CO2-Ausstoß in der Logistik

CO2-Ausstoß in der Logistik Ein komplizierter Fußabdruck Wie wird der CO2-Ausstoß in der Logistik korrekt erfasst? Bleibt die Berechnung auf den Transport beschränkt? Antworten auf diese und weitere Fragen lieferte die fünfte CO2-Konferenz der VerkehrsRundschau. CO2lässt sich ja nicht so richtig fassen: Es ist gasförmig und damit unsichtbar. Und doch unheimlich schwer, wenn man sich mal vergegenwärtigt, wie viel CO2ein beladener 40-Tonner auf der Fahrt von München nach Hamburg ausstößt: nämlich über 500 Kilo, nicht Gramm. Ähnlich verhält es sich derzeit mit der CO2-Diskussion im Güterverkehr: Sie schlägt in alle Richtungen aus und ist ebenfalls nicht so richtig zu fassen. Deshalb entsteht auch der Eindruck, dass der Hype um die CO2-Erfassung im Transport schon mal größer war. Aber hinter den Kulissen wabern die CO2-Debatten nach wie vor durch die Büros der Einkäufer und Spediteure, der Reeder und Bahnen, der Wissenschaft und Politik. Völlig offen ist dabei, ob die Erfassung von CO2-Ausstoß irgendwann zur Selbstverständlichkeit wird. Maßgeblichen Einfluss auf diese Entwicklung nimmt die verladende Wirtschaft. Entscheidet sich die Mehrheit für die Erfassung des CO2-Ausstoßes in der Logistik, müssen die nachgeordneten Glieder in der Kette – vom Spediteur über die verschiedenen Verkehrsträger bis zum Subunternehmer – sich mit diesem Thema befassen. Wie eine solche Kettenreaktion aussehen kann, zeigt das Beispiel des Pharmakonzerns F. Hoffmann-La Roche. Angefangen hat es damit, dass das weltweit tätige Unternehmen konzernweit das Ziel ausgerufen hatte, zwischen 2010 und 2020 den Energieverbrauch um 20 Prozent zu senken. Als Folge sollte auch der CO2-Ausstoß in der Logistik berechnet werden. „Zunächst haben wir versucht, uns die Daten von den Dienstleistern geben zu lassen. Dann haben wir gemerkt, dass die Qualität dieser Informationen sehr unterschiedlich ist“, sagte Donato Morlino, Global Logistics Expert bei Hoffmann-La Roche auf der fünften CO2-Fachkon ferenz der VerkehrsRundschau. Hinzu kam, dass das Unternehmen bereits bei der Ausschreibung den Energieverbrauch von Routen und Lägern abfragen wollte. „Uns war klar: Um konzernweit über einheitliche Daten zu verfügen, müssen wir bei der Ermittlung des CO2-Ausstoßes wegkommen von den unterschiedlich ermittelten Angaben der Dienstleister und selbst die Daten berechnen“, sagte Axel Martinez, zuständig für International Forwarding Management bei F. Hoffmann-La Roche AG. Das Unternehmen setzt dazu das Tool LogEC (Logistics Emissions Calculator) ein. Von den Dienstleistern werden dazu Informationen darüber eingefordert, welchen Weg eine Sendung üblicherweise nimmt. Mit Dienstleistern nach Lösungen suchen Neben der Erstellung von CO2-Bilanzen geht es dem Konzern jedoch vor allem darum, die Emissionen zu senken. Gemeinsam mit den Logistikdienstleistern wird daher nach Lösungen gesucht, wie beispielsweise bei einigen nicht so eiligen Produkten Transporte vom Flugzeug auf das Seeschiff verlagert werden können. Im Geschäftszweig Diagnostik ist laut Martinez der Verkehrsträgermix zwischen Straße, Luft- und Seefracht jeweils ein Drittel. Zumindest die nackten Zahlen lassen vermuten, dass hier ein Potenzial schlummert. „Wir werden mittlerweile auch von unseren Einkäufern nach dem CO2-Faktor gefragt“, sagt Morlino. Das sei vor zwei Jahren noch nicht der Fall gewesen. „Da Sie den CO2-Ausstoß selber berechnen, ist Ihr Unternehmen anderen Versendern schon einen Schritt voraus“, zollte Patric Pütz den beiden Referenten Lob. Pütz muss es wissen, denn als Senior Expert Shared Value & Go Green bei der Deutschen Post DHL hat er mit vielen Verladern zu tun, die sich ebenfalls mit der Erfassung des CO2im Transport beschäftigen. In der korrekten Ermittlung der Daten sieht Pütz die große Herausforderung. Die Einigung auf die Norm DIN EN 16258 bezeichnete er als „einen guten Anfang, um den Kreis der zum Teil wilden Berechnungsmethoden einzuschränken.