Berlin. Der Bundestag hat am Donnerstag das Tarifautonomiestärkungsgesetzes, das den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde regelt, mit großer Mehrheit verabschiedet. Insgesamt votierten in namentlicher Abstimmung 535 Abgeordnete für das Gesetz, fünf stimmten dagegen. 61 Parlamentarier enthielten sich. Die flächendeckende Lohnuntergrenze gilt grundsätzlich ab 2015, wird ab 2016 alle zwei Jahre von einer Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern überprüft und sieht für einige Branchen Übergangfristen bis 2017 vor.
Wir haben die Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Mindestlohn zusammengestellt:
Wie werden die Mindestlohn-Vorschriften kontrolliert?
Der Zoll kümmert sich darum, dass Arbeitgeber bundesweit und über alle Branchen hinweg künftig tatsächlich 8,50 pro Stunde zahlen. Hierfür soll das Personal der zuständigen Behörden aufgestockt werden.
Unklar ist, wie die Beamten genau überprüfen wollen, ob ein ausländischer Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern beim Einsatz in Deutschland den Mindestlohn zahlt. Das müsste nach Ansicht von Stommel im Rahmen einer Betriebsprüfung geschehen, da etwa Fahrer aus Polen in der Regel keine Lohnunterlagen mit sich führen. „Es gibt im Moment kaum eine praktikable Möglichkeit, die Einhaltung des Mindestlohngesetzes bei grenzüberschreitenden Verkehren zu kontrollieren“, sagt der ASL-Chef.
Im Kabinettsentwurf ist für gebietsfremde Speditions-, Transport- und Logistikunternehmen eine Meldepflicht geregelt. Danach hat der Arbeitgeber mit Sitz im Ausland der Zollverwaltung eine schriftliche Anmeldung vorzulegen, die zum Beispiel den Namen des in Deutschland einzusetzenden Arbeitnehmers enthält, den Ort und die Dauer der Beschäftigung. Im Rahmen dieser Anmeldung muss der Arbeitgeber auch schriftlich versichern, dass er die 8,50 Euro zahlt. Zusätzlich gilt die bereits beschriebene Dokumentationspflicht bei den Arbeitszeiten. „Ob diese Regelungen den deutschen Behörden helfen werden, ist allerdings mehr als fraglich“, betont Stommel.
Was ändert sich bei Stücklöhnen?
Nach Angabe des zuständigen Bundesarbeitsministeriums hat jeder Arbeitnehmer ein Recht auf wenigstens 8,50 Euro – unabhängig davon, was er in einer bestimmten Zeit leistet. Arbeitgeber, die nicht nach Stunden, sondern je Stück bezahlen, müssen ihre Lohnabrechnung so umstellen, dass der Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden erreicht wird. Die Begründung im Kabinettsentwurf stellt in diesem Zusammenhang klar, dass Stück- und Akkordlöhne weiterhin zulässig sind.
Damit würde die Bundesregierung dennoch vielen Unternehmen einen Strich durch die Rechnung machen, die Leistungslohn zahlen. Der Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste (BdKEP) setzt sich deshalb für eine Umrechnungsmethode ein, die es erlaubt, verbindlich einen Schlüssel für die Umrechnung von Stücklohn in Zeitlohn auf der Grundlage einer angenommenen Normalleistung zu vereinbaren. „Diese Norm sollte am Verteilgebiet ausgerichtet und tatsächlich zu schaffen sein“, erläutert dessen Vorsitzender Andreas Schumann. Läge ein Arbeitnehmer darunter, bekäme er weniger als 8,50 in der Stunde; läge er darüber, bekäme er mehr. „Sofern Unternehmen nachweisen, dass die Leistungsvorgaben an die Arbeitnehmer es ermöglichen, den gesetzlichen Mindestlohn im Regelfall zu erreichen, muss auch diese Art der Entlohnung gesetzeskonform sein“, fordert der BdKEP-Chef.
Gehören Sonderzahlungen wie Zuschläge zum Mindestlohn?
Der Regierungsentwurf lässt offen, welche Lohnbestandteile auf das Stundenentgelt anzurechnen sind. Dort steht lediglich, dass die Höhe des Mindestlohns 8,50 Euro brutto je Zeitstunde beträgt.
