Wachstum mit Vorbehalt

Das Abwertungsfieber greift um sich. Der Virus mit dem Namen "Reduzierung der Wachstumsprognose" wandert seit Herbst 2018 von einem Wirtschaftsinstitut zum nächsten. Wenige Monate zuvor war die Welt noch in Ordnung: 2,1 Prozent Wirtschaftswachstum lautete die Prognose in der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung für 2019. Überraschend hohes Verkehrswachstum Vier Monate später setzte der Abwärtstrend ein. Mittlerweile sagt beispielsweise das Ifo-Institut nur noch 0,6 Prozent Wirtschaftswachstum voraus. Auch die Mittelfristprognose für den Güterverkehr zeigte sich nicht immun, was jedoch nicht überrascht: Denn das Wirtschaftswachstum ist eine der wichtigsten Einflussgrößen auf die Transportnachfrage, aber nicht die einzige. Das verdeutlichen die Ergebnisse der aktuellen Ausgabe der Mittelfristprognose, die im Wesentlichen von Intraplan erstellt wurde (mit Unterstützung des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG)). Auftraggeber dieser halbjährlichen Untersuchung ist das Bundesverkehrsministerium. Demnach können sich die Akteure im Güterverkehrsmarkt 2019 auf ein Plus von 2,8 Prozent einstellen. Maßgeblicher Wert ist die Verkehrsleistung, da das Wachstum des Aufkommens (plus 1,7 Prozent 2019) nicht berücksichtigt, ob eine Tonne über einen oder 1000 Kilometer transportiert wird.Diese Zahl von 2,8 Prozent Güterverkehrswachstum überrascht insofern, als die Grundlage für die Prognose der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung vom Januar 2019 ist. Darin findet sich im laufenden Jahr für Deutschland nur ein Zuwachs von 1,0 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt (BIP). Die Güterverkehrsleistung soll also fast um das Dreifache klettern. Ralf Ratzenberger, bei Intraplan verantwortlich für die Studie, nennt gegenüber der Verkehrs-Rundschau dafür Gründe, die zeigen: Es gibt auch andere Einflussfaktoren als das Wirtschaftswachstum. "Der Außenhandel wächst stärker als das BIP", lautet sein erstes Argument. Bei den Exporten wird ein Plus von 2,7 Prozent, bei den Importen eine Zunahme von 4,0 Prozent erstellt. Diese Steigerungen gleichen sich beim BIP annähernd aus und sind deshalb hier kaum sichtbar, im Güterverkehr dagegen sehr wohl. "Zudem sind grenzüberschreitende Verkehre in der Regel länger als nationale Transporte, sodass die Verkehrsleistung überproportional steigt", erklärt der Verkehrsexperte. Außerdem ist zu beobachten, dass die Transportintensität seit 2013 wieder größer eins ist und damit auf ihren Wachstumspfad zurückgekehrt ist. Die Transportintensität beschreibt das Verhältnis zwischen Wachstum der Transportleistung und Wachstum des BIP. Liegt dieser Wert über eins, so bedeutet das, dass ein Wachstum beim BIP ein noch höheres Wachstum bei der Verkehrsleistung auslöst. Kann sich das deutsche Güterverkehrsgewerbe also 2019 angesichts voller Auftragsbücher entspannt zurücklehnen? Das wäre der falsche Rückschluss. Zum einen hat der Virus abnehmender Prognosewerte auch die Mittelfristprognose erfasst. Die Vorhersagen für 2018, 2019 und 2020 liegen in der aktuellen Prognose zum Teil deutlich niedriger als in der Vorhersage aus dem Herbst 2018 (siehe Grafik rechts). Schon damals hatte die VerkehrsRundschau darüber berichtet, dass die Herbstprognose womöglich etwas zu optimistisch ausgefallen ist (siehe VR 44/2018). Dieser Effekt könnte jetzt wieder eintreten. Die aktuellen Prognosen zum Wirtschaftswachstum liegen leicht unter den Werten, die Intraplan für seine Vorhersage herangezogen hat. "Wenn die Zunahme tatsächlich nur 0,5 Prozent betragen sollte, müsste man auch ein etwas geringeres Güterverkehrswachstum