Automobillogistik: Im Umbruch

Unter dem Motto "Heiter bis wolkig - Clouds & Co. für Transparenz und Resilienz" fand das Forum Automobillogistik (FAL) in Friedrichshafen erstmals nach 2020 pandemiebedingt wieder in Präsenz statt. Veranstalter waren die Bundesvereinigung Logistik (BVL) und der Verband der Automobilindustrie (VDA). Zugegeben, mit 350 angemeldeten Teilnehmern und 40 Ausstellern war die Resonanz dieses Mal noch verhalten - in Hoch-Zeiten vor der Pandemie waren es bis zu 550 Teilnehmer gewesen. Doch unisono hieß es: "Das persönliche Miteinander, der persönliche Austausch bringen die besten Impulse - kein digitales Event kann das ersetzen." Und selten war dieser Austausch zwischen OEMs, Zulieferern und Logistikdienstleistern so wichtig, wie das Forum zeigte. Denn die Herausforderungen, vor denen die Automobilbranche steht, sind immens. "Die Automobillogistik gehört zu den Bereichen, die am stärksten vom Krieg und den Lieferkettenproblemen betroffen sind", formuliert es der BVL-Vorstandsvorsitzende Professor Thomas Wimmer in seiner Eröffnungsrede. Sein Appell deshalb: "Die Lieferketten müssen jetzt resilienter gemacht werden. Das kann nur durch Digitalisierung, Transparenz und Kollaboration gelingen." Zudem müssen die OEMs und Zulieferer dafür sorgen, in absehbarer Zeit klimaneutral zu werden. VUCA-Welt schlägt stärker zu Die Lieferketten stünden schon seit zehn Jahren unter Druck, bekräftigte Simon Motter, Leiter Volkswagen Konzernlogistik der Volkswagen AG. Grund seien kurzfristige, nicht angekündigte und nicht vorhersehbare Themen, die die Unternehmen schnell und massiv treffen. "Und die Dynamik dieser Krisen nimmt zu - das geht immer schneller, immer unvorhersehbarer und immer globaler, zum Teil zunächst lokal und später global wirksam." So sei die Halbleiterkrise nicht überwunden, betont der Logistikverantwortliche. "Das wird uns wahrscheinlich noch ein paar Jahre begleiten." Konkret heiße das: Die Rohstoffpreise explodieren. Dies führe nicht zu einer komplett neuen Situation, aber zu einer Veränderung der Supply Chains, weil die Unternehmen von anderer Stelle Rohstoffe bekommen werden. Hinzu kommen bekannte Themen wie Lkw-Fahrermangel, knappe Transportkapazitäten über alle Verkehrsträger hinweg und das "Riesenthema Nachhaltigkeit". Motter wörtlich: "Wir müssen unsere Logistikprozesse CO2-frei bekommen - daran müssen wir weiter arbeiten. Die VUCA-Welt schlägt weiter zu. Wir wissen nur nicht, wann und wo. Und sie wird auch dynamisch zuschlagen." Hinzu kommt, dass China, das schon vor 500 Jahren den Welthandel dominiert hat, genau auf diese Position zurückkehren will. "Dieses Land wird an die alten Verhältnisse anknüpfen wollen, und es auch schaffen", unterstrich Thomas Hueck, Chefvolkswirt von Robert Bosch GmbH, der während der Eurokrise selbst zwei Jahre in Shanghai beruflich tätig war. Und China werde es nicht wollen, Teil eines Ordnungsrahmens zu sein, der von den westlichen Ländern auf Basis von deren ethischer Werte definiert werde. Die chinesische Ausrichtung sei anders als die westliche. Sie sei nicht besser oder schlechter als unsere; sie sei anders: "Wir stehen jetzt vor einer Konstellation, wo in diesem Systemstreit zwischen einem östlichen und westlichen Rahmen die Spielregeln neu definiert werden." Und damit müssen sich Wertschöpfungs- und Lieferketten auch auf neue Szenarien in Zukunft einstellen. Welche das sein könnten, skizzierte der Bosch-Chefvolkswirt anhand diverser Thesen, zum Beispiel: "Globalisierung wird weiter ein Thema sein. Wir werden weiter davon profitieren. Es wird keine vollständige Abkopplung einzelner Systeme voneinander geben." Die völlige Rückabwicklung von Lieferketten werde also nicht passieren, erwartet Hueck. "Es wird darum gehen, genau zu identifizieren, an welchen Stellen wir stärker auf eine Lokalisierung der Lieferketten achten müssen." Unabhängig davon müssten sich die Unternehmen aber darauf einstellen, so der Bosch-Chef-Volkswirt, "dass die Politik künftig insgesamt stärker Einfluss nehmen wird auf die Art und Weise, wie wir internationalen Handel betreiben." Dies müsse aus Gründen der Versorgungssicherheit geschehen und um insgesamt internationale Lieferketten widerstandsfähiger aufstellen zu können, wenn es global zu Disruptionen komme, wie jetzt im Fall in der Ukraine. Was also müssen Logistiker tun, um sich dafür entsprechend zu