Stuttgart. Die Liste ist lang und sieht auf den ersten Blick aus wie eine Mischung aus einem Kassenbon und einem militärischen Geheimcode. Nummern reihen sich in unablässiger Folge an- und untereinander, die Spalten führen Bauwerkskürzel, Stationen und Straßennummern auf. Die Liste von insgesamt 515 Kreis-, Landes- und Bundesstraßen umfasst all die Routen im Land, auf denen schwere Holztransporte künftig nicht mehr fahren dürfen, weil sie mit ihrer Last die eh bereits lädierten Brücken beschädigen könnten.
Den Erlass hat Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) Ende der vergangenen Woche an die Regierungspräsidien versandt – und seinen Kollegen im Forstressort, Peter Hauk (CDU), damit ganz gehörig auf die Palme gebracht. Es ist der Höhepunkt im langen Streit um die schweren Holztransporte. Interessenkonflikt, sagen die einen. Willkür, die anderen.
„Der Erlass ist das Papier nicht wert, auf dem er steht“, schimpft Hauk. Es dürften nicht nur eine übergroße Zahl von Brücken nicht mehr genutzt werden. „Es werden nach aktuellem Stand auch für die kommunalen Straßen in und zwischen den Gemeinden keine Ausnahmen mehr gemacht.“ Gerade diese Straßen müssten aber sehr oft von den Waldbesitzern genutzt werden, um die größeren Straßen zu erreichen.
Hauk nannte es zudem „unverständlich und nicht schlüssig“, dass sogenannte Kombinierte Verkehre – Lkw mit Container zum Beispiel aus den Häfen – eine gesetzliche pauschale Ausnahmegenehmigung bis 44 Tonnen erhielten. „Für Holztransporte gilt das nicht. Da habe ich schon den Eindruck, dass da Willkür im Spiel ist.“
Sonderregelungen schon länger ein Streit-Thema
Über die Sonderregelungen streiten Hauk und Hermann schon seit Jahren. Das Verkehrsministerium hatte zunächst eine Sonderregelung für Langholztransporte bis 44 Tonnen über den 31. Mai hinaus nicht verlängert. In den vergangenen Monaten galten daher für Holztransporter bis 40 Tonnen wieder dieselben Regeln wie für alle Lastwagen. Pauschale Ausnahmegenehmigungen für überschwere Holztransporte bis 44 Tonnen gab es dagegen zuletzt nicht mehr, um die Straßen und Brücken zu schonen. Mit dem neuen Erlass sollten eigentlich erneut die Ausnahmen geregelt werden.
Hauk und die Waldbesitzer verweisen auf die katastrophale Lage des Waldes und auf die Eile, mit der von Borkenkäfern befallene Bäume aus den Wäldern transportiert werden müssen. „Mit einem Transport von 44 Tonnen kann man deutlich mehr Bäume aus den Wäldern bringen, außerdem reduziert es die Zahl der Fahrten. Das ist ökologisch und ökonomisch von Vorteil.“ Stattdessen müssten die Waldbesitzer im Kampf gegen den Borkenkäfer nun verstärkt Pestizide einsetzen. „Auf Katastrophen, wie sie sich derzeit im Wald entwickeln, muss man anders reagieren als auf den Normalfall“, warf Hauk Hermann vor.
Lkw-Verkehr belastet Straßen
Der seit Jahren zunehmende Lkw-Verkehr gilt als einer der Hauptverursacher für marode Straßen. Ein Fünftel der Bundesstraßen im Südwesten wird von der Bundesregierung als marode eingestuft. Außerdem gilt jede vierte Autobahnbrücke im Land und jede zehnte Bundesstraßenbrücke als sanierungsbedürftig.
Deshalb versucht das Verkehrsministerium zu besänftigen: „Von 11.735 Brücken im klassifizierten Straßennetz mussten aufgrund der Beschaffenheit 515 Brücken ausgenommen werden“, sagt ein Sprecher und ergänzt: „Dies sind lediglich 4,4 Prozent.“ Er räumt aber ein, dass die sogenannte Negativliste „in der Tat eine beträchtliche Anzahl von Brückenbauwerken“ umfasst, die für Lkw über 40 Tonnen nicht mehr in Frage kommen.
Die Waldbesitzer sind frustriert: „Um dem Wald in der aktuellen Situation zu helfen, müssen wir möglichst schnell möglichst viel Schadholz abtransportieren“, sagte Jerg Hilt, der Geschäftsführer der Forstkammer. Mit der neuen Regelung dürften die Lkw zwar mehr Holz laden, brauchten für den Transport aber mehr Zeit, weil sie Umwege fahren müssten. „Insgesamt ist das ein Nullsummenspiel“. In Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gebe es Ausnahmeregelungen ohne komplizierte Listen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Brücken hierzulande so viel maroder sind als in den anderen Bundesländern“, sagt Hilt.
Seine Waldbesitzer stehen vor immensen Problemen: Nach Angaben der Forstkammer sind im dritten extremen Jahr hintereinander bereits rund 43 Prozent der Bäume schwer geschädigt durch Dürre, Trockenheit, Unwetter und den Borkenkäfer. Laut Kammer liegen mehrere Millionen Festmeter Schadholz im Wald. (dpa/ja)