München. Erst das Mindestlohngesetz, nun die neue Fahrpersonalverordnung. Die neuen Sozialvorschriften stellen KEP-Dienste vor immense Herausforderungen. Manche wissen noch gar nicht, was auf sie zukommt. Der Transportrechtsspezialist Rechtsanwalt Volker Lindner aus Freiburg war selber fünf Jahre lang selbstständiger Transportunternehmer und kennt Arbeitsweise und Sorgen der Branche. Im Interview mit der VerkehrsRundschau erklärt er, wie sich KEP-Dienstleister absichern können, um nicht in Haftung genommen zu werden - und warum die Verordnung in ihrer jetzigen Form durchaus praktikabel ist.
VerkehrsRundschau: Wie können sich KEP-Dienstleister absichern, dass sie nicht in Haftung genommen werden?
Volker Lindner: Die beauftragenden Unternehmen können sich vor Haftung unter anderem dann schützen, wenn sie selbst die an ihre Auftragnehmer übertragenen Touren hinsichtlich der Einhaltbarkeit im Hinblick auf die Sozialvorschriften überprüfen. Hier kann bereits durch einfachste Kontrollen festgestellt werden, ob das beauftragte Unternehmen die Sozialvorschriften einhält, indem morgens geschaut wird, wer das Fahrzeug belädt und die Ware ausrollt und abends geschaut wird, wer am Abend mit rückgeholter Ware wieder in der Spedition ankommt und die Sendungen entlädt. Es ist leider keine Seltenheit, dass in der Paketdienstbranche der Fahrer am Morgen um 5:00 Uhr oder 5:30 Uhr mit der Sortierung der Pakete beginnt, danach in „seinem Gebiet“ die Pakete ausrollt, von Versendern Pakete zur Anlieferung an das Depot abholt und schlussendlich im Depot zwischen 17:00 Uhr und 18:00 Uhr die abgeholte Ware entlädt. Pausen konnte der Fahrer meist nur selten in ausreichendem Maße nehmen.
Reicht es, wenn sich Auftraggeber von ihren Subunternehmern schriftlich bestätigen lassen, dass sie Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten einhalten?
Der Gesetzgeber hat keine genauen Kontrollvorgaben gemacht. Meines Erachtens reicht die bloße Zusage des beauftragten Unternehmers, er halte die Lenk- und Ruhezeiten sowie die Arbeitszeitvorschriften ein, nicht aus. Das beauftragende Unternehmen muss gehalten sein, Zufallskontrollen bei den Fahrern durchzuführen, vor allem aber selbst prüfen, ob die beauftragte Tour im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften durchführbar gewesen ist. Gerade im Hinblick auf den letzten Punkt besteht ein enormer Nachholbedarf.
Auftraggeber müssen also ihre Auftragnehmer enger an die Kandare nehmen. Kann es dabei zu Konflikten mit der Scheinselbstständigkeit kommen?
Die gesetzliche Vorgabe der Überprüfung der Einhaltung der Sozialvorschriften führt nicht dazu, dass eine engere Einbindung in den Betrieb des Auftraggebers erfolgt. Vielmehr ist der auftragserteilende Unternehmer so anzusehen, als wäre er Statthalter für staatliche Kontrollbehörden im Sinne der Sicherheit für alle Straßenverkehrsteilnehmer und für die Kraftfahrer. Derartige Kontrollen sind zudem im Verhältnis zu dem beauftragenden Unternehmen und den auftragsnehmenden Unternehmen nicht unbekannt. Ich möchte insoweit nur auf die Gefahrgutvorschriften oder aber die Ladungssicherungsvorschriften hinweisen. In beiden Fällen existieren gesetzliche Kontrollpflichten für beide Vertragsparteien, ohne dass auch nur im Entferntesten darüber nachgedacht wird, hieraus eine Scheinselbstständigkeit abzuleiten.
Lassen die Kontrollen auch übertragen?
Eine Übertragung der Kotrollpflichten auf externe Dienstleister wird möglich sein. Letztlich bleibt aber immer festzuhalten, dass gleich ob eine innerbetriebliche Regelung gefunden wird oder ob ein externer Dienstleister eingeschaltet wird, das verantwortliche Unternehmen in der Haftung bleibt, solange er selbst den internen Verantwortlichen oder den externen Dienstleister überprüft.
Wer ist eigentlich der Auftraggeber? Der Verlader, der den KEP-Dienst beauftragt oder der KEP-Dienst?
Zunächst darf festgehalten werden, dass der Vertragspartner des ausführenden Unternehmens wohl als Auftraggeber zu sehen ist. Ich halte es durchaus nicht für abwegig, dass auch der Versandhandel mit einzubeziehen ist. Ein entsprechender gesetzgeberischer Wille für die Einbeziehung kann aus der Benennung der Reiseveranstalter in der Norm gesehen werden. Oft ist der Reiseveranstalter nicht das Unternehmen, das den Reisebus und den Fahrer stellt. Es wird der Rechtsprechung überlassen bleiben, künftig den tatsächlichen Kreis der Betroffenen festzulegen, wenn der Gesetzgeber nicht endlich einmal von sich aus eine klare Regelung trifft.
Halten Sie die Verordnung in ihrer jetzigen Form eigentlich praktikabel?
Hierzu ein klares Ja. Warum soll der KEP-Dienstleistungsbranche nicht das Gleiche gelingen, was den Unternehmen gelungen ist, die durch die VO(EG) Nr. 561/2006 (EU-Lenkzeitenverordnung – Anm. d. Red.) betroffen sind. Allerdings wird es der KEP-Dienstleistungsbranche leichter fallen, die Vorgaben der Verordnung umzusetzen, wenn sie generell ihre Fahrzeuge mit digitalen Kontrollgeräten bestückt. Die Zeit des Einsatzes von Tageskontrollblättern, die jeglicher Manipulation offen sind, muss endlich ein Ende haben. Die Gesundheit der Arbeitnehmer und die Sicherheit des Straßenverkehrs sind mit dieser manipulationsfähigen Aufzeichnungsart nicht mehr vereinbar.
Aber der Bürokratieaufwand wird höher?
Dem Argument kann ich nicht folgen. Seit Jahrzehnten existiert bereits § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, über die werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen. Bedauerlicherweise wird diese Vorschrift in vielen Fällen nicht umgesetzt. Zudem gibt es eine Aufzeichnungspflicht für die Transportbranche aus dem Mindestlohngesetz. § 20 a Abs. 2 FPersV belastet daher die Unternehmen nicht mehr. Die gewonnen Daten müssen nur zusätzlich auch den Behörden zur Verfügung gestellt werden, die die Fahrpersonalvorschriften und die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes prüfen. Bislang konnten die Daten über das Mindestlohngesetz nur durch die Zollbehörde kontrolliert werden. Die Angst der KEP-Branche gilt nicht dem Bürokratieaufwand, die Angst gilt anderen Befürchtungen.
Das Interview führte VR-Mitarbeiter Alexander Heintze