"Auf lange Sicht ist der Diesel ein Auslaufmodell"

Der Verkehr hält seine Vorgaben zur Erreichung der Klimaschutzziele nicht ein. Ist der Güterverkehr mitverantwortlich für die Klimakatastrophe? Der Verkehrssektor hat einen Anteil von etwa 18 Prozent an den gesamten CO2-Emissionen in Deutschland. Der Sektor und hier insbesondere der Güterverkehr kämpft aber mit einer Besonderheit: Er ist in den letzten Jahren enorm gewachsen und soll zwischen 2015 und 2030 weiter zulegen, um 38 Prozent. So ein Wachstum lässt sich nicht ohne Emissionen realisieren. Während es gelungen ist, die spezifischen Emissionen - also im Falle des Verkehrs die Emissionen pro zurückgelegten Kilometer - in den letzten Jahren erheblich zu senken, sind aufgrund der zunehmenden Kilometer die Gesamtemissionen im Verkehr gegenüber 1990 leicht gestiegen. Damit verfehlt der Verkehr sein Klimaziel eklatant. Derzeit sieht es danach aus. Der Verkehr muss seine absoluten Emissionen bis 2030 um etwa 40 bis 42 Prozent senken. Das Klimaziel ist keine unverbindliche Zielvorgabe, sondern wir haben uns dazu verpflichtet im Rahmen der EU-Lastenteilungsverordnung. Hält Deutschland dieses Ziel nicht ein, sind damit Strafzahlungen verbunden. Die Arbeitsgruppe 1 (AG 1) der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität, in der Sie mitarbeiten, hat sich mit dem Thema CO2-Emissionsreduzierung befasst. Herausgekommen ist nicht viel. Wurde dort nur heiße Luft produziert? Ich würde Ihnen da widersprechen. Die Gruppe sollte Maßnahmen finden, die geeignet sind, die Klimaschutzziele im Verkehr zu erreichen. Es sind viele Maßnahmen diskutiert worden. Sie haben insofern recht, dass es nicht zu einem Maßnahmenpaket gekommen ist, das geeignet wäre, die Zielvorgaben komplett zu erreichen. Aber wir sind auf dem Weg zu diesem ehrgeizigen Ziel ein großes Stück vorangekommen. Was heißt "großes Stück"? Um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen, müssen wir die Emissionen von 169 Millionen Tonnen im Jahr 2017 auf 98 Millionen Tonnen CO2 absenken. Mit dem in der AG 1 beschlossenen Maßnahmenpaket kommen wir mindestens bis auf 26 Millionen Tonnen an die Zielvorgabe heran. Das ist ein durchaus beachtliches Ergebnis. Das sehen die Umweltverbände anders, zumal es für ein Drittel des Weges bis 98 Millionen Tonnen keine Lösung gibt. Ich möchte auch nicht behaupten, die Ergebnisse wären ein Erfolg auf der ganzen Linie. Aber wir haben einiges erreicht. Nämlich ein Maßnahmenpaket, das von allen gemeinsam beschlossen wurde. Als Zweites haben wir der Bundesregierung einen Auftrag erteilt, eine CO2-Bepreisung zu prüfen, die sich über die Sektoren erstrecken soll, die nicht dem Emissionshandel unterliegen. Zudem haben wir vereinbart, dass die anderen von uns vorgeschlagenen Maßnahmen alle zwei bis drei Jahre überprüft werden. Ein Grund, warum es kein vollständiges Ergebnis gab, war die knappe Zeit. Zwischen der ersten Sitzung der AG 1 und der Vorstellung der Ergebnisse am 29.März lag nur ein halbes Jahr. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse durchaus ein Erfolg, auch wenn sie dem einen oder anderen nicht weit genug gehen. Wie könnte eine CO2-Steuer aussehen? Das soll der Prüfauftrag ergeben. Ich gehe davon aus, dass es beispielsweise eine CO2-orientierte Ausgestaltung des Mautsystems geben wird. Auch bei der Mineralölsteuer wäre ein Ansatz denkbar. Aber die Festlegung ist Sache der Bundesregierung. Der Verkehrsminister hatte sich in die laufende Debatte eingebracht und ein Tempolimit auf der Autobahn ausgeschlossen. Sind solche Eingriffe mit Denkverboten hilfreich? Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Mitglieder der AG 1 dies als Denkverbot aufgefasst haben. Es stimmt auch nicht, dass die AG ein Tempolimit vorgeschlagen hat. Jeder in der Gruppe hatte die Möglichkeit, seine wichtigsten Maßnahmen vorzustellen. Da war natürlich alles dabei, auch das Tempolimit, ohne dass darüber in der Gruppe intensiv diskutiert wurde. Wären Sie denn für ein Tempolimit? Nein. Es gibt Schätzungen, nachdem Tempo 130 eine Einsparung von einer Millionen Tonnen CO2 bringt. Für so eine kleine Hebelwirkung eine solch emotionale Debatte loszutreten, könnte sämtliche anderen Aktivitäten der AG konterkarieren. Sicher gibt es Gründe für Tempolimits, etwa die Verbesserung des Verkehrsflusses oder Lärmreduzierung. Der Klimaschutz rangiert in dieser Liste der Argumente eher weiter hinten. Geht Klimaschutz im Güterverkehr ohne Verbote und Einschränkungen? Ohne Fahrverbote kann man auf jeden Fall auskommen. Die Fahrverbote, über die in den Städten diskutiert wird, haben ja mit dem CO2-Ausstoß nichts zu tun. Da geht es um Luftreinhaltung und Stickoxide. Einschränkungen und Verbote im Sinne einer verkehrspolitischen Planwirtschaft sollte es nicht geben. Wir sollten stattdessen alle Hebel in Bewegung setzen, bei denen es um Förderung von Innovationen geht. Dazu bedarf es aber auch eines entschlossenen Handelns. Haben Sie dafür ein Beispiel? Der Aufbau einer Infrastruktur für eine weit verbreitete E-Mobilität: also ein verzweigtes Netz an Ladesäulen. Ganz am Anfang stehen wir auch bei den strombasierten Kraftstoffen. Da befinden wir uns noch im Versuchsstadium. Zeichnet sich im Fernverkehr eine Option ab, die den Dieselantrieb tatsächlich ersetzen könnte? Das hängt stark vom Gewicht des Lkw ab. Elektroantriebe sehe ich allenfalls für Fahrzeuge bis ca. 20 Tonnen als eine Möglichkeit an. Bei Fahrzeugen über 20 Tonnen ist noch alles offen. Zudem gibt es den Oberleitungs-Lkw. Dann muss aber eine politische Entscheidung getroffen werden, die Infrastruktur zu bauen. Für uns ist auch LNG nach wie vor eine Option. Das sehen die Umweltverbände sehr skeptisch, weil es ein fossiler Brennstoff ist. Aber 20 Prozent CO2-Einsparung ist nicht zu verachten. Als weitere Technik kämen die Brennstoffzelle und E-Fuels infrage. Für neue Treibstoffe gilt: Es muss die Versorgungsinfrastruktur aufgebaut werden. Der Diesel ist keine Option mehr? Doch. Bis 2030 wird der Diesel zumindest im Fernverkehr immer noch zum Einsatz kommen. Allerdings: Wenn man das Ziel betrachtet, wonach bis 2050 der Verkehr weitgehend emissionsfrei sein soll, wird der fossile Diesel auf lange Sicht ein Auslaufmodell sein. Fasst man Ihre Aussagen zusammen, werden die fehlenden 30 Prozent bis 2030 nicht vom Schwerlastverkehr kommen, weil es keine entsprechende Technik gibt. Das kann man so nicht sagen. Der Lkw-Verkehr hat ja seine eigenen Ziele erhalten. Die Flottengrenzwerte der EU schreiben minus 30 Prozent bis zum Jahr 2030 vor. Der Lkw-Verkehr wird also einen Beitrag leisten müssen. Sind diese Grenzwerte erreichbar? Wir halten das - vorsichtig formuliert - für eine sehr große Herausforderung. In den unteren Gewichtsklassen sieht man Bewegung. Aber selbst hier gab es bislang keinen deutschen Hersteller, der einen E-Lkw anbietet, den man am Markt kaufen kann. Wir halten daher die Vorgaben für extrem ambitioniert. Scheuer hat das Ziel vorgegeben, dass bis 2030 500.000 Elektro-Lkw auf Deutschlands Straßen fahren sollen. Das ist dann aus Ihrer Sicht unrealistisch? Ich halte das nicht für ausgeschlossen. Die Batterieentwicklung schreitet voran. Aber solche Lkw müssen dann noch in Serie produziert werden. Dafür ist ein Zeitraum von zehn Jahren sehr kurz. Haben die Lkw-Hersteller den Wechsel auf andere Antriebe verschlafen? Dieser Vorwurf ist einerseits nicht ganz unberechtigt, aber andererseits macht man es sich zu einfach. Die Hersteller müssen in der Entwicklung neuer Technologien ein Geschäftsmodell sehen. Wenn es aber keine Ladeinfrastruktur gibt und wenn die Zahl der Abnehmer zu den gegebenen Kosten und damit Verkaufspreisen überschaubar ist, besteht für die Anbieter wenig Anreiz, in diese Technologie zu investieren. Wie viel kostet uns die Erreichung der Klimaschutzziele? Es gibt dafür noch kein verbindliches Preisschild. So ein ehrgeiziges Ziel ist jedoch nicht zum Nulltarif zu haben. In den Medien kursierte mal eine Zahl, dass die Maßnahmen im Sektor Verkehr 164 Milliarden Euro kosten würde. Es ist eine Frage der Maßnahmen, die beschlossen werden: Der Ausbau einer Tank- und Ladeinfrastruktur soll 20 Milliarden Euro kosten. Die Ausstattung des Schienennetzes mit ETCS, also die Digitalisierung der Schiene, schlägt mit ungefähr 30 Milliarden Euro zu Buche. Klar ist: Wir benötigen