rüsten? Im Grunde sind da laut Motter die Lösungsansätze nicht neu: Digitalisierung, vernetztes Arbeiten, Transparenz in der Supply Chain bis auf die Ebene des letzten Zulieferers/Dienstleisters. "Teilweise haben wir das geschafft. In der End-to-End-Betrachtung haben wir das aber nicht geschafft. Da müssen wir jetzt wirklich den Schritt nach vorne machen", fordert der Volkswagen-Logistikverantwortliche: "Wir brauchen Frühwarnsysteme, die uns assistierend zur Verfügung stehen." Die gute Nachricht sei: Dank der Digitalisierung mit der Cloud-Technologie und Künstlicher Intelligenz (KI) sei es möglich, solche Themen umsetzen zu können. Vor allem aber reicht laut Motter die Zusammenarbeit von OEM und Tiers (Zulieferern - die Red.) nicht mehr. "Das muss mit den Speditionen mit den End-Tiers gemeinsam gemacht werden. Sonst funktionieren unsere Ketten nicht", unterstrich er. Um das umzusetzen, bauen Volkswagen und Amazon Web Services die gemeinsame Volkswagen Industrial Cloud "Wings" auf. Schon heute habe Volkswagen da teilweise die Daten seiner Produktionen drin, ebenso die Bestände, Kapazitäten und Bedarfe der Werke. Motter wörtlich: "Wir kennen unsere Transportaufträge und den Transportstatus. Wir werden unsere Spediteure dort alle anbinden und so auf Sachebenen-Nummern auch die Transporte verfolgen können." Nachhaltigkeit rückt in den Fokus Unabhängig davon rückt die Nachhaltigkeit in den Fokus der Automobilbranche - mit neuen Anforderungen an Zulieferer, Transport- und Logistikdienstleister. So kündigte Michael Schmitt an, verantwortlich für das Management der Zulieferer bei ZF Group: "Wir wollen bis 2040 klimaneutral sein und wünschen konkrete Daten von unseren Lieferanten." Ein Wechsel zu grünem Strom sei dabei ein guter Anfang. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann der CO2-Footprint und das Nachhaltigkeits-Engagement der Transport- und Speditionsdienstleister bei Vergabe der Automobilfirmen von Aufträgen in Ausschreibungen eine Rolle spielen werden. Wobei das Forum zeigte, dass selbst die Ermittlung des CO2-Footprints nicht trivial ist, da dieser nur berechnet, aber nicht gemessen werden kann. "Auch hier wird deshalb die Verfügbarkeit von Daten immer wichtiger, wenn wir eine Lieferkette wirklich steuern wollen", betonten Sabine Isenbort (Ford) und Maike Rottmann (BMW). Dies sei, darin waren sich beide einig, zwingende Voraussetzung dafür, um künftig in Ausschreibungen valide Kriterien definieren zu können. Ob bei der Auftragsvergabe dann der günstigste Preis des jeweiligen Dienstleisters oder aber dessen CO2-Emissionswerte den Ausschlag geben - darauf gab auch das Forum Automobillogistik keine finale Antwort. Sicher ist nur: Klimaschutz wird seinen Preis haben, und damit wird alles teurer. Continental gewinnt den VDA-Logistik Award 2022 Mit dem Konzept "Touchless Material Flow-Internal Supply Chains Becomes Smart" gewinnt Continental in diesem Jahr den VDA-Logistik Award 2022. Mit der Auszeichnung würdigte die Jury"eine überzeugende, ganzheitliche und nachhaltige End2End-Lösung", heißt es in der Begründung.Touchless Material Flow" ist Teil der Continental Industrie 4.0-Initiative. Ziel ist es, die Effizienz und Transparenz im gesamten internen Materialfluss durch den Einsatz von Industrie 4.0-Lösungen, in Kombination mit Lean Management, zu steigern. Insgesamt wurden bisher elf standardisierte Technologielösungen entwickelt und in 38 Continental-Werken implementiert. Bei allen Einzellösungen stehen dabei die Konnektivität und Integration im Vordergrund. Zudem führen die generierten Daten - mithilfe von KI basierten Optimierungen in Echtzeit - zu einer effektiven internen Supply Chain.Zudem leistet das Konzept unter anderem einen wichtigen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit, reduziert manuelle Tätigkeiten im internen Materialfluss und verbessert Prozesseffizienz sowie Ergonomie für die Mitarbeiter. eh Mehr zum Thema finden Sie unter #Automobillogistik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Lieferengpässe, Chipmangel, steigende Anforderungen im Klimaschutz und die neue Rolle Chinas: Der Druck auf die Automobilbranche hält weiter an. Wohin da künftig die Reise der Unternehmen gehen könnte und auf welche Lösungen sie setzen, zeigte das Automobillogistik Forum von BVL und VDA in Friedrichshafen.

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