BC2: Nur ein Werbegag?

Wie viel Umsatz macht E-Commerce heute in Deutschland und von welcher Umsatzgröße gehen Sie in 2020 aus? Ulrich Binnebößel (HDE): Der gesamte Umsatz im Einzelhandel in Deutschland dürfte in diesem Jahr nominal um 1,5 Prozent auf rund 466 Milliarden Euro wachsen. Und der Online-Anteil wird 2015 bei über 43 Milliarden Euro liegen. Wobei die Online-Anteile am Gesamtumsatz branchenabhängig variieren: im Lebensmittel-Einzelhandelsgeschäft liegt der Online-Anteil bei 0,4 Prozent. Bei anderen Branchen wie Elektronik und Spielwaren liegt der Umsatzanteil des Online-Handels schon teilweise über 25 Prozent. Hält das rasante zweistellige Wachstum der letzten Jahre an oder ist der E-Commerce-Boom schon zu Ende? Laut dem Bundesverband für E-Commerce und Versandhandel (BVEH) hat E-Commerce in 2014 in Deutschland nur um vier Prozent zugelegt und der Umsatz von Amazon und Ebay soll um zehn Prozent gesunken sein. Bernd Schwenger (Amazon): Wir verzeichneten in Deutschland 2014 ein sehr gesundes Wachstum. Weltweit stieg unser Umsatz um 20 Prozent. Der E-Commerce-Boom ist nicht zu Ende. Im Gegenteil, wir fahren weiter eine sehr starke Wachstumsstrategie, die sich insbesondere darauf stützt, dass wir sehr viele Produkte noch nicht im Angebot haben. Denn je mehr Produkte wir Kunden zur Auswahl bieten, desto mehr Convenience schaffen wir für sie. Und damit generieren wir unser eigenes Wachstum. Binnebößel: Künftige Entwicklungen hängen sehr vom Einkaufsverhalten des Endkunden ab. Gleichwohl gehen wir davon aus, dass in den nächsten Jahren rund 20 Prozent des Handelsumsatzes über den Onlinekanal erwirtschaftet werden können, heute sind es rund zehn Prozent. Die Spitze des E-Commerce ist also nicht erreicht. Aber es wird kein exponentielles Wachstum mehr geben, sondern ein stetiges weiteres Wachstum. Andreas Kruse (EHI): Die erste Sturm- und Drangzeit beim E-Commerce ist vorbei. Ihm geht aber nicht die Puste aus. Zusätzlicher Schwung kommt allein dadurch rein, weil nun zum Beispiel mit dem DM Drogerie Markt neue Sortimente online vertrieben werden. Zudem hat zum Beispiel der gesamte Lebensmittelbereich im Onlinehandel noch nicht Fuß gefasst. Halten da die Logistikdienstleister mit diesen neuen Anforderungen Schritt oder bremsen sie das Wachstum im Onlinehandel sogar aus, weil sie sich diesen Neuerungen verschließen? Schwenger: Von "ausbremsen" würde ich nicht sprechen, zumal wir in Deutschland - vielleicht anders als in anderen Ländern Europas - mit einem sehr guten Logistikdienstleister-Markt ausgestattet sind. Im Bereich "Big Data" könnten sie aber deutlich mehr tun. Wenn zum Beispiel jeder Dienstleister wüsste, wann welcher Fahrer welcher Firma sich zu welcher Uhrzeit an welchem Ort befindet, ließen sich deutlich Auslieferkosten reduzieren, da sich so Touren optimieren ließen. Das ist das Potenzial, das wir dank "Big Data" erschließen werden. Und wenn die Logistikdienstleister nicht mitspielen, steigt dann Amazon selbst in die Zustellung ein? Schwenger: Wir denken natürlich immer darüber nach. In England haben wir ja mit Amazon Logistics einen eigenen Auslieferdienst aufgebaut. Und in den USA wickeln wir mit Amazon Logistics auch einen Teil unseres Geschäfts selbst ab. Die Logistikdienstleister haben es aber ein gutes Stück selbst in der Hand, wie wir uns entscheiden. In Frankreich hat sich Amazon mit 25 Prozent an einem Logistikdienstleister beteiligt, in England ebenfalls. Steht das in Deutschland auch an? Schwenger: Aktuell, ganz konkret nein. Vor gut einem Jahr hatte Amazon in Deutschland einen eigenen Auslieferservice Fresh Delivery angekündigt. Wann und mit viel Fahrzeugen werden Sie damit konkret starten? Schwenger: