40 Millionen Tonnen Erde

Es war eines der umstrittensten Infrastruktur-Projekte in Deutschland. Bürgerproteste, Schlichtungsrunden, Volksabstimmung - der Bahnhofs-Umbau "Stuttgart 21" und der damit verbundene Ausbau der Bahnstrecke zwischen Stuttgart und Ulm haben die Gemüter weit über die Grenzen der schwäbischen Landeshauptstadt hinaus erhitzt. Mittlerweile rollen Bagger und Lkw, seit März 2013 wird de facto nach der endgültigen Genehmigung des Mehrfinanzierungsbedarfs gebaut. Die Anforderungen an eine funktionierende Baulogistik sind allein schon aufgrund der Dimensionen und der Vielzahl der unterschiedlichen Baufelder außergewöhnlich. Maßgeschneidertes Logistikkonzept Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm gliedert sich in die Teile Stuttgart 21, durch das der Bahnknoten Stuttgart neu geordnet wird, sowie in die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Das Bauvorhaben ist das größte Ausbaukonzept für den öffentlichen Schienenverkehr in Baden-Württemberg seit dem 19. Jahrhundert. "Um bei Stuttgart 21 im Zentrum der Landeshauptstadt einen optimalen und wirtschaftlichen Bauablauf zu garantieren und um Schmutz und Lärmemissionen sowie Verkehrsbeeinträchtigungen auf ein Minimum zu reduzieren, wurde ein maßgeschneidertes Baulogistikkonzept entwickelt", erklärt ein Sprecher des Kommunikationsbüros gegenüber der VerkehrsRundschau. "Insgesamt fallen bei Stuttgart 21 Massen im Umfang von 20 Millionen Tonnen an." Zuständig für die Koordination der Baulogistik ist die Bahntochter DB Fahrwegdienste, die auch Aufträge an die Subunternehmen vergibt. Unterschieden werden dabei: der zentrale Logistikbereich Mitte, dessen Entsorgung über die zentrale Baulogistik abgewickelt wird - hier fallen acht Millionen Tonnen Steine und Erde an. Und die dezentralen Logistikbereiche Filder und Neckar, in denen 12 Millionen Tonnen Abraum direkt durch die beauftragten Bauunternehmen entsorgt werden. Der Massenanfall auf der Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm beträgt ähnlich wie bei Stuttgart 21 noch einmal 20 Millionen Tonnen und erfolgt ebenfalls durch die Bauunternehmen - insgesamt macht das also 40 Millionen Tonnen. Im Juni vergangenen Jahres startete das Konzept mit täglich einem Zug, der 1000 Tonnen Abraum von der Baustelle wegbrachte. Im Juli ist ein zweiter Zug täglich dazugekommen, seit August ein dritter. Zwischenzeitlich sind über 600 Züge abgefahren. Bis Ende Dezember 2014 wurden vom Aushub im Talkessel Stuttgart 895.000 Tonnen und damit etwas mehr als 10 Prozent des Gesamtvolumens abtransportiert. Entsorgung durch Bahn und Lkw Dabei wird das Material an verschiedenen sogenannten Anfallstellen gefördert. Arbeitstäglich fallen etwa 5000 bis 10.000 Tonnen an, zu Spitzenzeiten bis zu 15.000 Tonnen. Der Erdaushub wird per Schüttgut-Lkw über das Baustraßensystem, welches sich überwiegend auf bahneigenen Flächen befindet, zu den Logistikflächen transportiert und abgekippt. Hier wird das Material auf Züge verladen. Auf der zentralen Logistikfläche findet ein Schüttgutumschlag statt, auf einer zweiten Fläche ganz in der Nähe werden Container umgeschlagen. Arbeitstäglich werden bis zu 13 Züge verladen. Ein Zug fasst 1000 Tonnen, das entspricht etwa 40 Lkw. "Insgesamt wurden über 40 Entsorgungsanlagen rahmenvertraglich gebunden", so der Sprecher des Kommunikationsbüros. "Hier wird das Material nach seiner Belastungsklasse eingelagert oder weiter verarbeitet." Aus den Entsorgungsanlagen können je nach Bedarf, Boden-Klassifizierung und Verfügbarkeit Entsorger ausgewählt werden. Ziel ist die kostenoptimale Deponierung des Erdaushubs. Die Entsorgung ist nach Angaben des Projektbüros in der ersten Tranche bis Februar 2016 mit der Hälfte des Aufkommens von vier Millionen Tonnen vertraglich vergeben. Die zweite Tranche über ebenfalls vier Millionen Tonnen Abraum werde noch ausgeschrieben. Geplant ist, dass der Großteil des Erdaushubs in