Bremen. Die Bundesvereinigung Logistik hat in einem Hintergrundpapier Informationen und Einschätzungen zur Leistungsfähigkeit der Logistik in der Corona-Krise zusammengestellt. Sie beleuchtet darin in 12 Punkten die erschwerten organisatorischen Bedingungen, die Situation der Mitarbeiter und die speziellen Kostentreiber.
1. Fehlende Mengen im europäischen Landverkehr
Wegen der derzeit deutlich geringeren Produktion, werde auch entsprechend weniger transportiert, informiert die BVL. Das Stückgutgeschäft im Europäischen Landverkehr sei allerdings ein durch Fixkosten getriebenes Geschäft. Die Hauptläufe zwischen den regionalen Umschlagbetrieben und den europäischen Destinationen müssen weiter aufrecht erhalten bleiben, ansonsten würden sich die Laufzeiten extrem verlängern, fordert die Bundesvereinigung. Weil der Fixkostenanteil pro Sendung nun steige, werde Stückgut, nicht nur in Europa, sondern auch national in Deutschland künftig teurer. Nach der Krise wird sich ein neues Gleichgewicht bilden, lautet die Prognose der Vereinigung.
2. Weniger Warenströme in Spezialnetzen
Neben den Stückgutnetzen gibt es Spezialnetze, beispielsweise für empfindliche Waren, Pharmazeutika und IT-Geräte. Um sich vor Corona-Viren zu schützen, hätten die meisten Verwaltungen ihre Eingänge für Fremdpersonal aktuell gesperrt. Der Einkäufer, dem das bekannt sei, bestellt nicht, analysiert die BVL. Die anderen Besteller, die weiterhin ordern, würden Anlieferungen verursachen, die durch Probleme in der Zustellung deutlich mehr Zeit bräuchten. „Für Spezialnetze gilt also: weniger Volumen, trotzdem eine fixe Anzahl von Hauptläufen und problematischere Ablieferungen, somit wird die Logistikleistung teurer“, schreibt die Bundesvereinigung.
3. Bedeutung der Paketdienste
Die BVL hebt die Bedeutung der Paketdienstleister hervor, deren Zustellung von lebenswichtigen Medikamenten und Lebensmitteln derzeit sehr wichtig sei und die Versorgung materieller Grundversorgungsbedürfnisse sicherstelle. In Deutschland habe sich ein ausdifferenzierter Markt von Paketdienstleistern entwickelt, der seine Leistungsfähigkeit aus dem Wettbewerb der Unternehmen gewinne. Daher sollten diese Unternehmen alle gleichermaßen unterstützt werden, um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, verlangt die Bundesvereinigung.
4. Schienenverkehr
Auch die Schiene sei entscheidend, um logistische Abläufe sicherzustellen und die Systeme am Laufen zu halten. Zurzeit würden Schienentransporte grenzüberschreitend weitgehend ohne Beeinträchtigungen funktionieren. Der akute, situationsbedingte Mangel an Lkw-Fahrern in Europa, Probleme für Lkw an den Grenzen sowie die hohe Sicherheit von Bahntransporten fördern laut BVL die Nachfrage nach Kapazitäten im kombinierten Verkehr.
Die derzeitigen Herausforderungen würden mit Notfallplänen gut gemeistert werden. Dazu gehöre etwa die Sicherstellung von Unterkünften für Lokführer in Zeiten geschlossener Hotels sowie Fahrten zu Einsatzorten bei ausgedünnten Fahrplänen im Personenverkehr.
Doch weiter schreibt die BVL, dass auch auf der Schiene Verkehre wegbrechen würden - etwa durch die europaweiten Werksschließungen der Automobilindustrie sowie weitere umfangreiche Produktionsstopps diese Woche in Italien.
Die Hälfte der Schienengüterverkehrsleistungen werde in Deutschland von einer Vielzahl mittelständischer Unternehmen erbracht. Bei geringen Margen seien die Unternehmen im Schienentransport daher auf eine sehr hohe Auslastung der Systeme angewiesen, da umfangreiche Infrastruktur und Anlagen vorgehalten werden müssen. Nicht nur die Basis für zwingend notwendige Investitionen, wie für die Digitalisierung des Systems Bahn, sei bedroht. Die Lage könne sich für viele Firmen existenzgefährdend entwickeln, warnt die BVL eindringlich.
Die Reduzierung der Infrastrukturnutzungs-Entgelte, dazu zählen Kosten für Trassen und notwendige Abstellungen von Lokomotiven oder Wagenparks, sowie der Entfall der EEG-Umlage würden unmittelbar zu einer spürbaren Entlastung der Unternehmen führen. Besonders im Blick haben, solle die Politik die Funktionsfähigkeit der Terminals in Europa. Hier sei unter Beteiligung der Branche und in Koordination mit anderen europäischen Infrastrukturbetreibern zu entscheiden, welche Standorte systemrelevant sind.
