"Ausverkauf im deutschen Fernverkehr"

In Deutschland ist es neuerdings verboten, dass Lkw-Fahrer ihre regelmäßige Wochenruhezeit nicht mehr im Lkw verbringen dürfen. Wie kommentieren Sie das? Wenn man die Umsetzung dieses Gesetzes so kontrollieren könnte, wie es der deutsche Gesetzgeber beabsichtigt, wäre es für das Transportgewerbe eine Katastrophe. Tatsächlich ist das Ganze aber nicht kontrollierbar, geschweige denn, dass die beschlossenen Änderungen praktikabel sind. Was soll denn ein Fahrer jetzt tun? Soll er in einem Zwei-Mann-Zelt vor seinem Lkw übernachten oder in einem Hotel? Die Lkw sind heute doch alle so ausgestattet, wie es der einzelne Fahrer wünscht. Die haben die Musik, die sie gerne hören, ein gutes Bett. Aber hilft das Gesetz nicht, das Nomadentum von Billigtransporteuren aus Osteuropa zu unterbinden? Dabei wird übersehen, dass das deutsche Transportgewerbe diese Frachtführer braucht, weil sie zu günstigeren Konditionen fahren können. Die Osteuropäer machen doch heute das klassische Komplettladungsgeschäft von A nach B. Und die deutschen Unternehmer haben ihnen geholfen so weit zu kommen, indem sie ihnen immer mehr Aufträge gegeben haben. Heute sind die Osteuropäer leistungsfähig, setzen eine Top-Fahrzeugtechnik ein, sind voll kommunikationsfähig und haben Versicherungen. Jetzt sind sie da; und jetzt wollen wir sie vertreiben. Wenn wir aber ein vereintes Europa haben wollen, sollten wir uns nicht abschotten und solche Fragen national regeln. Wie abhängig sind deutsche Transportbetriebe mittlerweile von internationalen Frachtführern? Sehr stark! Wenn die Polen wegbrechen, bricht unser ganzes System in Deutschland zusammen. Das hat einer unserer Partner gesagt und dem stimme ich zu. Die letzten Wochen waren eine Katastrophe. Der Transportmarkt ist schier zusammengebrochen. Es waren extrem viele Aufträge da, aber die Polen sind über die Feiertage nach Hause gefahren - Ostern und dann die Feiertage im Mai. Es gab praktisch keine Lkw mehr. Aber spürte das auch Elvis? Ihre Partner fahren doch in der Regel selbst. Die meisten unserer Partner fahren nur noch rund 50 Prozent der Aufträge selbst. Die andere Hälfte vergeben sie mittlerweile an Unterfrachtführer. Anders funktioniert das Transportgeschäft heute nicht mehr. Wir haben inzwischen so ein schlechtes Preisniveau, dass letztlich Betriebe nur einen Transport übernehmen, wenn sie in der Notlage sind, dringend Rückladung brauchen oder der Auftrag zu 100 Prozent in ihre Tour passt. Ansonsten lässt jeder die Finger davon. An wen verchartern Sie dann diese Aufträge? Vorwiegend an Frachtführer aus dem Ausland - insbesondere aus Polen, Tschechien, Bulgarien und Rumänien. Deutsche Unternehmer sind natürlich willkommen. Aber zu dem Preis, den wir anbieten können, fährt keiner mehr. Aber wollen deutsche Kunden nicht lieber deutsche Frachtführer? Den deutschen Verladern ist das mittlerweile egal, ob ein Pole kommt. Hauptsache, der Transport ist günstig. Ist das jetzt Ihre persönliche Meinung oder hören Sie das auch von anderen Branchenkollegen? Darüber sprechen wir doch alle. Deshalb haben doch längst viele deutsche Transportunternehmer auch Niederlassungen in Osteuropa eröffnet. Andererseits beklagen viele deutsche Transportbetriebe die Billigkonkurrenz aus Osteuropa. Wie gesagt: Die Osteuropäer sind da. Wir brauchen sie, und sie sind leistungsfähig. Und die Kunden akzeptieren diese Lkw, obwohl wir alle anfangs Angst hatten, dass sie nur von deutschen Fahrern beliefert werden wollen. Tatsache ist aber, dass wir heute keine deutschen Lkw-Fahrer mehr finden, und in Osteuropa gibt es noch Fahrer. Wie wirkt sich die Situation, über die wir gerade sprechen, auf das Geschäft kleiner