nahe gelegenen Anlagen in Baden-Württemberg deponiert wird. Ein Fünftel der Mengen wird auf Halden in Thüringen und Sachsen-Anhalt deponiert, die per Zug günstig zu erreichen sind. Zu den Besonderheiten von Stuttgart 21 zählt auch eine Reihe von Neuentwicklungen - wie beispielsweise die gelb lackierten Container der Marke Sonderbau. Diese wurden eigens vom Aufbautenhersteller Schmitz Cargobull für die Anforderungen von Stuttgart 21 gefertigt, 750 Stück davon sind im Einsatz. Das Besondere an den Behältern ist, dass in ihnen der Aushub von den Baustellen gleich mit dem Sattelschlepper angefahren werden kann und am Stuttgarter Nordbahnhof nur noch mit einem Greifstapler auf den Zug umgesetzt werden muss. 20 Prozent des Materials wird derzeit bereits auf diese Art verfrachtet. Streit um die Kosten schwelt weiter Eines der Unternehmen, das auf der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm neben untergeordneten Bauleistungen wie dem Bau von Lärmschutzwällen und Materiallagern für die Verwertung der anfallenden Tunnelausbruchmaterialien verantwortlich ist, ist die Firma Ecosoil Süd. "Neben der Technik wie etwa dem Tunnelbau liegen die zentralen Herausforderungen bei dem Projekt aus unserer Sicht insbesondere in der Logistik", erklärt Rüdiger Schneider, Geschäftsbereichsleiter Technik bei der Ecosoil Süd. "Damit verbunden sind Anforderungen an den Emissions- und Umweltschutz, die Sicherstellung der Entsorgungs- und Transportsicherheit sowie letztendlich auch die Dokumentation beziehungsweise Nachweisführung." Auch nach Baubeginn wird das Bahnprojekt "Stuttgart 21" in Politik und Bevölkerung heiß diskutiert - wie gerade erst Anfang Mai bei einer Anhörung des Verkehrausschusses des Deutschen Bundestages deutlich wurde. Darin forderten die Abgeordneten der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, offene Fragen zu dem Bahnhofsprojekt zu klären. Die Regierung solle dafür Sorge tragen, dass die aktuelle Kostenentwicklung des Projektes kurzfristig offengelegt und eine neue Kosten-Nutzen-Berechnung durchgeführt werde. Die Kosten von Stuttgart 21 hätten sich bereits vor dem offiziellen Baubeginn im Vergleich zu den ursprünglichen Kostenannahmen erheblich erhöht und seien seit dem offiziellen Baustart am 2. Februar 2010 um weitere 50 Prozent gestiegen. Es müsse mit weiteren erheblichen Steigerungen der Projektkosten gerechnet werden. Dagegen sieht Volker Kefer von der Deutschen Bahn das Projekt "voll im Zeitplan". Er geht davon aus, dass es 2021 fertiggestellt sein wird. Insgesamt würden die Gesamtkosten derzeit auf sechs Milliarden Euro geschätzt. Dazu kämen noch 500 Millionen Euro Reserve. Trotz aller baulogistischen Anstrengungen - das Thema wird zumindest die Stuttgarter Bevölkerung noch eine ganze Weile weiter beschäftigen. Daten und Fakten Stuttgart 21 im Überblick - Gesamtstreckenlänge: 57 Kilometer, davon Schnellfahrstrecke: 20 Kilometer, davon Tunnel- und Durchlassstrecke: 33 Kilometer- Anzahl Tunnel und Durchlässe: 16- Anzahl Brücken: 18- Anzahl Personenbahnhöfe: 3- Abstellbahnhof: 1- Geplante Inbetriebnahme: Dezember 2021- Geschwindigkeit: maximal 250 Kilometer/Stunde tw Die DB greift am tiefsten in die Tasche Wer sind die Geldgeber von Stuttgart 21? Die Deutsche Bahn (DB), der Bund (inklusive EU-Fördermittel), das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart, der Flughafen Stuttgart und der Verband Region Stuttgart tragen das Projekt. Der Finanzierungsrahmen liegt bei 6,526 Milliarden Euro (nach Beschluss des Bahnaufsichtsrats vom 5. März 2013).Diese Summe teilt sich wie folgt auf:- DB: 3747,0 Millionen (Mio.) Euro (davon 2000 Mio. über Sprechklausel zu regeln)- Bund und EU-Fördermittel: 1229,4 Mio. Euro- Land Baden-Württemberg: 930,6 Mio. Euro- Landeshauptstadt Stuttgart: 291,8 Mio. Euro- Flughafen Stuttgart: 227,2 Mio. Euro- Verband Region Stuttgart: 100 Mio. Euro tw

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