Fahrbericht Scania 25 P BEV: Greif unter Strom

Kommoder kann man mit einem Lastwagen wohl kaum unterwegs sein. Gehört Scania bei den Verbrennermodellen erwiesenermaßen zu den leisesten Fabrikaten, wollen sich die Schweden dieses Attribut scheinbar auch im Feld der Elektro-Lkw sichern. Denn man hört so gut wie nichts in der gut gedämmten Kabine des batterieelektrisch angetriebenen Scania. Nur dezent ist die Arbeit der beiden parallel geschalteten Elektromotoren vernehmbar, die weit weg vom Fahrerohr in der Mitte zwischen den Rahmenträgern ihren Dienst versehen. Im Rollmodus herrscht dann nahezu völlige Stille, abgesehen vom leisen Zischen des Fahrtwindes. Komfortabler Triebstrang Ebenfalls auf Komfort ausgelegt erweist sich die Abstimmung des Triebstrangs. Die von manchen E-Lkw gewohnte brachiale Beschleunigung unterbindet Scania bewusst, die 230 Kilowatt Dauer-Antriebsleistung mit 1300 Newtonmeter Drehmoment entwickeln sich auffallend harmonisch. Auch im Kick-down-Modus des Gaspedals, bei dem die sogenannte Peak-Leistung abgerufen wird, in der kurzfristig 65 Kilowatt mehr und insgesamt 2200 Newtonmeter Drehmoment zur Verfügung stehen, vergisst der Schwede seine guten Manieren nicht. Absolut passend dazu präsentiert sich der fast schon reisebusartige Federungskomfort des Zweiachsers. Dank serienmäßiger Luftfederung an beiden Achsen, die der schwedische Hersteller seinen BEV-Modellen spendiert, gleitet das Testfahrzeug äußerst erhaben über Fahrbahnunebenheiten hinweg. Aktive Lenkung mit Eingriff Ebenfalls längst noch nicht selbstverständlich in der Klasse der Verteiler-Lkw ist die elektronische Lenkung, die im Falle eines Falles den P per aktiven Lenkeingriff selbsttätig zurück in richtige Bahnen lenkt. Unserer Meinung nach arbeitet die Steuerung gut abgestuft und ohne dass man sich von der Elektronik bevormundet vorkommen würde. Die Umgewöhnung bei der Bedienung hält sich beim Umstieg von einem P-Modell mit Dieselmotor übrigens in Grenzen. Der Elektromotor wird nach wie vor konventionell per Dreh am "Zündschlüssel" erweckt und auch das Armaturenbrett mit seinen analogen Zentralinstrumenten unterscheidet sich nicht von den Verbrenner-Scanias. Einziger Unterschied: Der Drehzahlmesser wich einer Energieanzeige, an der der Fahrer den aktuellen Stromverbrauch ablesen kann. Hauseigenes Zweiganggetriebe Einen kleinen Überraschungseffekt hält der E-Scania dann aber doch bereit, der nicht ganz zur kommoden Gangart des BEV passen will: Beim Beschleunigen wird bei Erreichen der 42 km/h-Marke der Vortrieb plötzlich kurzzeitig unterbrochen. Dann nämlich führt die Steuerungselektronik stets den einzigen Gangwechsel des zweistufigen Getriebes auf die zweite, direkt übersetzte Fahrstufe durch. Doch an diese Eigenart des 25 P BEV (Batterie Electric Vehicle) gewöhnt man sich schnell. Die Zahl 25 steht hier übrigens abgekürzt für die realistische Reichweite, die Scania für den 19-Tonner angibt, denn 250 Kilometer sollen mit einer Akkufüllung immer drin sein. Dafür sorgen insgesamt neun Batteriestacks mit je 33 Kilowattstunden Kapazität, von denen je zwei in den insgesamt vier Aluboxen rechts und links am Rahmen und ein Stack unter der Kabine Platz finden. 