Blick über den Tellerrand

In Deutschland fehlen Fachkräfte - auch und gerade in der Logistik. "Neben Berufskraftfahrern braucht die Branche international ausgebildete Hochschulabsolventen verschiedener Fachbereiche ebenso wie die im dualen System ausgebildeten Fachkräfte. Zudem wird es für die Logistik zunehmend schwieriger, betriebliche Ausbildungsplätze zu besetzen", berichtet Markus Suchert, Leiter Arbeits-, Sozial- und Tarifrecht beim Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV). "Um diesem Fachkräftemangel zu begegnen, ist es unerlässlich, auch das Potenzial ausländischer Fachkräfte verstärkt zu nutzen", betont er. Deshalb begrüßt der Verband den Entwurf des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, den die Bundesregierung im März dem Bundestag vorgelegt hat. Vonseiten der politischen Parteien kontrovers diskutiert, verzögert sich die Beschlussfassung dazu allerdings zusehends - zum Ärger vieler Branchenverbände wie dem DSLV. Konkret soll der Gesetzentwurf neben Hochschulabsolventen künftig auch Fachkräften mit qualifizierter Berufsausbildung aus Nicht-EU-Staaten ermöglichen, in Deutschland einen Arbeitsplatz zu finden (siehe Kasten auf Seite 32). Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) bezeichnet das als richtigen Schritt. Allerdings werde es für Ausländer noch immer zu schwierig bleiben, nachzuweisen, dass ihre Qualifikation einer deutschen Ausbildung gleichwertig ist, mahnt Thomas Bauer. "Es gibt in kaum einem Land der Welt ein System, das mit dem der deutschen dualen Ausbildung vergleichbar ist", begründet der SVR-Vorsitzende. Spracherwerb schon im Ausland nötig Damit die Neuerungen nicht ins Leere laufen, seien auch die Optionen des Spracherwerbs im Ausland zu verbessern. Zudem müsse die behördliche Infrastruktur ausgebaut werden. Und es bedürfe einer gezielten Anwerbestrategie mit passgenauen Aktivitäten in geeigneten Zielländern. "Wir müssen unbürokratischer, effizienter und einladender werden", so Bauer. Eines von vielen Logistikunternehmen, dass schon heute auf Fachkräfte aus dem Ausland setzt, ist der KEP-Dienstleister Hermes Germany. Die Otto-Tochter beschäftigt zurzeit Menschen aus rund 80 Nationen. Aktuell erprobt das Unternehmen in einem Pilottest die Rekrutierung von Paketzustellern aus Spanien. Darüber hinaus betreibt Hermes allerdings derzeit kein gezieltes Recruiting im Ausland. "Dass wir uns vorrangig auf den deutschen Bewerbermarkt konzentrieren, liegt daran, dass sehr gute Deutschkenntnisse eine Grundvoraussetzung für die meisten, hauptsächlich administrativen Positionen in unserem Unternehmen sind", erklärt Christine Burkart, Teamleader Talent Acquisition and Development bei Hermes. Immer wieder erreichen das Unternehmen bei seinen Stellenausschreibungen nach ihrer Aussage aber vielversprechende Bewerbungen von ausländischen Fachkräften mit entsprechenden Sprachkenntnissen. Bei fachlicher Eignung und einem erfolgreichen Bewerbungsprozess unterstütze Hermes die neuen Kollegen und oft auch deren Familien zusammen mit einem externen Dienstleister dabei, in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen, etwa in Form der Begleitung bei Wohnungsbesichtigungen oder bei Behördengängen. "Wir bekommen regelmäßig gespiegelt, dass dieses intensive Onboarding, das über den reinen Jobkontext hinausgeht, für viele Bewerber ausschlaggebend für ihre Entscheidung für Hermes als Arbeitgeber und den Umzug nach Deutschland ist", betont Burkart. Damit bestätigt sie, was Thorsten Rolfsmeier, Geschäftsbereichsleiter Internationaler Personalservice der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) bei der Bundesagentur für Arbeit, interessierten Unternehmen empfiehlt (Interview auf Seite 32). Allerdings muss man bei der Suche nach Arbeitskräften aus dem Ausland nicht zwingend die Landesgrenzen verlassen. Denn seit Jahren steigt hierzulande auch die Zahl der Geflüchteten mit einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit. Im Sommer 2013 waren es noch gut 61.000, Mitte 2017 belief sich die Zahl auf 157.000. Derzeit haben 370.000 Menschen aus den wichtigsten Asylherkunftsländern - Syrien, Afghanistan, Pakistan, Iran, Irak, Somalia, Nigeria und Eritrea - laut der Bundesagentur für Arbeit in Deutschland einen Job, 100.000 mehr als im Vorjahr. Zugleich machen zurzeit 600.000 erwerbsfähige Geflüchtete über die Jobcenter Integrationskurse oder sind arbeitslos gemeldet. 