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Brexit-Sorgen der britischen Wirtschaft werden größer

05.07.2018 13:36 Uhr
Brexit
Die britische Wirtschaft fordert endlich Klarheit beim Brexit
© Foto: bluedesign/Fotolia

Neun Monate vor dem EU-Austritt läuft die Wirtschaft Sturm gegen den harten Brexit-Kurs der Regierung in London. Premierministerin May will das Kabinett auf eine neue Linie einschwören.

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London. Airbus, Siemens, BMW, sogar die Traditionsmarke Jaguar Land Rover – immer mehr Industrieunternehmen in Großbritannien wagen sich in Sachen Brexit inzwischen aus der Deckung. Sie fordern ganz offen eine Abkehr vom harten Brexit-Kurs der Regierung. Vor allem aber wollen sie endlich Klarheit, wie das künftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien aussehen soll.

Das Kabinett will sich am Freitag bei einer Sondersitzung auf dem Landsitz Chequers auf einen Plan für die Nach-Brexit-Zeit einigen. Doch es ist weiterhin tief zerstritten. Die einen fordern einen klaren Bruch mit Brüssel. Die anderen wollen so eng wie möglich an die EU und ihre Institutionen gebunden bleiben.

Chaos droht am Tag des Brexits

Der Regierung zufolge gibt es einen Mittelweg – doch wie der aussehen soll, ist noch geheim. Fraglich ist, ob man sich überhaupt darauf einigen wird und ob er geeignet sein wird, die stockenden Verhandlungen mit Brüssel wiederzubeleben. Spekulationen, May könnte nun doch eine enge Anbindung an die EU suchen, haben das Brexit-Lager misstrauisch gemacht. May könnte von ihnen gestürzt werden. Sicher ist nur eines: Die Uhr tickt – und am 29. März 2019 wird Großbritannien aus der EU ausscheiden, mit Abkommen oder ohne.

Schlittert das Land im kommenden Jahr ohne Abkommen aus der EU, wäre auch die bereits verabredete Übergangsphase von knapp zwei Jahren hinfällig. Am Brexit-Tag würde Chaos ausbrechen. Zölle müssten eingeführt werden, Warenkontrollen an den Grenzen wären nötig. Ein Szenario, für das weder die britischen Zollbehörden noch ihre Kollegen auf dem Kontinent gerüstet wären.

Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft. Das habe beispielsweise in der Autoindustrie dazu geführt, dass Investitionen im Vergleich zum Vorjahr beinahe um die Hälfte gesunken seien, teilte der Verband der britischen Autohersteller und -händler (SMMT) jüngst mit. Die derzeitige Position der Regierung mit widersprüchlichen Signalen und roten Linien gehe „direkt gegen die Interessen der Automobilbranche in Großbritannien, die vom Binnenmarkt und der Mitgliedschaft in der Zollunion profitiert hat“, sagte SMMT-Chef Mike Hawes.

Industrie fordert Klarheit

Die Zollunion garantiert freien Warenverkehr über Binnengrenzen hinweg. Voraussetzung dafür sind aber gemeinsame Außenzölle. Der Binnenmarkt sorgt dafür, dass keine rechtlichen Hürden die Bewegungsfreiheit für Menschen, Waren, Geld und Dienstleistungen innerhalb der EU einschränken. Bislang will London aus beiden Regelwerken austreten, gleichzeitig aber den Handel so „durchlässig wie möglich“ gestalten. Wie das gehen soll, ist noch ein Rätsel.

„Über die beiden vergangenen Jahre hinweg war die Wirtschaft geduldig“, sagte der Chef des britischen Handelskammerverbands BCC, Adam Marshall. Jetzt sei jedoch das Fass am Überlaufen. Deutlich wird das vor allem daran, dass sich inzwischen viele Unternehmen kritisch zu Wort melden, die bisher geschwiegen haben. „Wir brauchen dringend mehr Sicherheit, um weiter stark in Großbritannien zu investieren und unsere Lieferanten, Kunden und 40.000 Angestellte in Großbritannien zu schützen“, erklärte etwa Jaguar Land Rover am Donnerstag. Wenn der freie Handel mit der EU und der unbeschränkte Zugang zum Binnenmarkt verloren gingen, sei die Zukunft ungewiss.

Bis Ende Sommer müsse Klarheit herrschen, sagte der BMW-Chef in Großbritannien, Ian Robertson, Ende Juni dem Sender BBC. Der Konzern mit den Marken Mini und Rolls-Royce hat rund 8000 Beschäftigte im Vereinigten Königreich. „Wenn wir in den nächsten Monaten keine Klarheit bekommen, müssen wir damit beginnen, Alternativpläne zu entwickeln.“ Sonst würde man Geld in Konstruktionen investieren, „die wir vielleicht nicht benötigen, in Lagerhallen, die vielleicht künftig nicht brauchbar sind“.

Auch nach Angaben von Siemens wird ein EU-Ausstieg ohne Abkommen den Betrieben und Arbeitsplätzen im Vereinigten Königreich schaden. Siemens hat etwa 15.000 Beschäftigte im Land. Die Produkte reichen von Gasturbinen bis zu medizinischen Geräten.

Brexit-Hardliner sehen keine Gefahr

Airbus hatte im Fall eines harten Brexits ohne Abkommen mit dem Teil-Rückzug aus Großbritannien gedroht. „Einfach ausgedrückt gefährdet ein Szenario ohne Deal direkt die Zukunft von Airbus im Vereinigten Königreich“, erklärte der Leiter der Verkehrsflugzeug-Produktion, Tom Williams. Falls das Land den Binnenmarkt und die Zollunion unvermittelt verlasse, würde dies zu einer „schweren Störung und Unterbrechung“ der Produktion führen.

In der Finanzbranche wird die Ungeduld ebenfalls immer spürbarer. Die Bank of America kündigte kürzlich an, sie werde drei führende Mitarbeiter nach Paris versetzen, 125 sollen nach Dublin gehen. Barclays will Medienberichten zufolge 50 Jobs nach Frankfurt verlegen. Insgesamt wird befürchtet, dass bis zu 75.000 Arbeitsplätze bei Banken und Versicherungen in Großbritannien verloren gehen könnten.

Ob die Warnungen bei den Brexit-Hardlinern im Kabinett Gehör finden, darf bezweifelt werden. Außenminister und Brexit-Wortführer Boris Johnson soll darauf angesprochen mit einem Kraftausdruck reagiert haben, der mit „Scheiß auf die Wirtschaft“ übersetzt werden kann. Er nennt die Sorgen der Wirtschaft auch gern „Mumbo Jumbo“, was so viel wie „Mumpitz“ bedeutet. Seinem Kabinettskollegen Schatzkanzler Philip Hammond dürfte das die Haare zu Berge stehen lassen. Am Freitag könnte sich zeigen, wer von beiden am längeren Hebel sitzt. (dpa)

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