5. Fehlende Mehrwegbehältnisse
Im Überseeverkehr fehlen Container im Wirtschaftskreislauf, informiert die BVL. Da die Corona-Krise mit dem Jahreswechsel 2020 in China begann – seien die Asiaten Europa also drei Monate „voraus“. In diesen drei Monaten wurde Ware in Containern aus Europa und den USA nach China geschickt. Doch China produzierte viel weniger, folglich lägen in China nun 6 Millionen TEU (Standard-Container) Leer-Containerkapazität. Die würden nun hier in Europa bzw. im westlichen Handelsraum fehlen. Das Wiederherstellen eines ausgeglichenen Verhältnisse werde Milliarden kosten, so die Befürchtung der Bundesvereinigung Logistik.
6. Fehlende Luftfrachtkapazität
Luftfracht sei für den Transport hochwertiger und zeitkritischer Güter im Überseehandel unverzichtbar, so die BVL. Auf diesen Handelsrouten werde die Hälfte der weltweiten Luftfracht als Belly-Freight (Gepäckraum-Fracht) in Passagiermaschinen befördert, informiert die Bundesvereinigung. Da aktuell viele Passagierflüge gestrichen werden, fehle diese Kapazität nun, weshalb separate Transportmaschinen eingesetzt werden müssten.
Zum Ausgleich der fehlenden Gepäckraum-Kapazitäten könnten notfalls – zu dann für die Frachtfluggesellschaft nochmals höheren Kosten – auch Passagierflugzeuge für den reinen Frachttransport eingesetzt werden. Die Luftfahrtgesellschaften würden bereits an entsprechenden Modellen arbeiten, so die BVL. Zudem könnten einzelne Länder derzeit nur ohne einen Layover der Crew angebunden werden, weshalb ein größerer Crew-Einsatz für diese Flüge erforderlich sei. Folglich werde Luftfracht deutlich teurer. Luftfracht brauche außerdem die lokale Vernetzung mit der europäischen Fläche über Landverkehre und sei damit auch von Einschränkungen (etwa zusätzliche Grenzkontrollen, Mitarbeitermangel, Unternehmensliquidität) im Landverkehr unmittelbar betroffen.
7. Hafenwirtschaft
Weil Terminals und Anlagen im Hafen systemrelevant sind, müssen sie ständig erreichbar und funktional sein, so die BVL.
Das gelte auch bei geringeren Mengen sowie angesichts aller gesetzlichen Regelungen und ihrer Konsequenzen, wie zum Beispiel zusätzlich notweniger Kinderbetreuung. In den nächsten Wochen seien eher halbleere bis leere Schiffe im Hafen zu erwarten. Das verursache Ungleichgewichte im „Equipment Flow“ und somit Mehrkosten.
Im Automobilumschlag werde sich zudem demnächst die Schließung von Automobilwerken bemerkbar machen. Außerdem entstünden freie Kapazitäten im Intermodalbereich, sogenannte „herumstehende Kapazität“. Darunter würden die kleinen und mittelständischen und insbesondere die selbstfahrenden Unternehmen leiden, warnt die BVL.
8. Kontraktlogistik
Die Kontraktlogistik habe ebenfalls mit großen Herausforderungen zu kämpfen, schreibt die Vereinigung.
Während etwa der Online-Handel hohe Mengenzuwächse zu verzeichnen habe, würden andere Kunden die Produktion komplett einstellen. Für die ausführenden Kontraktlogistik-Dienstleister bedeute dies erhöhte Auslastung an manchen Standorten, drastische Rückgänge an anderen. Extrem anspruchsvoll gestalte sich auch die Pharmalogistik. Hier versuchen Logistikdienstleister sicherzustellen, dass die Fahrer lebenswichtige Medizinprodukte auch tatsächlich ausliefern können. „Dazu werden beispielsweise Schreiben mitgegeben, welche die kontrollierenden Behörden über Fracht und Relevanz der Sendung aufklären sollen. Apotheken bevorraten sich, auch mit Impfstoffen und Medikamenten, die nicht mit dem Corona-Virus in Verbindung stehen, etwa Impfstoffen gegen Masern oder Mumps“, informiert die BVL.
