Berlin. Hans-Christian Ströbele spricht von Lebensgefahr, Diskriminierung am Reichstag und malträtierten Pobacken wegen des Kopfsteinpflasters im Osten Berlins. „Ich könnte Fahrradminister werden", sagt der Grünen-Politiker, der fast alle Wege auf seinem alten Rad zurücklegt. Ob eine rot-grüne Bundesregierung dieses Amt für den 71-Jährigen schaffen würde, ist fraglich. Aber Ströbele kann wie kein zweiter Bundestagsabgeordneter berichten, welche ambivalente Erfahrungen Radfahrer in der Hauptstadt machen.
Hunderte Milliarden wanderten in den Straßenbau, sagt er, aber für Radfahrer mangele es überall an Parkmöglichkeiten und Wegen. „Schon mehrmals haben Busfahrer quasi meinen Lenker gestreift", berichtet Ströbele. Und bei Staatsbesuchen wurde er mit seinem Rad schon mal von der Polizei am Osttor des Reichstags verjagt oder sein dort abgestelltes Rad wurde entfernt.
Ströbele fordert angesichts der vielen Vorteile für den Klima- und Umweltschutz eine Gleichbehandlung und eine Masterplan für den Radverkehr. „Und dass man endlich das Rad auch im ICE mitnehmen darf." Letztlich könnten mehr Radfahrer durch die positiven Effekte für die Gesundheit auch die Sozialkassen entlasten.
Knapp zwei Kilometer von Ströbeles Büro entfernt sitzt der für Radler zuständige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Der CSU-Politiker will nicht nur Bahn- und Autominister sein. Fragt man ihn, ob nicht mehr für die Fahrradfahrer getan werden müsse, antwortet er: „Da radeln Sie bei mir offene Türen ein. Radfahren wird für immer mehr Menschen immer beliebter und ist das umweltfreundlichste Fahrzeug überhaupt." Nach Angaben des Statistischen Bundesamts nutzen bereits fast zehn Prozent der Bürger das Rad für den Weg zur Arbeit.
Das Radfahren werde unter anderem mit dem Bau von Radwegen mit rund 100 Millionen Euro pro Jahr gefördert, sagt Ramsauer. Er will nun besonders das Leihradsystem stärken. In Hamburg etwa hat der schwarz-grüne Senat 2009 ein System mit roten Stadträdern etabliert.
An mehr als 70 Standorten kann man nach vorheriger Anmeldung via Internet ein Rad mitnehmen und an anderer Stelle wieder abstellen. Die erste halbe Stunde ist umsonst, die zweite kostet vier Cent, der Tagespreis beträgt 12 Euro. Auch die Bahn bietet Leihräder an.
12,7 Millionen Euro will Ramsauer bis Ende 2012 ausgeben für die Stärkung der Leihsysteme. Mehrere Modellvorhaben gehen in Kürze an den Start, so auf Usedom, in Berlin und Nürnberg. Das Leihsystem hat aus Ramsauers Sicht vor allem im Berufsverkehr klare Vorteile: „Die Mitnahme des Drahtesels in überfüllten U- und S-Bahnen entfällt, ebenso der Fußmarsch von der Haltestelle bis zum Ziel. Für die letzten Kilometer des Weges stehen Leihfahrräder bereit."
Für Bettina Cibulski vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) ist die Idee nicht schlecht, aber die Fahrradlobby wirft Ramsauer eine Art Schaufensterpolitik vor. So friste die Fahrradpolitik im zuständigen Referat am Standort Bonn neuerdings ein Nischendasein.
Ramsauer müsse dafür sorgen, dass es bundesweit bessere Bedingungen gebe. Während Münster mit gut 37 und Freiburg mit 26 Prozent einen hohen Radanteil am Verkehr habt, fristet der Radverkehr in Dortmund oder Chemnitz laut ADFC mit 5 bis 7 Prozent ein Schattendasein.
Aus ADFC-Sicht müssen es nicht unbedingt nur mehr Radwege sein. Der Bund müsse sich vor allem der Sicherheit für die Radler annehmen. So sollten Lastwagen eine Sensorik erhalten, um sie beim Abbiegen automatisch abzubremsen, wenn Menschen gefährdet werden. „Stattdessen wurde bei der Verkehrsministerkonferenz gerade wieder nur über eine Helmpflicht für Radfahrer diskutiert", klagt Cibulski. (dpa)