Der Mensch kann ohne Nahrung nicht leben. Deshalb werden wir uns neben den Lebensmitteln, die wir derzeit schon verkaufen, zu gegebener Zeit auch mit dem Thema "Frische Lebensmittelauslieferung" in Deutschland beschäftigen und uns die entsprechenden Transport-Zustellpartner und Lösungen suchen. Wenn Sie die Ambitionen von Amazon hören, wird Ihnen da nicht Angst und Bange für den deutschen Handel? Binnebößel: Nein. Der Handel hat das Thema E-Commerce ja nicht verschlafen. Aber es ist nach wie vor eine große Herausforderung für die Betriebe, insbesondere für kleine und mittlere Einzelhändler ohne Filialstruktur. Sie kommen aus dem stationären Geschäft, sind auf bekannte Lieferantenstrukturen angewiesen und müssen jetzt in neue Prozesse einsteigen, da B2C nicht nur ein regional-begrenztes Gebiet betrifft, sondern zum Beispiel auch grenzüberschreitend stattfinden kann. Es ist also ein großer Schritt, den die Firmen durchmachen müssen, die ihre Produkte online vertreiben wollen. Eine Filialbelieferung ist nun einmal völlig anders als die Belieferung von Endkunden an die Haustür und in die Wohnung hinein. Davon profitieren natürlich die Paketdienste. Für diese Aufgabe werden also vor allem Paketdienste eingesetzt. Sollten Stückgutspediteure also überhaupt auf den Zug Privatkundenbelieferung aufspringen? Schwemmer: Dieser Eindruck entsteht, wenn man die Lieferkette nur vom Ende her betrachtet. Was das Thema "Letzte Meile" angeht, sind die Paketdienste tatsächlich sehr präsent. Denken Sie aber an die gesamten vorgelagerten Transport- und Logistikprozesse vor der Herstellung eines Produkts. Da sind die KEP-Dienste außen vor. Und da gibt es im Stückgut- und Ladungsgeschäft genügend Geschäft für Speditionen mit Wachstumspotenzialen. Ob und wie sich die Speditionen nun dem Thema B2C in der Distribution stellen wollen und müssen, weil hier die Sendungsmengen steigen. Das ist eine Frage, die ich mir selbst auch stelle. Denn die Gewinne für Stückgutspeditionen im B2C-Segment sind in der Regel mit hohem Invest verbunden. Ist es also eine Illusion, dass Speditionen im B2C mitspielen können? Sind deren Netze und Prozesse dafür zu starr? Schwemmer: Schwierige Frage. Wir haben dazu eine Befragung unter zehn Stückgut-Netzen durchgeführt. Die hat ganz klar gezeigt, dass die Belieferung an die private Adresse bei allen im Service-Portfolio ist. Selbst die Abendzustellung hat einen gewissen Verbreitungsgrad und das zeigt, dass das Thema B2C bei den Stückgutspeditionen angekommen ist. Weniger verbreitet ist dagegen die Zustellung am Wochenende. Von einer Flächendeckung weit entfernt sind die Spediteure beim Thema Same Day. Regional mag das fallweise funktionieren, aber nicht flächendeckend. Schwierig wird es auch beim Thema Zwei-Mann-Handling oder wenn es um Anschließservices geht. Da ist die Dienstleister-Landschaft vielleicht nicht so weit, wie es sich Kunden wünschen. Andererseits fordern diesen Service nicht alle Kunden. Daher sehe ich keine große Kluft zwischen Angebot und Nachfrage. Schwenger: Ich schon, wenn ich das hier anmerken darf! IDS Logistik war einer der Pioniere, das als Stückgutanbieter den Schritt in die Privatkundenbelieferung gewagt hat. Wird B2C Ihr B2B-Geschäft irgendwann ersetzen? Michael Bargl (IDS Logistik): Von den 40.000 Zustellungen, die IDS täglich macht, gehen rund zehn Prozent an Privathaushalte, die nehmen unsere Fahrer auf unserem Lkw mit und verbringen sie bis an die Haustür. B2B und B2C - das ist eine Produktionsschiene. Wir gehen im B2C jährlich von sieben bis acht Prozent Wachstum aus. Das ist mehr als im B2B. B2C wird also nie unser B2B ersetzen. Das große Geschäft für Speditionen liegt, wie Herr Schwemmer schon