Wie die produzierenden Unternehmen auch, sind die Kontraktlogistiker oft grenzüberschreitend organisiert. Hierbei sei es hinderlich und erzeuge erhöhten Organisationsaufwand, dass Bundesländer und europäische Länder unterschiedliche Definitionen der Krisengebiete und der entsprechenden Maßnahmen vornehmen. Als Beispiel nennt die Vereinigung, Tschechien. In dem Land sei nun das Tragen von Atemmasken Pflicht. Hier müssten Logistikdienstleister schnell und pragmatisch reagieren. Das Unternehmen Loxxess etwa lasse Masken von eigenen Mitarbeiterinnen in Heimarbeit nähen.
9. Mitarbeiter-Engpässe durch Corona-Vorsorge
Viele Mitarbeiter in den Bereichen Kontraktlogistik und Lagerlogistik hätten ihren ersten Wohnsitz in östlich gelegenen Nachbarländern Deutschlands, so die BVL. Weil die Grenzen nun geschlossen sind, weil diese Mitarbeiter befürchten, sich in Gemeinschaftsunterkünften anzustecken oder auch nur wegen der allgemein unsicheren Situation, blieben viele von ihnen zu Hause. Die Logistikdienstleister müssten in den Lägern und Warenumschlagzentren ihre Leistung erbringen, teilweise sogar eine drastisch gesteigerte Nachfrage nach Konsumgütern bewältigen – und das dann mit ungeübten oder ungelernten Mitarbeitern, schreibt die Vereinigung. Viele Krankmeldungen aus Nachbarländern bedürften aufwändiger Nacharbeiten in der Verwaltung. Die Effizienz sinke im operativen und im administrativen Bereich, die Personalkosten steigen – dies führe zu einer teureren Leistung.
10. Zusatzkosten durch Kinderbetreuung
Für die Mitarbeiter aus Verwaltungen und Administrationen, die im Homeoffice arbeiten, sei die Kinderbetreuung relativ einfach, nicht aber für diejenigen, die als Logistiker, Gabelstapler fahren oder den Lkw beladen. Mitarbeiter aus der Logistik kämen jedoch nicht in den Genuss einer „Notbetreuung“ in Schulen und Kindertagesstätten, bemängelt die BVL. Es müssten daher Ersatzarbeitskräfte bereitgestellt werden, wodurch die Effizienz der Prozesse sinke. Die Folge sei, dass sich die Logistik in Industrie, Handel und Dienstleistung verteuere.
11. Kleine und mittelständische Unternehmen im Transportgewerbe
Die BVL fordert weiter, Kredit-Anträge zu vereinfachen sowie schnell und unkompliziert zu bearbeiten. Viele der kleinen und mittelständischen Transportunternehmer hätten noch nie mit einer Bank über einen Kredit verhandelt, da Lkw werden in der Regel geleast würden und der Rest mit vorhandenem Kapital bezahlt. Mit den Formalitäten und der Bürokratie, die beispielsweise mit einem Antrag auf liquiditätssichernde Mittel bei der KfW verbunden sind, seien die Unternehmer dementsprechend oft überfordert.
12. Statements aus dem Lebensmittelhandel
Auch im Lebensmittelhandel würden Mitarbeiter aus Osteuropa fehlen, schreibt die BVL. Es bietet sich daher an, jetzt mit Logistikdienstleistern zu arbeiten, die zurzeit in anderen Branchen unterausgelastet sind. Darüber hinaus könne man eigene Mitarbeiter aus weniger ausgelasteten Bereichen wie Gastro- und Großverbraucher einsetzen, die aktuell weniger beschäftigt sind. Allerdings warnt die Bundesvereinigung: „Die Effizienz sinkt trotzdem“.
Der Lebensmittelhandel sehe nicht nur den Staat in der Pflicht, der aktuell im Gesundheitswesen schon extrem belastet ist: Unternehmer müssten zwar ihre aktuellen Risiken melden, sollten aber auch eigenständig pragmatische Maßnahmen zur Schadenslinderung einleiten – wie den Abverkauf jetzt nicht benötigter Warenbestände oder das schnelle Verschieben von Personal.
Über diese Punkte hinaus informierte die BVL, dass Entscheider aus großen Logistik-Dienstleistungsunternehmen, Verbandsvertreter und dem Bundesverkehrsministerium folgende Themen für die Umsetzung als vorrangig identifiziert haben:
- Sicherung von Post- und Paketstationen: entsprechende Geschäfte offenhalten
- Grenzen sollen für den Güterverkehr geöffnet bleiben, Grenzkontrollen behindern den Güterverkehr als Nebeneffekt
- Beweisdokumentation des Reisezwecks für den grenzüberschreitenden Güterverkehr
- flexibler Einsatz von Arbeitskräften
- Sicherung der Liquidität, zum Beispiel durch Kurzarbeit
(sn)