für die Entladung der Lkw sorgen müsse. "Stattdessen wird das Ganze aber letztlich auf dem Rücken der Schwächeren erfolgen", moniert er, "die Lkw-Fahrer werden seit Jahren schon im Handel als Abladehilfe beansprucht - und das in Zeiten des Fahrermangels." Optimierung zulasten der Frachtführer? Und mit seiner Meinung ist Dischinger nicht allein. Auch andernorts rührt sich kräftig Widerstand: "Ich frage mich, warum die schnelle Entladung, die das Handelsunternehmen nun zusichert, nicht schon früher möglich gewesen ist", kritisiert Anthony Wandt, Geschäftsführer der Wandt Spedition Transportberatung in Braunschweig, "Die Wartezeiten unserer Lkw sind für unsere Unternehmen unproduktive Zeiten. Darauf hat unser Transportgewerbe immer wieder die Handelsunternehmen hingewiesen, auch Lidl", führt er aus. Doch Lidl habe in der Vergangenheit durch die Einführung elektronischer Zeitfenstersysteme seine eigenen Rampenprozesse verbessert, aber zulasten der Frachtführer. "Wir alle haben dadurch noch mehr Unproduktivität in unseren Abläufen. Und nun sollen wir Lidl extra dafür bezahlen, dass wir eben diese Unproduktivität behoben haben wollen?" Dafür hat Wandt "null Verständnis". Den Spediteur erbost besonders, dass Lidl in dem Schreiben explizit darauf verweist, dass die Entladung durch Lidl-eigene Mitarbeiter erfolgen wird. "Für mich heißt das, dass Lidl offenbar bislang stillschweigend davon ausgegangen ist, dass die Lkw-Fahrer der Frachtführer die Entladung übernehmen." Fakt sei aber, argumentiert Wandt, dass die Frachtführer in keinem Vertragsverhältnis mit dem Handelsunternehmen stehen. Ihre Auftraggeber sind die Warenversender - zumindest bei Frei-Haus-Sendungen sei dies so. Wer welche Rechte und Pflichten hat Aber wie bewerten Juristen das Vorgehen von Lidl und was raten sie den Frachtführern? Um es gleich vorweg zu nehmen: "Es gibt hier keine Schwarz-Weiß-Antwort", formuliert es Stephan Rieß, Jurist und Leiter Verkehrshaftung bei Versicherungsmakler Schunck. Die alles entscheidende Frage bei alledem sei , führt er aus, wer überhaupt mit dem Frachtführer den Beförderungsvertrag geschlossen hat: Ist es Lidl als Warenempfänger oder ist es der Warenversender? "Denn davon hängt ab", erklärt der Jurist, "wer in der Lieferkette welche Rechte und Pflichten hat." In Beispiel eins schließt Lidl als Warenempfänger direkt den Beförderungsvertrag mit dem Frachtführer. In diesem Fall ist es laut Rieß Verhandlungssache zwischen diesen beiden Parteien, zu welchem Preis und welchen Konditionen der Frachtführer die Waren zu Lidl verbringt. Wenn Lidl also, wie nun angekündigt, eine schnellere Entladung an den Rampen seiner Logistikcenter gegen Entgelt bietet, laufe dies auf eine Frachtpreiskürzung für den Frachtführer hinaus, sagt Rieß. Ob dieser dann für Lidl fahren wolle, müsse er selbst entscheiden - Stichwort "Angebots-Abgabe und -Annahme". In Beispiel zwei ist laut dem Juristen die Rechtslage dagegen eindeutig: Besteht ausschließlich ein Vertragsverhältnis zwischen dem Warenversender (Absender) und dem Frachtführer - ist Lidl selbst nur Empfänger. Haben der Auftraggeber und der Frachtführer also nichts anderes vereinbart, ist der Auftraggeber laut Paragraf 412 Absatz 1 HGB auch zur Entladung verpflichtet. Da er aber naturgemäß die Waren an der Lidl-Rampe nicht selbst entladen kann, ist Lidl