“ Hingegen kritisierte er den Alleingang der Franzosen: „Wo würden wir hinkommen, wenn jeder sich so etwas ausdenken würde“, sagte Pütz in Anspielung auf das Dekret 2011/1336, das seit dem 1. Oktober 2013 gilt. Seitdem müssen Dienstleister, die in Frankreich aktiv sind, die CO2-Emissionen ihrer Transporte ausweisen. Nicht die Pflicht ist es, die Pütz stört, sondern die Berechnungsmethodik, die von der europäischen Norm abweicht. Wenn jedes Land seine eigene Berechnungsmethodik aufstelle, sei es für die Dienstleister und Verlader unmöglich, die korrekten CO2-Werte zu ermitteln. Die Post selbst hat das Problem „Frankreich“ jetzt mittels einer Website auf ihrer Homepage gelöst. Dort können die Kunden sendungsbezogen die CO2-Daten abfragen. Auf der Website befindet sich ein Button, mit dem man die Emissionen und die Berechnungsmethoden nach der DIN-Norm sowie nach dem Dekret abrufen kann. Doch legt man den Gesetzestext der Franzosen streng aus, müssten die CO2-Werte eigentlich Bestandteil der Rechnung sein. „Über unser Kundenportal kann der Kunde sich die Werte bezogen auf die einzelne Sendung herunterladen. Wir haben bislang noch nicht gehört, dass dies nicht ausreichend ist“, sagte Pütz. Kontrovers diskutiert wird auch die Berechnung der CO2-Emissionen bei den anderen Verkehrsträgern. Als relativ gut werden die Daten für die Seeverkehrswirtschaft eingestuft. Der Branche ist es gelungen, dass weltweit die wichtigsten Reeder, Seefrachtspediteure und Verlader in der Clean Cargo Working Group (CCWG) gemeinsam an einer Lösung arbeiten. Die CCWG hat sich auf die Angabe des CO2-Ausstoßes bezogen auf Dry- und Reefercontainer in TEU-Kilometer (TEU = 20 Fuß-Standardcontainer) geeinigt, aufgeteilt nach den jeweiligen Fahrtgebieten. Ein Manko haben die Zahlen allerdings: Es wird eine 100-prozentige Auslastung unterstellt. „Wir werden uns in den nächsten Sitzungen mit diesem Thema befassen“, sagte Erika Sagert, Manager of Sustainability Management bei Hapag Lloyd, Mitglied in der Arbeitsgruppe. „Wir werden in diesem Jahr weitere Tests machen, um einen zuverlässigen Auslastungsfaktor zu berechnen“, kündigte sie an. Für Verlader, die jetzt schon die Auslastung berücksichtigen wollen, empfahl sie vorerst einen allgemeinen Faktor von 70 Prozent anzusetzen. Martin Schmied, Bereichsleiter Infras Forschung und Beratung, regte an, keinen Pauschalwert zu verwenden, sondern je nach Fahrtroute einen Auslastungsfaktor zu bestimmen. „Das sind aber sensible Daten, die nicht jeder Reeder gerne preisgibt,“ entgegnete Sagert. Sonderweg bei der Luftfracht Schwieriger gestaltet sich hingegen die Berechnung des CO2-Ausstoßes in der Luftfracht. Das liegt auch daran, dass die Güter häufig als sogenannte Belly-Fracht den Passagierflugzeugen zugeladen werden. Nach welchen Kriterien der CO2-Ausstoß nun der Passage und der Fracht zugerechnet wird, ist umstritten. Bettina Jansen, Head of Environmental Management bei Lufthansa Cargo, zählte sieben verschiedene Initiativen auf, die an der Standardisierung zur Berechnung von transportbedingten CO2-Emissionen arbeiten. Auch die IATA, der Weltverband der Airlines, hat eine Working Group ins Leben gerufen, die mittlerweile eine Version zur Erfassung von CO2in der Luftfracht verabschiedet hat. Die muss allerdings noch verschiedene Gremien durchlaufen. Für das erste Halbjahr 2014 soll das Ergebnis vorliegen. Durchgesickert ist bereits, dass die IATA-Methodik von den Vorgaben der DIN-Norm abweicht und es zwei verschiedene Werte geben soll für Belly-Luftfracht und den Transport in Cargo-Maschinen. Beides wurde auf der Konferenz von Teilnehmern kritisiert. Bereits die Berechnung des Fußabdrucks im Transport wirbelt also mächtig Staub auf. Doch ist dies nur die Spitze des Eisbergs. Zumindest hat man diesen Eindruck, wenn man Marc Schneider zuhört, dem Abteilungsleiter Umwelt- und Ressourcenlogistik beim Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML). Er kritisierte, dass es je nach Berechnungsmethode Abweichungen bei den CO2-Werten von bis zu 60 Prozent gebe. Daher hat sich das Forschungsvorhaben am IML, an dem auch zahlreiche Speditionen als Partner beteiligt sind, zum Ziel gesetzt, ein Logistik-Dienstleister-Zertifikat zu entwickeln. Wie dies aussehen soll, dazu hüllte sich Schneider in Schweigen und vertröstet die Zuhörer auf das Jahr 2015. Aber das ist nicht alles: Schneider schlug vor, auch den Lebenszyklus der Transportmittel bei der CO2-Emissionsberechnung einzufügen. Und weitere Prozesse seien zu berücksichtigen wie die Herstellung der Logistikinfrastruktur, der