ansetzen", sagt Ratzenberger. Doch für eine Korrektur der Zahlen sei es derzeit zu früh: "Mich stimmt zudem zuversichtlich, dass im Frühjahrsgutachten der führenden deutschen Wirtschaftsinstitute das Wirtschaftswachstum in Deutschland für 2019 mit 0,8 Prozent wieder leicht höher angesetzt wurde." Aber es bestehen natürlich Risiken, wie die Gefahr neuer Zollmaßnahmen durch die USA und vor allem der Brexit. Wie sich ein harter Brexit auf die Güterverkehrsnachfrage auswirken würde, kann Ratzenberger nicht sagen: "Seitens der Wirtschaftsforschungsinstitute gibt es keine Zahlen, wie sehr ein solcher Brexit das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen würde" (siehe auch Seite 7). Aus den Zahlen der aktuellen Prognose geht auch hervor, dass die Teilmärkte im Güterverkehr von der guten Nachfrage 2019 unterschiedlich stark profitieren. Ganz vorne steht ausnahmsweise die Binnenschifffahrt, deren Güterverkehrsleistung um 9,8 Prozent klettert. Das hat aber vor allem damit zu tun, dass die Binnenschiffer 2018 "einen der dramatischsten Einbrüche in der Nachkriegsgeschichte" hinnehmen mussten, wie es in der Studie heißt. Der Hauptgrund war das andauernde Niedrigwasser, das 2018 zu einem Rückgang in Höhe von 14,5 Prozent geführt hat. Es gelingt der Binnenschiffer also nicht, die verlorene Menge komplett wieder zurückzuholen. KV legt 2019 deutlich zu mit 6,4 Prozent Auch das ist ein Grund, weshalb der Eisenbahnverkehr im Jahr 2019 mit 3,5 Prozent überdurchschnittlich wächst. Denn einige Gütertransporte auf den Wasserwegen sind bei der Bahn gelandet. Die profitiert auch von der Anhebung der Lkw-Maut und Senkung der Trassenpreise auf dem Schienennetz. Ein weiterer Treiber ist der Kombinierte Verkehr (KV), der 2019 um 6,4 Prozent zulegen soll und damit deutlich stärker wächst als im schwachen Jahr zuvor (plus 2,6 Prozent). Der KV profitiert überproportional von den zunehmenden Ex- und Importströmen in Form von Containerverkehren und von der Mauterhöhung. Der Straßengüterverkehr hingegen muss sich 2019 mit einem unterdurchschnittlichen Plus von 2,4 Prozent zufriedengeben. Dazu trägt auch die Erhöhung der Lkw-Maut zum 1. Januar 2019 bei. Der Mautsatz für die wichtigste Lkw-Kategorie klettert um fünf Cent auf 18,7 Cent pro Kilometer. Das bedeutet einen Anstieg der Gesamtkosten um durchschnittlich 2,5 Cent. Alleine deshalb verringert sich die Güterverkehrsleistung 2019 um 0,3 Prozent. "Der Effekt ist also spürbar, aber nicht gravierend", heißt es in der Prognose. Eine Erhöhung der Nachfrage im Straßengüterverkehr um 2,4 Prozent: Damit wären die meisten deutschen Anbieter durchaus zufrieden. Doch kommt hier die nächste Einschränkung. Denn von der steigenden Nachfrage profitieren vor allem die ausländischen Anbieter. Während die Verkehrsleistung ausländischer Lkw 2019 um 5,4 Prozent steigen soll, müssen sich die hiesigen Unternehmen mit mickrigen 0,3 Prozent zufriedengeben. Vom Güterverkehrswachstum in Deutschland profitieren also nicht alle. Mittlerweile beträgt der Marktanteil ausländischer Lkw über alle Hauptverkehrsverbindungen 42 Prozent, bei den grenzüberschreitenden Verkehren sogar 91 Prozent. Nach Aussage von Ratzenberger ist eine Trendwende nicht absehbar. "Die ausländischen Anbieter sind kostengünstiger und haben nicht so sehr mit dem Fahrermangel zu kämpfen wie die deutschen. Deshalb gewinnen ausländische Lkw weiterhin Marktanteile hinzu", lautet seine Prognose, die deutsche Transportunternehmen wenig begeistern dürfte. Mehr zum Thema im Dossier Markt für Transporte www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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