Transportbetriebe in Deutschland aus? An die großen Tender, in denen große Verlader zum Beispiel 100 Komplettladungen im innerdeutschen Fernverkehr vergeben, kommen heute schon deutsche Transportunternehmer nicht mehr ran. Da sind heute schon die Unternehmer aus dem Ausland drin. Im grenzüberschreitenden Geschäft ist das ja schon seit Jahren so. Der deutsche Komplettladungs-Unternehmer verschwindet. Das ist so wie bei bestimmten Motorradmarken. Der deutsche Markt hat zu einem bestimmten Zeitpunkt bestimmte Marken nicht mehr akzeptiert und dann waren sie weg. Was wir heute haben, ist ein Ausverkauf im deutschen Fernverkehr. In welchen Geschäftsfeldern sehen Sie für deutsche Transportbetriebe überhaupt noch eine langfristige Chance? Der deutsche Transportunternehmer ist überall da willkommen, wo es kompliziert ist, was hohe Anforderungen in puncto Spezialequipment und Sicherheitsstandards stellt. Also zum Beispiel bei Shuttle-Verkehren, Teilladungsverkehren, im Möbelgeschäft und im Tank-/Silo-Bereich. Außerdem übernehmen deutsche Transportunternehmer heute immer mehr Aufgaben, die früher Spediteure gemacht haben, etwa das Makeln von Geschäften. Das sind heute also keine Frachtführer mehr, sondern Spediteure. Was raten Sie vor diesem Hintergrund Ihren Elvis-Partnern, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben? Sie sollten ihre Selbsteintrittsquote nicht zu hoch werden lassen. Das Risiko ist einfach zu hoch, wenn es zur Wirtschaftskrise kommt. Ganz wichtig ist auch, dass die Unternehmen innerbetrieblich für Transparenz sorgen und einen Überblick darüber haben, in welchen Bereichen sie Geld verdienen, wo sie Geld verlieren. Nur dann können sie, falls Aufträge wegbrechen, ihre Strukturen entsprechend anpassen, ohne draufzuzahlen. Jedes Unternehmen braucht also im Grunde sein eigenes Fitnessprogramm. Letzte Frage: Gibt es in zehn Jahren überhaupt noch deutsche Transportbetriebe, die im Fernverkehr tätig sind? Ich hoffe es. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Landverkehr www.verkehrsrundschau.de/dossiers Vita Jochen Eschborn Jochen Eschborn ist 1958 in Wiesbaden geboren. Nach seiner Ausbildung zum Speditionskaufmann und seinem Studium an der Deutsche Außenhandels- und Verkehrs-Akademie (DAV) in Bremen war er in unterschiedlichen Führungspositionen in bekannten Unternehmen tätig. Unter anderem war er in der Konzerngeschäftsführung der Deugro Carl E. Press. Eschborn initiierte die Gründung der Kooperation GAP im Luftfrachtbereich, war Gründungsmitglied und Bereichsleiter des Speditionsverbundes Cargoline und später Geschäftsführer der DFDS Transport in Deutschland sowie Mitglied des Strategiekreises der IDS in Rodgau. Im Jahr 2006 gründete Eschborn das Unternehmen Maintrans und initiierte die Gründung der Kooperation Elvis AG im Lkw-Ladungsverkehr. eh Daten + Fakten Der Ladungsverbund Elvis Erklärtes Ziel des Europäischen Ladungs-Verbundes Internationaler Spediteure (Elvis) war und ist die Schaffung eines Netzwerks, das es den beteiligten Unternehmen ermöglicht, ihre Ladekapazitäten besser zu nutzen und Zukunftsperspektiven zu erkennen. Damit wollten die Elvis-Gründungsmitglieder der schwierigen Situation und dem hohen Margendruck in der Transport- und Logistikbranche etwas entgegensetzen.Heute zählt die Elvis-Kooperation 187 Mitglieder und ist damit nach eigenen Angaben der größte Ladungsverband internationaler Spediteure in Europa. Die Mitgliedsunternehmen beschäftigen an insgesamt 280 Standorten über 25.000 Mitarbeiter und setzen rund 17.000 Lkw und 21.000 Auflieger/ Anhänger ein. Jeden Monat befördert die Kooperation nach eigenen Angaben rund 8,5 Millionen Tonnen. 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