im Verkehrssektor große Investments. Man darf jedoch nicht vernachlässigen, dass mit diesen Maßnahmen das Verkehrssystem effizienter und leistungsfähiger gemacht wird und somit nicht nur Kosten damit verbunden sind, sondern auch Einsparungen. Ist die Verlagerung von Verkehren von der Straße auf die Schiene der goldene Weg, um die Emissionen zu senken, weil die Bahn deutlich weniger Emissionen ausstößt als der Lkw? Das ist ein Weg, aber man darf die Möglichkeiten der Schiene nicht überschätzen. Verlagerung gelingt nur, wenn man Kapazitäten schafft. Dazu muss man die Knoten erweitern, weil 80 Prozent aller Schienenverkehre in Deutschland durch solche Knoten verlaufen. Aber trotz solcher Maßnahmen wird der Großteil des Güterverkehrs weiterhin über die Straße abgewickelt. Wenn die Schiene im Modal Split fünf bis sechs Prozentpunkte hinzugewinnen würde und damit auf einen Anteil von 23, 24 Prozent käme, wäre das schon ein sehr großer Erfolg. Welche Maßnahmen sind zur Verlagerung notwendig? Da gibt es viele Instrumente. Ganz wichtig ist, das bestehende Schienennetz zu erhalten. Hier muss einiges getan werden. Wir müssen zudem an hochbelasteten Routen Ausweichmöglichkeiten haben: Das hat die Streckenunterbrechung bei Rastatt 2017 gezeigt. An manchen Stellen brauchen wir auch einen Neu- und Ausbau. Das Thema "Digitalisierung der Schiene" ist bei Weitem nicht mit ausreichenden Finanzmitteln hinterlegt. Wir brauchen auch eine Fahrzeugförderung, weil ein Großteil der Digitalisierung sich in den Loks abspielt. Möglich wäre auch die Verlagerung von Transporten auf die Binnenschifffahrt. Welches Potenzial hat die Binnenschifffahrt? Die Binnenschifffahrt ist nach der Schiene der effizienteste Verkehrsträger, was den CO2-Ausstoß betrifft. Derzeit beträgt ihr Anteil im Modal Split etwa acht Prozent. Wir haben in der AG 1 über die Binnenschifffahrt gesprochen und ein Wachstum um 1 bis 1,5 Prozentpunkte gesehen. Das hört sich nicht nach viel an, ist aber nicht wenig, wenn man bedenkt, dass für viele Transporte die Binnenschifffahrt nicht infrage kommt, weil es keine Flüsse oder Kanäle gibt. Wir haben aber auch bei diesem Verkehrsträger versäumt, die Wasserstraßen zu ertüchtigen, vor allem die Schleusen. Zudem fehlt Personal bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, weshalb aus dem Verkehrsetat 2018 rund 500 Millionen Euro nicht verbaut werden konnten, die für die Binnenschifffahrt gedacht waren. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer fällt nicht durch unbändigen Ehrgeiz auf, wenn es um die Realisierung der Klimaschutzziele geht. Ist Scheuer der richtige Mann für dieses Thema? Seine Zurückhaltung hat Gründe. Denn von allen Segmenten, die zum Klimaschutz beitragen sollen, ist der Verkehr sicherlich derjenige, den man am schwierigsten umsteuern kann. Die Maßnahmen, über die Scheuer entscheiden muss, betreffen jeden Einzelnen von uns. Das kann bei Menschen die Wahl des Arbeitsplatzes beeinflussen oder bei Unternehmen die Wahl des Ortes für eine Niederlassung. Natürlich betrifft auch der Kohleausstieg jeden von uns, aber nur indirekt. Bei den Verkehrsthemen sind die Emotionen und das Erregungspotenzial viel größer. Der Minister muss gut abwägen, darf auch die wirtschaftlichen Interessen nicht aus den Augen verlieren und erscheint daher manchmal als Bremser. Er versucht, die richtige Balance zu finden: keine leichte Aufgabe. Vita Heike van HoornSeit Januar 2018 ist Heike van Hoorn Geschäftsführerin des Deutschen Verkehrsforums (DVF). Van Hoorn ist geboren 1971 in Leer. Sie studierte in Münster, Berlin und Baltimore (USA) Geschichte und Germanistik und promovierte an der Uni Münster. Zwischen 2003 und 2009 war sie in verschiedenen Funktionen für die Hessische Staatskanzlei tätig. Danach arbeitete sie beim Flughafenverband ADV und war dort zuletzt für die Gremien- und Verbandsstrategie verantwortlich. Sie ist Mitglied der Arbeitsgruppe 1 Klimaschutz im Verkehr bei der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität. Van Hoorn ist verheiratet und Mutter von Zwillingen. Sie hat zudem zwei Kriminalromane veröffentlicht. cd

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