Umschlag, die Verwaltung oder für die Logistikimmobilie. „Wir arbeiten an der Entwicklung entsprechender Standards und hoffen, diese 2015 vorstellen zu können“, so Schneider. Praktiker plädieren für Einfachheit Schmied hingegen empfahl, die Emissionsberechnung in der Logistik nicht zu übertreiben. Man solle zunächst mal die vorhandenen Regelungen weiter verfeinern. Einzig die Entwicklung neuer oder die Weiterentwicklung alter Methoden zur Berechnung von CO2-Emissionen für die Logistikimmobilie hält er für sinnvoll. Eine Ansicht, die die Praktiker teilen. So gibt es beispielsweise in der Stückgutkooperation Cargoline nicht nur die Bereitschaft, die CO2-Emissionen zu erfassen. Seit 2012 macht dies der Speditionsverbund bereits und bietet einen CO2-Sendungsrechner an. „Wenn aber jetzt jeder Verlader uns seine eigene Berechnungsmethodik vorschreiben will, dann haben wir ein Problem“, sagt Struck. Deshalb plädiert auch er für einheitliche Standards. Gunnar Gburek, Bereichsleiter Logistik im Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME), hält die sehr ins Detail gehenden Berechnungsmethoden ebenfalls „für viel zu komplex“ und ergänzte: „Ich glaube auch nicht, dass die verladende Wirtschaft dies in dieser Detailgenauigkeit einfordern wird.“ Gburek warnte davor, den CO2-Ausstoß als Kriterium in Preisgespräche mit einzubeziehen. „Das werden auch die Dienstleister nicht wollen. Alleine schon deshalb, um mögliche Minderungen, die ja in der Regel auch Kosteneinsparungen bedeuten, mit dem Auftraggeber teilen zu müssen.“ Auch Schmied hält nichts davon, Logistikdienstleister nach dem geringsten absoluten CO2-Wert zu vergleichen. Die DIN-Norm ermögliche allenfalls, Maßnahmen zur Reduzierung von CO2gegenüberzustellen. Einig sind sich die Experten dahin gehend, dass das Thema an Bedeutung gewinnen wird. Nicht nur, weil die Zahl der Anfragen dazu steigen, wie Christian Heuing, Abteilungsleiter für Prozess- und Strategiemanagement bei Hermes Transport Logistics, bestätigt. Am Beispiel von Ikea machte er deutlich, dass die Verlader sich immer intensiver mit der CO2-Problematik im Transport befassen. „Ikea prüft nicht nur die Dienstleister, sondern auch deren eingesetzte Subunternehmen und verlangt beispielsweise von uns, dass wir nicht nur Mitglied sind in der Initiative Green Freight Europe, sondern dort auch aktiv mitarbeiten.“ Der Druck, CO2zu senken, werde soweit steigen, dass er prophezeit: „Irgendwann wird das CO2-Einsparziel Bestandteil der Zielvereinbarung von Führungskräften.“ Spätestens dann dürfte das Vorurteil, bei der Debatte um CO2-Vermeidung werde doch nur viel heiße Luft produziert, sich in Luft aufgelöst haben. Dann kommt von oben Druck, konkret fassbare Maßnahmen zur CO2-Reduzierung umzusetzen. ❙❚■ Michael Cordes Die DIN-EN-Norm liefert kein Patentrezept Die zehn häufigsten Fehl- interpretationen der DIN-Norm Martin Schmied kann schon mal einen roten Kopf bekommen, wenn es mal wieder um die Auslegung der DIN EN 16258 geht. Die Norm regelt die Berechnung von Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen von Transporten. Und da der Bereichsleiter beim Forschungs- und Beratungsunternehmen Infras wesentlich an der Entwicklung der Norm beteiligt war und diese damit so etwas wie sein eigenes Kind ist, kann man die Reaktion durchaus nachvollziehen. Schmied stellt die zehn häufigsten Fehlinterpretationen der Norm vor. Zum einen: Wer glaube, die Norm liefere ein Patentrezept für die Berechnung des CO2-Ausstoßes, der liegt falsch. „Die Norm will einen Rahmen geben. Sie führt auch zu einer Standardisierung. Aber es wurden auch bewusst Wahlmöglichkeiten gelassen, um verschiedenen Transportarten und Branchen gerecht zu werden“, sagte Schmied. Ein zweites Missverständnis: Das in der Norm vorgeschlagene Verteilungsverfahren (Allokation genannt) sei falsch. Darauf lautet seine Gegenrede: „Es gibt keine richtige oder falsche Allokation. Es handelt sich vielmehr um eine Konvention, die aber möglichst fair sein sollte.“ Die Norm empfehle Tonnenkilometer als Kenngröße, lasse aber auch andere zu. Sämtliche Fehlinterpretationen können Premiumabonnenten herunterladen unter: www.verkehrsrundschau.de/dokumente cd Grüne Logistik

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