sagte, in den vorgelagerten Prozessen. Jörn-Peter Struck (Cargoline): Das kann ich für Cargoline bestätigen. Auch unsere B2C-Mengen sind in den letzten Jahren gestiegen und liegen aktuell bei rund 12 Prozent Sendungsanteil. Wir haben uns dieser Anforderung trotzdem gestellt, weil wir da Potenzial sehen. Wir haben dafür vergangenen Herbst das Produkt "B2C Line" gelauncht. Unser Ziel war es damit aber auch, einen Prozess in unserem B2B-Netz zu etablieren, der es uns erlaubt, die Privatkundenbelieferung relativ standardisiert abzuwickeln. Noch ist B2C eine Herausforderung, aber es gelingt uns mittlerweile recht gut. Mittelfristig können wir uns auch vorstellen, die beiden B2B- und B2C-Netze zu trennen. Noch sind aber unsere B2C-Mengen dafür zu gering. Um mehr Effizienz in die Prozesse zu bekommen, testen wir aktuell zudem in einigen Regionen, wie gut die Themen Abend- und Samstagszustellung von Endverbrauchern genutzt werden. Wie hoch beziffern Sie das Marktvolumen in Deutschland, dass für Stückgutspediteure im B2C interessant werden dürfte? Struck: Das wüsste ich auch gerne (lacht). Da sich selbst die Experten nicht immer einig sind, was das E-Commerce-Wachstum angeht, wäre das also reine Spekulation. Wir stellen einfach fest, dass die Zahl B2C-Sendungen im Netz wächst, und wollen darauf angemessen reagieren. Interessant sind für uns zum Beispiel "weiße Ware, DIY-Artikel, Gartenmöbel, Fitnessgeräte, Rasentraktoren und massive Gartendeko. Wie gut verträgt sich die Privatkundenbelieferung mit Ihren standardisierten Prozessen im B2B-Netz? Bargl: Der Aufwand ist da. Im Ein-Mann-Lieferservice an die Haustüre treibt die telefonische Terminabsprache mit dem Endkunden den Aufwand. Bis diese annahmebereit sind, dauert es meist zwei, drei Tage, in der die Waren unsere Umschlagshallen belegen. Wir stellen deshalb in Kürze auf E-Mail-Avisierung um. Vorteil daran ist, dass sich unsere Laufzeiten im B2C dadurch um ein bis zwei Tage verkürzen. Unser Ziel ist ein 24-/48-Zustellservice im B2C in Deutschland. Eine Lieferung an die Verwendungsstelle in der Wohnung könnten wir nur über Zwei-Mann-Touren realisieren. Hier schlägt der zweite Fahrer bei den Kosten zu Buche. Zudem ist das Mengenvolumen in diesem Segment noch nicht groß genug, um flächendeckend Zwei-Mann-Touren auszulasten. Deshalb arbeitet IDS hier mit dem Hermes Einrichtungs-Service zusammen. Struck: Die Empfänger-Avisierung ist auch für unsere Speditionspartner ein Riesenthema. Problem ist: Nicht jeder Kunde kennt die Handynummern seiner Empfängerkunden. Für die nächste Ausbaustufe haben wir daher akutell ein Pilotprojekt mit einem Onlineshop, der mit unserer Datenbank über eine Schnittstelle verbunden ist. Künftig kann der Kunde also bei Bestellung der Ware über einen Button seinen Wunschtermin über unsere Datenbank in seinem Postleitzahlbereich auswählen. Ist B2C also für Sie eher ein Wachstumstreiber oder reines Draufzahlgeschäft? Struck: Klar ist, wir arbeiten an der Produktivität. Auslastung und Kostenstrukturen sind gerade bei B2C ein großes Thema. Ich könnte mir daher durchaus vorstellen, dass wir uns zum Beispiel beim Thema "Zwei-Mann-Handling" bei Zustelltouren mit IDS zusammentun, wenn uns beiden die nötige Schwungmasse fehlen sollte. Bargl: Wenn man im Massengeschäft wie wir beide tätig ist und dann ins Zwei-Mann-Handling einsteigen will, braucht man Menge. Ob uns da die Kooperation mit einem anderen Verbund hilft, müsste man prüfen. Ich möchte eine solche Kooperation aber nicht ausschließen. Gerade weil die Nachfrage der Endkunden in diesem Segment noch klein ist und ihre Bereitschaft noch sehr gering ist, diesen Service zu bezahlen. Unterm Strich ist B2C aber kein