Im zuständigen Bundesarbeitsministerium hat man dieses Problem anscheinend erkannt. Auf Anfrage heißt es: Zahlungen, die ein Arbeitnehmer als Ausgleich für zusätzliche Leistungen erhält, wenn er auf Verlangen unter besonderen Bedingungen mehr leistet (Sonntags-, Feiertags-, Nachtarbeits-, Schichtarbeits-, Überstundenzuschläge), seien nicht berücksichtigungsfähig. Auch zusätzlich gezahlte Vergütungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld sind demnach dem Mindestlohn nicht anzurechnen.
„Damit fallen Zulagen zum Beispiel für Teamleiter ebenso heraus wie Prämien oder Provisionen“, erklärt Stommel. Er fordert, Sonderzahlungen ausnahmslos beim Mindestlohn zu berücksichtigen. Sie seien für die Speditions-, Transport- und Logistikbranche wichtige Bestandteile der Lohn- und Gehaltszahlung. Für die Arbeitgeber werde es zudem uninteressanter, Sonderzahlungen für die Betriebstreue oder gute Leistung zu gewähren, wenn sich der Gesetzentwurf nicht ändere, sagt der Jurist.
Für den Fall, dass der Gesetzgeber nicht einlenkt, rät der ASL-Geschäftsführer, rechtzeitig den Taschenrechner zur Hand zu nehmen: „Ein Spediteur muss prüfen, wie viele Stunden seine Mitarbeiter tatsächlich arbeiten und ob er sich die Sonderzahlungen neben dem Grundentgelt von mindestens 8,50 Euro noch leisten kann“, sagt Stommel.
Gibt es eine Übergangsfrist für den gewerblichen Güterverkehr?
Laut Kabinettsentwurf gehen abweichende Regelungen repräsentativer Tarifvertragsparteien gegenüber dem Mindestlohn bis 31. Dezember 2016 vor. Das gilt aber nur für Tarifverträge auf der Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, die für alle Arbeitnehmer einer Branche für allgemein verbindlich erklärt worden sind. Das Speditions-, Transport- und Logistikgewerbe mit seinen regionalen Flächentarifverträgen fällt also nicht unter die Übergangsfrist.
Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften können zwar für ganze Wirtschaftsbereiche dieses Jahr noch niedrigere Lohnuntergrenzen beschließen, die in den darauffolgenden beiden Jahren Bestand haben. Sowohl der DSLV als auch der BGL als Spitzenorganisationen der Arbeitgeberverbände des Güterverkehrsgewerbes dürfen und wollen allerdings keinen bundesweit gültigen Branchentarifvertrag aushandeln.
„Es hat seinen Grund, warum die Landesverbände Flächentarifverträge aushandeln – denn sie ermöglichen eine genaue Differenzierung nach der Leistungsfähigkeit der einzelnen Regionen“, sagt Gentze vom BGL. „Es wäre unverhältnismäßig, dieses Prinzip jetzt zu ändern – zumal viele Arbeitgeber in Spedition und Logistik bereits mehr als 8,50 Euro zahlen“, ergänzt Stommel vom ASL.
Wie lässt sich der Mindestlohn dennoch irgendwie umgehen?
„Juristisch heikel wird es, wenn ein Unternehmen mit einem Mitarbeiter zum Beispiel vereinbart hat, dass dieser eine fixe Vergütung von 7,50 Euro und zusätzlich eine variable Vergütung von bis zu 2,50 Euro pro Stunde bekommt und beide Seiten dies so beibehalten möchten“, erklärt Marco Ferme, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner in der Kanzlei Beiten Burkhardt. Die Fixvergütung läge dann unterhalb der gesetzlichen Lohnuntergrenze, insgesamt hätte der Angestellte aber mehr als die vorgeschrieben 8,50 Euro in der Tasche.
„Der Gesetzentwurf zum Mindestlohn besagt aber, dass Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, unwirksam sind und Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur mittels eines gerichtlichen Vergleichs eine abweichende Regelung treffen können“, erklärt Ferme. Das heißt, einer von beiden müsste vor einem Arbeitsgericht eine Klage erheben, um zu klären, ob die bisherige Vergütung tatsächlich weiterhin so gewollt sei. (ag)
Hier geht es zum ersten Teil der Serie mit Antworten rund um den Mindestlohn.