Alle unter einem Dach

Die Deutsche Post DHL Group räumt auf der letzten Meile auf: Laut einem vertraulichen Dokument, das die Zeitung "Die Welt" veröffentlicht hat, plant der Bonner Logistikkonzern, alle Zusteller in einem sogenannten Gemeinschaftsbetrieb zusammenzufassen.Bisher kommen zwei Sorten von Mitarbeitern zum Einsatz: solche, die direkt bei der Post angestellt sind und nach dem Haustarif entlohnt werden, und solche, die für die Tochterfirma Delivery arbeiten. Diese wurde 2015 - gegen den Widerstand der Gewerkschaften - gegründet. Sie besteht aus 46 Regionalgesellschaften und bezahlt ihre 11.000 Paketzusteller nach den am Ort gültigen Tarifen des Speditions- und Logistikgewerbes, die in der Regel unter den Haustarifen des Konzerns liegen.Dementi aus dem Bonner Post-TowerBisher sind diese beiden Zustellschienen organisatorisch strikt getrennt: Delivery bedient eigene Auslieferbezirke, verfügt über eigene Depotleiter und Personaleinsetzer. Schon im Mai könnte das jedoch vorbei sein. Laut dem Geheimpapier sollen dann alle Zusteller wieder unter einem Dach und einer einheitlichen Führung arbeiten. Gelingt es der Post so, zu Konkurrenten wie DPD oder Hermes aufzuschließen, die bei den Personalkosten die Nase vorn haben?Für die Gewerkschaften sind die Pläne aus dem Hause Appel schon jetzt ein rotes Tuch. Sie kritisieren, dass bei der Post in Zukunft Angestellte, die das gleiche Fahrzeug nutzen, die gleiche Arbeit machen und den gleichen Chef haben, unterschiedlich entlohnt werden. "Das Ziel muss gleicher Lohn für gleiche Arbeit sein", sagt Christina Dahlhaus, Bundesvorsitzende der Kommunikationsgewerkschaft DPV (DPVKOM), in der zahlreiche Beschäftigte der Post organisiert sind. Nach Angaben der Gewerkschaft kann der Abstand zwischen Haustarif und den bei Delivery gezahlten Löhnen inklusive aller Sonderzahlungen in einzelnen Regionen bis zu 20 Prozent betragen. Dahlhaus befürchtet, dass, sobald alle unter einem Dach arbeiten, die niedrigeren Delivery-Löhne zum Standard für neu eingestellte Mitarbeiter werden könnten. "Hier droht eine Aushöhlung der Haustarifverträge." Aus dem Bonner Post-Tower gibt es dazu ein Dementi: "Medienberichte, dass die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Brief- und Paketzustellung unseres Unternehmens verschlechtert werden sollen, entbehren jeder Grundlage", sagte ein Sprecher auf Anfrage. Seit vielen Jahren arbeiteten Mitarbeiter mit unterschiedlichen Lohn- und Gehaltsstrukturen reibungslos zusammen. Darüber hinaus wolle man sich nicht zu Fragen der innerbetrieblichen Organisation äußern.Interessant ist das Konstrukt, das die Post für die neue Zustellorganisation wählen soll: den sogenannten Gemeinschaftsbetrieb nach Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). In ihm können unterschiedliche Belegschaften für ein und denselben Auftraggeber arbeiten - zu unterschiedlichen Löhnen, aber unter einer einheitlichen Führung. "Vielleicht hat man gemerkt, dass der Organisationsaufwand für zwei getrennte Strukturen zu hoch ist", vermutet Jörg Schulte von der Unternehmensberatung Schulte Bender & Partner in Münster. Führungsstrukturen straffen und mehr Durchgriff bekommen, das könnten die Motive für den Umbau sein, sagt Schulte. "So kann man sich Schritt für Schritt Kostenvorteile erarbeiten."Rekrutierungsprobleme bei DeliveryDass die Gewerkschaften gegen die Pläne Sturm laufen, kann Schulte nicht verstehen. "Sie bekommen einen einheitlichen Ansprechpartner auf Arbeitgeberseite, das kann auch ein Vorteil sein", erklärt der Organisationsexperte. Allerdings stellt die Entwicklung für kleine Gewerkschaften eine Bedrohung dar, schließlich lässt der Gemeinschaftsbetrieb nur eine Arbeitnehmervertretung zu - und bei deren Gründung könnten die Kleinen das Nachsehen haben. Das würde die "Stimmungsmache" dieser Organisationen erklären, so Schulte. In einem Punkt liegt er eher auf Gewerkschaftslinie: Wenn Mitarbeiter nebeneinander arbeiten, die nicht nur unterschiedlich bezahlt werden, sondern abweichende Urlaubs- und Pausenregelungen haben, könne es zu Missgunst kommen.Andere Experten sehen in der Entscheidung der Post ebenfalls Vor- und Nachteile. "Es kann durchaus sinnvoll sein, eine zentrale Zustellorganisation aufzubauen", meint Klaus Gettwart, Vorstand des Deutschen Verbandes für Post, Informationstechnologie und Telekommunikation (DVPT) in Heusenstamm. Der Verein vertritt die Interessen der Post-Nutzer, vor allem der Geschäftskunden. Gettwarts Argument: Durch eine einheitliche Zustellorganisation wird es für die Post leichter, auf der letzten Meile mit anderen Firmen zu kooperieren. "Und es zeichnet sich ab, dass es ohne Kooperationen hier in Zukunft nicht gehen wird." Er hält es für möglich, dass der Schritt den Ausstieg aus der Eigenzustellung einleiten könnte. "Auf lange Sicht könnte sich die Post ausschließlich als Logistiker positionieren und die teure letzte Meile outsourcen."In einem Punkt sind sich Experten einig: Kurzfristig wird das Aufräumen der Zustellorganisation fast folgenlos bleiben. "Auf die laufende Entgeltrunde hat das keinen Einfluss; zudem ist die Gründung des Gemeinschaftsbetriebs eine unternehmerische Entscheidung, gegen die nicht gestreikt werden kann", so Gewerkschafterin Dahlhaus. Auch DVPT-Vorstand Gettwart erwartet keine sofortigen Folgen und verweist darauf, dass der Bund noch Großaktionär bei DPDHL sei und gegen zu drastische Tarifschritte opponieren werde. Allerdings würden sich die Konflikte innerhalb der Zustellorganisation erhöhen, da sich die Unterschiede im Lohnniveau bei Neueinstellungen verstärken. Die Post verfolge mit Sicherheit auch die Senkung der Lohnkosten, so Gettwart.Ein Punkt spricht dagegen, dass die Post an dieser Front schnelle Erfolge erzielt: der Mitarbeitermangel. "Es gibt schon jetzt ein Rekrutierungsproblem bei Delivery", weiß Dahlhaus. Manche Standorte seien regelrechte "Durchlauferhitzer", in denen viele Neulinge nach der Probezeit wieder kündigen. Zudem sei der Krankenstand hoch. "Nur mit guten Löhnen und Arbeitsbedingungen lässt sich der Personalmangel beheben", resümiert die Arbeitnehmervertreterin. Die Post selbst bestreitet Personalengpässe: "Der Zulauf an neuen Mitarbeitern für die Delivery GmbH ist unverändert hoch", sagt ein Sprecher. Die Zeit wird zeigen, welche Seite recht hat.Mehr zum Thema finden Sie im Dossier KEP www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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