Allianz für mehr Schiene

An die Gleisanschlussförderung des Bundes stellt Tino Bauer konkrete Forderungen. Unternehmen mit eigenem Gleisanschluss müssten in der Lage sein, ihre Infrastruktur optimal auszulasten, betont der geschäftsführende Gesellschafter der Bauer Spedition im sächsischen Callenberg. "Deswegen sollen mehr Zugangspunkte zum System Schiene geschaffen werden und der negative Trend, immer mehr Gleisanschlüsse zu schließen, aufgehalten und mittelfristig umgedreht werden", drängt Bauer, der unlängst zum neuen Vorsitzenden des Fachausschusses Schienengüterverkehr des Bundesverbands Spedition und Logistik (DSLV) gewählt wurde, auf Maßnahmen. Bauer weiß, wovon er spricht. Der Weg zu einer eigenen Gleisinfrastruktur ist trotz Fördergelder weiterhin mit hohen Kosten und bürokratischen Hindernissen verbunden. Für einen 2015 realisierten Anschluss musste Bauer nicht weniger als 14 Genehmigungen einholen. Mit der Nachfrage kann er jedoch zufrieden sein. "Jeden Werktag werden sieben bis acht Waggons im Einzelwagenverkehr abgefertigt", sagt der Unternehmer, der zahlreiche Kunden in der Papier- und Stahlindustrie hat. Breites Bündnis weckt Neugierde Angesichts solcher Erfahrungen fällt Bauer die Unterstützung der Gleisanschluss-Charta, die der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) initiiert hat, leicht. Außer dem DSLV haben rund 40 weitere Verbände und Institutionen aus Wirtschaft und Verwaltung diese unterzeichnet. Das Spektrum reicht vom Deutsche Städtetag über den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und den Verband der Chemischen Industrie (VCI) bis zur Bundesvereinigung Logistik (BVL), dem Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) und dem Deutschen Verkehrsforum (DVF). Mit der Resonanz kann der VDV zufrieden sein. "Das breite Bündnis der Unterzeichner weckt Neugierde", stellt Georg Lennarz, VDV-Fachbereichsleiter Marktfragen Güterverkehr, erfreut fest. "Vor allem unsere Forderungen nach Bürokratieabbau, Kostensenkungen, Absicherung von Investitionen und Entwicklung von multimodalen Verkehren werden beachtet." Der Zeitpunkt für das Papier ist günstig. Als Folge der Klimaschutzdiskussionen finden Forderungen, die Schiene solle zusätzliche Verkehre aufnehmen, heute weit mehr Resonanz als noch vor wenigen Monaten. In dieses Bild passt jedoch nicht, dass viele Gleisanschlüsse weiterhin stillgelegt und nur wenige reaktiviert werden. Trendwende ist möglich Von 1997 bis 2018 ist die Zahl der Gleisanschlüsse von 11.000 auf 1600 zurückgegangen. Auch wenn die aktuellen Statistiken unvollständig sind - bei ihren Zählungen für 2018 hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) nicht die Anlagen der Speditionen berücksichtigt -, fällt der Rückgang trotzdem massiv aus. Der VDV hält jedoch eine Trendwende für möglich. Mit 28,8 Milliarden Tonnenkilometern (tkm) haben Einzelwagenverkehre 2016 bei der Transportleistung einen Marktanteil von 25 Prozent im Schienengüterverkehr eingefahren. Kombinierte Verkehre (46,8 Milliarden Tonnenkilometer beziehungsweise 41 Prozent) und Ganzzüge (38,2 Milliarden Tonnenkilometer beziehungsweise 34 Prozent) liegen trotzdem deutlich vorn. Für Lennarz werden Einzelwagenverkehre von Politik und Wirtschaft weiterhin unterschätzt. "Wir wollen die Aufmerksamkeit auch auf Gleisanschlüsse und andere kundennahe Zugangsstellen lenken", sagt der Verkehrsexperte. Gerne verweist er auf Referenzunternehmen, die mit ihrer Infrastruktur erfolgreich sind und diese sogar ausbauen. So hat im Januar 2019 Smurfit Kappa im niedersächsischen Hoya einen dritten Gleisanschluss für Altpapieranlieferungen eröffnet. Auf diesem fertigt der Papier- und Kartonhersteller jede Woche mindestens 15 Waggons ab. Smurfit Kappa begründet den Ausbau seiner Schienengüterverkehre auch mit dem wachsenden Mangel an Berufskraftfahrern und den Freiräumen bei der Be- und Entladung. "Ein Güterwaggon kann eine Weile im Gleis stehen, ein Lkw muss sofort abgefertigt werden", sagt Logistikchef Volker Wollschläger. Der Hersteller profitiert aber von ungewöhnlich guten Rahmenbedingungen. Da in Dänemark weit weniger Gleisanschlüsse als in Deutschland geschlossen worden sind, können die dortigen Werke die Altpapierlogistik weitgehend auf der Schiene abwickeln und den Wertstoff auf diesem Verkehrsträger direkt nach Hoya transportieren. "Wir würden gerne auch in Deutschland möglichst viel Altpapier per Eisenbahn umschlagen", sagt Wollschläger. Zudem ist das Werk Hoya an das Netz des privaten Eisenbahnverkehrsunternehmens VGH angebunden, das im vergangenen Jahrzehnt Millionen Euro in die Sanierung seiner Infrastruktur gesteckt hat. Solche Voraussetzungen wünschen sich viele Verlader und Speditionen. "Wir würden unseren ehemaligen Gleisanschluss gerne wieder nutzen", sagt Ralf Niess, Logistikleiter des Unternehmens Häffner im württembergischen Asperg. Das Unternehmen hat seine Einzelwagenverkehre Anfang dieses Jahrzehnts eingestellt, weil weder Bahn noch Kommune den Netzanschluss mit eigenen Geldern instand halten wollten. Häffner war das einzige von ursprünglich sechs Unternehmen, das diese - mittlerweile abgebaute - Trasse noch nutzte. "Allenfalls an einem neuen Standort ist eine Wiederaufnahme der Schienenverkehre möglich", ahnt Niess. Politik sagt Machbarkeitscheck zu Vergleichbare Probleme machen auch anderen Unternehmen zu schaffen. So kann ein Industrieunternehmen im südlichen Niedersachsen seinen Gleisanschluss nicht wieder nutzen, weil auf der Zufahrtstrasse heute viertelstündlich Schienenfahrzeuge des öffentlichen Nahverkehrs fahren und deswegen keine Rangierfahrten mehr möglich sind. "An vielen Standorten fehlen heute Kapazitäten für Zugauflösungen und Waggonabstellungen", stellt Marcel de la Haye, Geschäftsführer der Dortmunder Eisenbahn GmbH, fest. "Deshalb wird es immer schwieriger, Gleisanschlüsse zu attraktiven Bedingungen zu bedienen." Bei der Übergabe der Charta Ende Juni in Berlin hatte Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, den Unterzeichnern einen "Machbarkeitscheck" für jeden Vorschlag versprochen. Der VDV plant nun eine Anfrage an die Unterzeichner, welche Maßnahmen diese als besonders dringlich erachten. "Wir wollen eine Top-10-Liste erstellen", sagt Lennarz. Die Instandhaltung und der Ausbau der vorgelagerten Schieneninfrastruktur werden wohl auf den vorderen Plätzen landen. Mehr zum Thema im Dossier Schienengüterverkehr www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Auf Initiative des Verbands der Deutschen Verkehrsunternehmen (VDV) haben rund 40 Verbände und Vereine aus Industrie, Handel, Logistik und öffentlichen Einrichtungen eine Gleisanschluss-Charta erstellt. Gemeinsam machen sie sich für mehr Gleisanschlüsse im deutschen Schienennetz stark. Das will die Gleisanschluss-Charta - Gleisanschlussförderung weiterentwickeln und nutzerfreundlicher gestalten: Die Förderung ist auch auf Zuführungsgleise auszudehnen.- Bürokratie abbauen und Regularien vereinfachen: Die Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen vereinfacht werden.- Kosten für den Anschluss an das öffentliche Netz senken. Auch hier wird eine"100-Prozent-Förderung" gefordert.- Vorgelagerte Infrastruktur leistungsfähiger machen. Die Unterzeichner wünschen ein Gesamtkonzept zur Finanzierung unabhängig von den Eigentumsverhältnissen. bot

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