Düsseldorf. Im Juli hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung ihre aktuelle Statistik vorgelegt. Danach ist die Zahl der meldepflichtigen Wegeunfälle im Jahr 2015 um 2,84 Prozent auf 179.181 gestiegen. Die Berufsgenossenschaft (BG) Verkehr meldet für ihre Mitgliedsunternehmen 5347 Wegeunfälle und damit 235 mehr als noch im Jahr zuvor. Absolute Zahlen sagen aber nichts über das Unfallrisiko, also die Zahl der Unfälle bezogen auf 1000 Vollarbeiter oder eine Million Arbeitsstunden aus. Darauf weist BG-Verkehr-Sprecherin Ute Krohne hin. Das Risiko, einen Wegeunfall zu erleiden, ist im langfristigen Trend nämlich rückläufig. Dennoch ergeben sich gerade bei Wegeunfällen häufig komplizierte Rechtsfragen.
„Als Wegeunfall bezeichnet man den Weg von zu Hause zur Arbeit und von der Arbeitsstätte nach Hause“, erklärt Miriam Battenstein, Rechtsanwältin in der Düsseldorfer Kanzlei Battenstein & Battenstein. Der Wegeunfall ist dem Arbeitsunfall versicherungstechnisch gleichgestellt. Trotz der Gleichstellung kann es wichtig sein, den Wegeunfall vom Arbeitsunfall abzugrenzen. „Befindet sich ein Berufskraftfahrer auf Transportfahrt, handelt es sich um einen sogenannten Betriebsweg. Kommt es hier zu einem Unfall, liegt ein Arbeitsunfall vor“, erklärt sie. Im Kurzinterview mit der VerkehrsRundschau erläutert sie die besondere versicherungsrechtliche Situation von Kraftfahrern.
VerkehrsRundschau: Sind Arbeitnehmer bei Bereitschaftsdiensten wie Rufbereitschaft oder Notdiensten bei einem Wegeunfall versichert?
Miriam Battenstein: Auf dem Weg zum angeforderten Einsatz besteht grundsätzlich Versicherungsschutz. Während der Wartezeit zu Hause dürfte es dagegen schwierig werden, einen Wegeunfall anzunehmen. Hier kommt es aber immer auf eine Einzelfallprüfung an.
Wie sind Berufskraftfahrer während der Bereitschaftszeit versichert, wenn sie beispielsweise an der Rampe auf das Entladen warten oder ihr Fahrzeug auf einer Fähre oder einem Zug begleiten? Paragraf 21a des Arbeitszeitgesetzes sagt, dass diese Zeiten keine Arbeitszeit darstellen. Liegt ein Wegeunfall vor, wenn sich der Fahrer auf der Fähre einen Kaffee holt und verletzt?
Ein Wegeunfall dürfte hier nicht vorliegen, da es sich nicht um einen Weg von zu Hause zur Arbeit oder zurück handelt. Ich würde das aber grundsätzlich als Arbeitsunfall werten, da sich der Fahrer aufgrund der geschuldeten Arbeitsleistung an einem fremden Ort aufhalten muss. Allerdings müssten die Umstände im Einzelfall genau geprüft werden. Ich würde Arbeitgebern empfehlen, einen solchen Unfall der Berufsgenossenschaft als Arbeitsunfall zu melden. Sollte die eine Anerkennung verweigern, würde ich die Entscheidung durch einen Anwalt und möglicherweise auch durch das Gericht prüfen lassen.
Liegt ein Wegeunfall vor, wenn ein Berufskraftfahrer die tägliche oder wöchentliche Ruhezeit in der Schlafkabine seines Lkw verbringt und sich etwa auf einem Autohof auf dem Weg zum Duschen oder zum Frühstücken verletzt?
Auch hier würde ich nicht von einem Wegeunfall, sondern vom Vorliegen eines Arbeitsunfalls ausgehen, denn auch ein Lkw mit Schlafkabine wird nicht zum Zuhause. Man müsste dann anhand des konkreten Einzelfalls prüfen, ob sich eine Unfallgefahr verwirklicht hat, die zu Hause nicht anzutreffen wäre. Ist das der Fall, müsste der Unfall als Arbeitsunfall versichert sein. Ich könnte mir hier allerdings vorstellen, dass die Berufsgenossenschaften eine Anerkennung zunächst verweigern.
Das Interview führte VerkehrsRundschau-Mitarbeiterin Ina Reinsch.