Erfüllungsgehilfe des Warenversenders und muss für die Entladung sorgen. Sollte dieses nicht in einer angemessenen Wartezeit passieren, steht laut Paragraf 412 Absatz 3 HGB dem Frachtführer Standgeld zu. Ferner könne man die Optionen von Lidl de facto als Ablieferungshindernis werten, führt der Jurist aus. In diesem Fall müsse der Frachtführer den Versender kontaktieren und von diesem Weisung einholen, ob er die Wartezeiten akzeptiert oder aber die 40 Euro Zuschlag für die Expressrampe bezahlen soll. "Das Problem ist: Die Ansprüche nach dem HGB sind dispositiv, das heißt, durch Vertragsverhandlung individuell abdingbar. Und das macht das Ganze schwierig", weiß Rieß, "vor allem angesichts der Marktmacht von Lidl." Klein beigeben muss aber nicht sein. Denn Frachtführer haben zwei Druckmittel: Das Pfandrecht und das Zurückbehaltungsrecht des Frachtführers gegenüber dem Empfänger. Darauf verweist Professor Thomas Wieske, Professor für Logistikrecht und Riskmanagement der Hochschule Bremerhaven (siehe Kasten rechts). So sieht das Gesetz in Paragraf 421 HGB ausdrücklich vor, dass der Empfänger die Auslieferung der Güter vom Frachtführer nur verlangen kann gegen Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Frachtvertrag. Dazu gehören gemäß Absatz 3 ausdrücklich auch Ansprüche auf Standgeld. Diese Ansprüche des Frachtführers sind durch das gesetzliche Pfandrecht des Frachtführers gemäß Paragraf 440 HGB sogar gesichert, betont Wieske: "Ist also ein Frachtführer des langen Wartens überdrüssig, kann er dem Empfänger nach mehr als zwei Stunden Wartezeit mitteilen, oder auch eher, - wenn die anderen Frachtführer alle offensichtlich schneller entladen werden -, dass er ihm die Ware nicht mehr ohne Zahlung eines Standgeldes ausliefern wird", erklärt der Jurist. Wenn der Empfänger dann das Standgeld zahle, habe der Frachtführer die Ware auch bereitzustellen. Zahle der Empfänger aber nicht, sollte der Frachtführer vom Absender die Zusage einfordern, das zusätzliche Standgeld wegen der Wartezeit zu übernehmen, rät Wieske. Sagt jedoch der Absender dies nicht vor Ablieferung der Ware dem Frachtführer zu, sollte der Frachtführer vor Auslieferung der Ware sein Pfandrecht dem Empfänger gegenüber geltend machen. Ebendiese Geltendmachung des Frachtführer-Pfandrechts gegenüber dem Empfänger sei auch so im Gesetz vorgesehen, führt der Jurist aus. Denn der Gesetzgeber gehe davon aus, dass der Empfänger ein großes Interesse an der Herausgabe des Gutes hat. Und was sagt Lidl zu alledem? Vorerst nichts - zumindest die Logistikverantwortlichen schweigen sich aus. Nur so viel lässt der Discounter über eine Unternehmenssprecherin verlauten: Frachtführer seien nicht verpflichtet, diese Sonderservices zu nutzen. Transportbetriebe, die diese freiwilligen Sonderservices nicht in Anspruch nehmen wollen, könnten also weiterhin wie gewohnt anliefern. Erfahrungen aus der Vergangenheit hätten aber gezeigt, "dass ein Bedarf und auch der Wunsch am Markt bestehe, solche freiwilligen Sonderservices anzubieten". Alles in allem befinde sich Lidl aber noch in der Pilotphase des Tests und sei daran interessiert, welche konkreten Angebote dem Transportmarkt eine effiziente Unterstützung bieten. Gerne nehme man hier Vorschläge auf." Mehr zum Thema im Dossier Handelslogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers