Augen zu und durch: eine gefährliche Strategie

Wieder einmal hat die Bundesregierung eine Gesetzesänderung im Hauruckverfahren durchgeboxt. Und wieder einmal gehört die Branche der Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) zu den Leidtragenden. Ein neues Bürokratiemonster Im vergangenen Jahr war es das Mindestlohngesetz, jetzt heißen die neuen Bürokratiemonster Fahrpersonalgesetz (FPersG) und Fahrpersonalverordnung (FPersV). Wie schon beim Mindestlohn paukte die Bundesregierung die Gesetzesänderung und die Verordnung im Eiltempo durch die Instanzen. Von der Drucklegung der Vorlage bis zur Beschlussfassung im Bundesrat vergingen gerade einmal zehn Tage. In der Länderkammer wurde das Gesetz gar ohne Diskussion durchgewunken. Wie schon beim Mindestlohn bemängelten die Verbände, dass sie keine Zeit zu einer Stellungnahme oder gar zur Einflussnahme hatten. Anfang März 2015 sind dann die Verschärfungen bei der Überwachung der Lenk- und Ruhezeiten in Kraft getreten. Neu eingefügt wurde unter anderem, dass Fahrer nach viereinhalb Stunden am Steuer die Fahrt für mindestens 45 Minuten unterbrechen müssen. Außerdem müssen sie alle Aufzeichnungen des laufenden Tages und der vorausgegangenen 28 Tage immer dabeihaben, um sie bei Kontrollen vorzeigen zu können. Auftraggeber sind verantwortlich Für heftige Diskussionen sorgt aber ein anderer Punkt in der Verordnung. Ab sofort müssen alle an einer Beförderungskette beteiligten Unternehmen dafür Sorge tragen, dass das beauftragte Transportunternehmen die Vorschriften zu den Lenk- und Ruhezeiten auch einhält. Wie schon beim Mindestlohngesetz müssen die Auftraggeber dafür geradestehen, wenn ihre Sub-Unternehmer sich nicht an geltende Gesetze halten. "Mit den geänderten Vorschriften setzt sich der bereits bei der Mindestlohngesetzgebung deutlich gewordene Trend fort, Auftraggeber von Subunternehmen für die Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Subunternehmers in Haftung zu nehmen", erklärt ein Hermes-Sprecher. Konkret heißt es in der Verordnung: "Der jeweilige Auftraggeber hat dafür Sorge zu tragen, dass das beauftragte Verkehrsunternehmen die Vorschriften einhält." Er muss sich schon vor dem Vertragsabschluss und auch während der Vertragslaufzeit in angemessenen Zeitabständen vergewissern und darauf hinwirken, dass der Auftragnehmer das Personal und die Organisationsstruktur hat, um die Transportaufträge gesetzeskonform auszuführen. Eine Forderung, die viele Unternehmen für kaum umsetzbar halten. "Ein Auftraggeber hat keine Kontrollbefugnis wie eine Behörde, daher ist die Vorschrift aus unserer Sicht nicht praktikabel", erklärt eine Sprecherin der Deutschen Post DHL auf Anfrage. Einfach ignorieren geht aber auch nicht. "Die Unternehmen sind gut beraten, Vorkehrungen zu treffen, um den neuen gesetzlichen Anforderungen an die Überwachung der Subunternehmer gerecht zu werden", ist man beim Paketversender Hermes überzeugt. So weise man in den Verträgen explizit darauf hin, dass die gesetzlichen Regelungen zu beachten seien. Außerdem behalte sich das Unternehmen vor, im Rahmen einer regelmäßigen Auditierung bei den Partnern neben Punkten wie Arbeitsverträgen und Arbeitszeiten in Zukunft auch die Beachtung der Lenk- und Ruhezeiten verstärkt zu überprüfen. Organisatorisch sei das kein Problem, so ein Hermes-Sprecher (siehe Kasten auf dieser Seite). Die meisten Firmen setzen auf solche vertraglichen Vereinbarungen. Man arbeite ausschließlich mit Unternehmen zusammen, die sich vertraglich zur Einhaltung sämtlicher gesetzlicher Vorschriften verpflichten würden, heißt es bei GLS und Der Kurier. Beim Bekanntwerden konkreter Verstöße suche GLS das Gespräch mit dem verantwortlichen Transportunternehmen. "Konsequenzen können bis zur sofortigen Beendigung der Zusammenarbeit reichen", teilt das Unternehmen mit. Auch DHL fordert von seinen Vertragspartnern über einen Verhaltenskodex und den Transportvertrag, dass diese die Sozialvorschriften einhalten. Vorsicht bei Freizeichnungen Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) rechnet mit einer Welle solcher Freizeichnungserklärungen. Ob das ausreichen wird, ist fraglich. Schließlich verlangt die Verordnung ausdrücklich eine Kontrolle. Darum glaubt man auch beim BGL, dass die Freizeichnungen "in ihrer rechtlichen Substanz und Reichweite eine fragwürdige Sicherheit gegen behördliche Sanktionen schaffen." Andere Unternehmen wie GO! oder der DPD konnten oder wollten zu dem Gesetz keine Stellung nehmen. Man wolle erst beobachten, wie sich die Änderungen in der Praxis auswirkten. Viele kleinere Kurierund Expressdienste haben die neue Regelung noch gar nicht zur Kenntnis genommen. Das ergab eine nicht repräsentative Stichprobe der VerkehrsRundschau bei einigen Unternehmen. Teilweise war die Verordnung noch unbekannt, teilweise gehen die Betriebe davon aus, dass die selbstständigen Fahrer für Verstöße haften. Dabei sieht die Verordnung ganz klar vor, dass der Auftraggeber die Ordnungswidrigkeit begeht, wenn er nicht dafür Sorge trägt, dass die beauftragten Verkehrsunternehmen die Sozialvorschriften einhalten. Eine Unkenntnis, die teuer werden kann. Denn Verstöße können künftig bis zu 30.000 Euro Bußgeld kosten. Bei den Verbänden arbeitet man an Hilfestellungen für die Branche. Marten Bosselmann, Geschäftsführer des Bundesverbandes Paket & Expresslogistik (BIEK), will seine Mitgliedsunternehmen zunächst noch stärker auf die Kontrollpflichten und die fragliche Möglichkeit, sich über Vertragsklauseln aus der Haftung zu nehmen, aufmerksam machen. Andreas Schumann, Vorsitzender des Bundesverbandes der Kurier-Express-Post-Dienste (BdKEP), bringt eine Art Vorqualifizierung der Unternehmen ins Gespräch. Dabei sollen Unternehmen in regelmäßigen Abständen eine Selbstauskunft hinterlegen, mit der nachgewiesen wird, dass sie sich an die gesetzlichen Anforderungen halten. Diese Unterlagen könnten dann von einer neutralen Stelle geprüft werden. Über ein Portal könnten sich dann Auftraggeber über die Dienstleister informieren. Eine ähnliche Regelung hat der BdKEP bereits beim Mindestlohn angedacht. Sicher sei, dass die Kosten für die KEP- Unternehmen durch die Kontroll-, Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten steigen würden, ist sich Schumann sicher. Hier widerspricht der Freiburger Transportrechtsexperte Volker Lindner (siehe Interview Seite 22). Arbeitgeber seien ohnehin verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen. "Bedauerlicherweise wird diese Vorschrift in vielen Fällen nicht umgesetzt", so Lindner. Zudem gebe es eine Aufzeichnungspflicht aus dem Mindestlohngesetz. "Die neue Fahrpersonalverordnung belastet daher die Unternehmen nicht mehr", lautet sein Fazit. NRW deckte viele Verstöße auf "Im Grunde kommt auf die KEP-Dienstleister-Branche nichts Neues zu", sagt Lindner. Seit vielen Jahren schreibe das Arbeitszeitgesetz vor, dass Arbeitnehmer im Durchschnitt wöchentlich nicht mehr als 48 Stunden bei einer Sechstagewoche und je Tag nicht mehr als acht Stunden arbeiten sollten. "Erst durch die Überschreitung der Arbeitszeit einiger Unternehmer war der Gesetzgeber gehalten, dass auch für die KEP-Dienstleister-Branche wie für das sonstige Transportgewerbe Arbeitnehmerschutzvorschriften in Bezug auf das Fahrpersonal in neuer Vorschrift verdeutlicht werden mussten", erinnert Lindner. In der Tat wurde das Gesetz über den Sozialausschuss des Bundesrates auf Betreiben Nordrhein-Westfalens auf den Weg gebracht. NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) bemängelte im vergangenen Jahr mehrfach die "systematischen und gehäuften Verstöße" der KEP-Unternehmen gegen geltende Sozialvorschriften. In einer groß angelegten Untersuchung von Unternehmen in dem Bundesland stellte seine Behörde fest, dass in 85 Prozent der Fälle gegen Arbeitsschutzvorschriften verstoßen wurden. Schneider versprach tätig zu werden und hielt Wort. Die Branche ist also nicht ganz unschuldig an der nun beschlossenen Verschärfung. Viele Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren zwar offiziell für bessere Arbeitsbedingungen eingesetzt, passiert ist in der Praxis jedoch wenig. Nun müssen alle dafür büßen. Schumann vom BdKEP sieht die Falschen am Pranger. "Wenn Unternehmen die Lenk- und Ruhezeiten nicht einhalten können, ist das keine kriminelle Energie, sondern dem harten Wettbewerb geschuldet", so Schumann. Er befürchtet, dass die Auflagen dazu führen werden, dass nun vermehrt Paketdienste aus dem Ausland eingesetzt werden, bei denen eine Überprüfung kaum machbar sei. "Mit der Stärkung der Lebensqualität der Fahrer wird gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Arbeitsplätze herabgesetzt", warnt Schumann. BIEK-Mann Bosselmann sieht in dem Gesetz gar eine Aushebelung marktwirtschaftlicher Prozesse. Ähnlich wie beim Mindestlohn setze sich der Trend fort, die Auftraggeber in die Haftung zu nehmen. "Das ist ein extrem wettbewerbsfeindlicher Ansatz", sagt Bosselmann. Er sieht darin einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit nach Artikel 12 des Grundgesetzes. Der Verband behalte sich eine entsprechende Klage vor, kündigt er an. Karlheinz Schmidt, Hauptgeschäftsführer des BGL, fordert die Unternehmen sogar auf, die Rechtmäßigkeit des Gesetzes infrage zu stellen und eventuelle Bußgelder nicht zu zahlen. Ob sich aber alle KEP-Dienste den anschließenden Rechtsstreit leisten können, ist mehr als fraglich. Immerhin hat das Verkehrsministerium bereits angeboten, einige Punkte neu zu verhandeln, wenn sich diese als nicht praktikabel herausstellen sollten. "Wir hoffen und wir gehen davon aus, dass es mit der Zeit noch Änderungen geben wird", sagt Bosselmann. Bis dahin werden viele Unternehmen wohl nach dem Prinzip "Augen zu und hoffen, dass nichts passiert" verfahren. Praxisbeispiel Generalunternehmer von Hermes werden zertifiziert Mit einem standardisierten Verfahren macht sich Hermes in regelmäßigen Abständen ein Bild von der Situation seiner Zusteller. Dazu hat Hermes gemeinsam mit dem Prüfinstitut SGS-TÜV Saar ein Zertifizierungssystem entwickelt, das die Qualität bei der Endkundenbelieferung durch die Generalunternehmer sicherstellen soll.Alle Generalunternehmen, mit denen Hermes bei der Zustellung kooperiert, müssen den Zertifizierungsprozess durchlaufen. Neben Aspekten wie der Abwicklungsqualität und der Einhaltung betrieblicher Sicherheitsvorschriften werden auch die Beschäftigungsbedingungen der Zusteller sowie die Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorgaben abgefragt. Hat ein mit Hermes kooperierendes Unternehmen die Auditierung erfolgreich bestanden, erhält es ein Zertifikat, das es für die Eigenwerbung einsetzen kann. Unternehmen, die die Zertifizierung nicht oder nur unter Vorbehalt erlangen, müssen mit Unterstützung der Hermes Logistik Gruppe Deutschland (HLGD) nacharbeiten oder die Zusammenarbeit beenden. Der gesamte Zertifizierungsprozess aller Generalunternehmer dauert in der Regel ein Jahr und wird regelmäßig wiederholt. Themenfelder bei der Zertifizierung sind:- Beschäftigungsbedingungen: eine adäquate Bezahlung, das Recht auf Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.- Gesundheit und Sicherheit: sicheres Arbeitsumfeld auf dem Betriebsgelände sowie im Fuhrpark. Gesetzliche Sicherheitsvorschriften müssen jederzeit geachtet werden.- Außenwahrnehmung: Geprüft wird, ob Auftreten und Bekleidung stimmen und Kunden die Zusteller als "im Auftrag von Hermes" unterwegs erkennen.- Umwelt: Engagement zur CO2-Reduktion.- Qualität und Abwicklung: Analyse, wie das Unternehmen mit den steigenden Anforderungen an die KEP-Branche mithalten kann. Geprüft werden Qualitätsmerkmale des Betriebs und der Zusteller.ah VR-Fachkonferenz Die Folgen des Mindestlohns für die KEP-Branche Die rechtlichen Rahmenbedingungen in der KEP-Branche ändern sich gravierend. Auf aktuelle Gesetzesänderungen wie die Fahrpersonalverordnung, aber auch auf das neue MIndestlohngesetz müssen die KEP-Dienste reagieren. Der Staat nimmt diese immer mehr in die Verantwortung. Welche Änderungen sich durch das Mindestlohngesetz ergeben, wird am 18. Juni 2015 in Berlin auf einem VerkehrsRundschau-Seminar erläutert. Auf dem Seminar geht Fachanwalt Markus Baur auf die aktuellen rechtlichen Änderungen für KEP-Unternehmen durch die Mindestlohn-Gesetzgebung ein. Jürgen Weber, Geschäftsführer der Innovativ Team Weber, erklärt, wie man mit den Mehrkosten umgehen kann. Das komplette Programm und die Teilnahmegebühren finden Sie im Internet (siehe unten).Abonnenten der VerkehrsRundschau sowie Mitglieder des Bundesverbands der Kurier-Express-Post-Dienste (BdKEP) erhalten einen Vorteilspreis.Kontakt: Springer Fachmedien München, Telefon: 0 89 / 20 30 43 -12 85, E-Mail: events@springer.com, www.verkehrsrundschau.de/events cd

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