60.000 bis 70.000 von ihnen werden nach Ansicht des Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, noch in diesem Jahr einen Job finden. "Ich glaube vor allem, dass es uns wieder gelingt, viele jugendliche Flüchtlinge in Ausbildung zu bringen", sagte er auf der "Jobbörse für Geflüchtete und ausländische Arbeitssuchende" im Januar in Berlin. Flüchtlingsintegration wird einfacher Bei der Flüchtlingsintegration werde es in Zukunft etwas besser weitergehen als in den vergangenen Jahren, weil sich der Spracherwerb mit den Jahren verfestige, so Scheele auf der größten Berufs- und Ausbildungsmesse ihrer Art in Europa, die seit vier Jahren von der Bundesagentur für Arbeit und dem Estrel Berlin veranstaltet wird. Allerdings arbeitete von den Geflüchteten mit sozialversicherungspflichtigem Job Mitte 2018 laut Statistik fast die Hälfte als Helfer. Solche Jobs, für die keine Ausbildung nötig ist, werden auch auf der Messe in Berlin vorrangig vermittelt - beispielsweise in der Logistik. Die Deutsche Post etwa warb dort mit Flyern für einen Job als Briefsortierer oder Paketzusteller. Mit Erfolg: Nach der vorigen Jobmesse habe das Unternehmen 180 Leute eingestellt, berichtete ein Mitarbeiter. Erfolge vorweisen kann auch die ZAV, die seit 2011 Fachkräfte aus dem Ausland, die eine Beschäftigung in Deutschland suchen, berät und vermittelt: 2018 verhalf sie 2264 Personen zu einer ausbildungsadäquaten Tätigkeit in Deutschland - knapp 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Sechs Prozent dieser neuen Fachkräfte stellten im vergangenen Jahr Verkehrs- und Logistikberufe. Dabei kamen mehr als 40 Prozent dieser Fachkräfte aus anderen EU-Staaten (siehe Grafik auf Seite 31). "Mit den Philippinen, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Brasilien sind jedoch auch Nicht-EU-Staaten unter den Top Ten der Herkunftsländer", hebt Manfred Jäger, Vorsitzender der ZAV-Geschäftsführung, hervor. "Wir werden unsere Aktivitäten in Drittstaaten intensivieren, da wir angesichts der Demografie-Entwicklung von einer steigenden Nachfrage der Unternehmen in Deutschland nach Fachkräften aus dem Ausland ausgehen", betont er. Dass mehr als die Hälfte der deutschen Firmen Fachkräfte aus dem Nicht-EU-Ausland einstellen würde, zeigt auch der "Arbeitsmarktreport 2019" des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Wichtige Voraussetzungen sind für einstellungsinteressierte Unternehmen demnach aber bessere Sprachkenntnisse ausländischer Fachkräfte (53 Prozent), ein einfacheres administratives Verfahren (41 Prozent), Unterstützung im Einstellungsprozess (39 Prozent) sowie einfachere Zuwanderungsregelungen (26 Prozent). Fingerspitzengefühl ist wichtig Allerdings ist beim Anwerben ausländischer Fachkräfte auch Fingerspitzengefühl gefragt. Denn möglicherweise fehlen sie in Zukunft in ihrer Heimat. Auch betonen Bundesregierung und Verbände wie der DSLV, dass weiterhin an erster Stelle stehen sollte, auch das Fachkräftepotential inländischer Arbeitnehmer zu heben. "Unter anderem arbeitet die Bundesagentur für Arbeit daran, die Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Arbeitnehmern zu steigern", nennt Rolfsmeier von der ZAV ein Beispiel. Mehr zum Thema im Dossier "Personalwesen" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Auf einen Blick Der Entwurf zum FachkräfteeinwanderungsgesetzMit ihrem Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes will die Bundesregierung die Fachkräftesicherung "durch eine gezielte und gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten flankieren". Künftig sollen alle Fachkräfte, die über einen Arbeitsvertrag und eine anerkannte Qualifikation verfügen, in den entsprechenden Berufen in Deutschland arbeiten können. Die Beschränkung auf besonders vom Fachkräftemangel betroffene "Engpassberufe" soll entfallen. Auch auf die Vorrangprüfung, ob nicht auch Deutsche oder EU-Bürger für die Stelle infrage kommen, soll bei Fachkräften im Grundsatz verzichtet werden, allerdings verbunden mit der Möglichkeit, bei Veränderungen des Arbeitsmarktes die Vorrangprüfung kurzfristig wieder einzuführen. Für Fachkräfte mit Berufsausbildung soll zudem die Möglichkeit zur befristeten Einreise zur Arbeitsplatzsuche analog zur Regelung für Fachkräfte mit akademischer Ausbildung geschaffen und für fünf Jahre befristet erprobt werden. Auch abgelehnte, aber geduldete und gut integrierte Ausländer können für 30 Monate eine Beschäftigungserlaubnis bekommen. Zudem soll laut dem Entwurf der Aufenthalt zu ergänzenden Qualifizierungsmaßnahmen für Nicht-EU-Angehörige mit im Ausland abgeschlossener Berufsbildung erweitert werden. akw