Draufzahlgeschäft. Richtig ist, dass unsere Effizienz mit mehr Mengenvolumen steigt. Was sind denn die Muss-Services, die ein Spediteur leisten muss, um im B2C-Geschäft als Dienstleister attraktiv zu sein? Binnebößel: Bislang bieten die Onlineshops Kunden nur die Serviceoptionen Express- und Standardzustellung. Künftig sollte eine weitere Differenzierung ermöglicht werden. So könnte Endkunden beim Bestellvorgang im Onlineshop die Wahl des Dienstleisters angeboten werden, der die Waren zu einem bestimmten Zeitpunkt zustellt. Immer wichtiger werden zudem logistische Zusatzservices im Stückgutbereich wie die Zustellung von DIY-Artikeln über die Gartentür hinaus und der Aufbau von Möbeln. Schwenger: Amazon-Kunden präferieren im Bereich schwere, sperrige Güter die Wunschtermin-Zustelloption. Gerne auch Samstag, Freitagmittag und -nachmittag sowie Spätabend. In den wenigsten Fällen wird die Next-Day-Belieferung gewählt. Zudem fragen immer mehr die Installation und den Anschluss von Geräten nach. Kruse: Ganz oben auf der Prioritätenliste stehen bei Endkunden Lieferzuverlässigkeit, Liefertreue und präzise Zeitfenster-Avisierung - in dieser Reihenfolge. Same-Day-Delivery wird dagegen in den meisten Produktkategorien bislang nur von fünf Prozent der Endverbraucher nachgefragt. Nur bei Frischeprodukten/Food wird sich Same-Day durchsetzen. Schwenger: Bestellzahlen, die wir über Smartphones und Tablets generieren, steigen jetzt schon rasant an. Die Bestelloption "Same Day Delivery" ist da schnell geklickt. Ich persönlich glaube daher, dass Same Day in den nächsten Jahren sehr großes Potenzial in Deutschland hat und ein flächendeckender Same-Day-Delivery-Service die neue Herausforderung sein wird. Was plant Amazon da bei Same Day? Schwenger: In Manhattan/USA haben wir "Prime Now" gestartet, wo der Kunde binnen zwei Stunden die Ware umsonst zugestellt erhält, die Zustellung binnen einer Stunde kostet ihn 7,99 US-Dollar. Um das zu realisieren, haben wir in der Stadt diverse Lager für die gängigsten Produkte eingerichtet, von dem aus die Endkunden beliefert werden. Das ist ein Modell, das Amazon in weitere Städte ausrollen wird. Es geht also nicht nur um große zentrale Lager außerhalb der Stadt, sondern auch um dezentrale kleinere Lager in der Stadt. Suchen Sie dafür noch Spediteure, die Sie dabei unterstützen? Schwenger: Vorstellbar ist da vieles. So könnte ich mit Herrn Bargl abklären, an welchen Standorten er 5000 bis 10.000 Quadratmeter freie Lagerfläche sehr zentral hat, wo wir die gängigsten Waschmaschinen und Fernseher lagern könnten. Diese Produkte würden wir auf unserer Plattform platzieren und den Kunden eine Zustellung binnen zwei Stunden garantieren. Zwischenzeitlich fährt unser Zustellpartner mit einem zweiten Fahrer los und liefert die Ware beim Kunden aus. Binnebößel: Same Day sehen auch viele Einzelhändler als Chance. Im Gegensatz zu den Pure-Online-Playern haben diese ihr Warensortiment regional vor Ort. Entscheidende Frage ist nur, wie sich dieser Service wirtschaftlich darstellen lässt. Dazu kooperieren jetzt schon vereinzelt Händler in einer Stadt und/oder einer Einkaufszone, um Kosten in der Zustellung zu sparen. Die Experten Michael Bargl, Geschäftsführer der Speditionskooperation IDS LogistikUlrich Binnebößel, Referent Logistik Handelsverband Deutschland (HDE)Andreas Kruse, Director Business Development Logistics & Packaging, EHI Retail InstituteMartin Schwemmer, Stellvertretender Leiter Logistics Market Intelligence bei Fraunhofer SCSBernd Schwenger, Direktor Transportation DE bei Amazon DeutschlandJoern-Peter Struck, Geschäftsführer der Speditionskooperation Cargoline

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