600 Kilogramm bringen laut Scania allein die Akkus auf die Waage, was seinen Teil dazu beiträgt, dass der BEV um 1,65 Tonnen schwerer ausfällt als ein vergleichbares P-Modell mit Diesel-Motor. Der Großteil dieses Gewichtsnachteils fängt allerdings der Gesetzgeber auf, indem er Elektro-Lastwagen ein höheres zulässiges Gesamtgewicht zugesteht, das im Fall des zweiachsigen Testfahrzeugs plus 1000 Kilogramm, also 19 Tonnen, beträgt. Programm bis 29 Tonnen Gesamtgewicht Zusätzlich hält das Scania-E-Programm noch weitere Konfigurations-Möglichkeiten bereit. Neben der P-Kabine bieten die Schweden auch das L-Fahrerhaus mit niedrigem Einstieg und automatischer Absenkfunktion an, zu dem vorrangig kommunale Dienstleister greifen dürften. Außerdem gibt es neben dem zweiachsigen Fahrgestell auch Modelle mit zusätzlicher Nachlaufachse, wahlweise lenk- und liftbar, die das zulässige Gesamtgewicht auf bis zu 29 Tonnen hebt. Transportunternehmer, die trotzdem Kilos einsparen wollen oder die 250 Kilometer Reichweite nicht benötigen, können übrigens auch auf fünf der Batteriepakete (165 kWh) abspecken, mit denen 130Kilometer Reichweite drin sein sollen und folgerichtig also eine 13 unten links am "Kühlergrill" prangt. Fünf Rekuperationsstufen Egal, welche Batteriegrößen am Rahmen des Scania montiert sind, wie bei jedem Elektro-Lastwagen hilft der Rekuperationsmodus, beim Rollen und Bremsen Energie und damit Reichweite zurück in die Akkus zu speisen. Im Falle des Scania gibt es gleich fünf verschieden kräftige Modi, die sich wie gewohnt per Zug am rechten Lenkstockhebel ansteuern lassen. Die höchste Rekuperationsstufe verzögert das auf knapp 16,4 Tonnen ausgeladene Testfahrzeug dann schon sehr vehement. Wer diese Verzögerungs-Möglichkeiten intelligent nutzt, kommt in der Vielzahl der Fälle ohne den Einsatz der Betriebsbremse aus und bergab übernimmt die Rekuperation wirkungsvoll die Aufgabe einer Motorbremse. Gewöhnen muss man sich auch hier lediglich an die kurzzeitige Unterbrechung der Verzögerung, wenn das hauseigene "GE21S21"-Getriebe wieder in den ersten Gang runterschaltet. Doch auch bei bester Rekuperationsstrategie muss der BEV-Scania irgendwann elektrische Energie von außen bunkern. Das passiert über einen Gleichstromanschluss mit maximal 130 Kilowatt. Auch hier agiert der Hersteller bewusst zurückhaltend, denn wo manch Wettbewerber stärkere Ladeleistungen ins Rennen wirft, argumentieren die Scania-Leute mit einer längeren Lebensdauer der Akkus durch das schonendere Laden. In 45 Minuten soll sich der Ladestand der Lithium-Ionen-Akkus von 20 auf 80 Prozent laut Scania füllen lassen. Noch batterieschonender käme die langsamere Ladung über Wechselstrom an einer Wallbox, beispielsweise, wenn der BEV die Nacht auf dem Betriebshof verbringt. Diese AC-Ladeform hat der Hersteller allerdings nicht vorgesehen. Einmal jährlich in die Werkstatt Wenig Zeit dürfte der Elektro-Greif dafür in der Werkstatt verbringen. Zwar beordert der Hersteller ihn einmal jährlich auf die Grube, die erforderlichen Arbeiten beschränken sich aber hauptsächlich auf Sichtkontrollen, insbesondere der Hochvolt-Steckverbindungen. Das dürfte schnell erledigt sein, bevor es dann wieder komfortabel auf die flüsterleise Liefertour gehen kann. Mehr zum Thema unter #HybridundElektroLkw www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Vor dem Einsatz eines Elektro-Lkw fordert die Berufsgenossenschaft eine Sensibilisierung des Fahrpersonals. Diese bezieht sich unter anderem auf die nicht ungefährlichen Hochvoltverbindungen. Reparaturen dürfen aber nur von entsprechend geschultem Werkstattpersonal durchgeführt werden. Technische Daten Motor Zwei parallel geschaltete Elektromotoren, zwischen den Rahmenträgern platziert; Peakleistung: 295 kW u. 2200 Nm Drehmoment Leistung kontinuierlich: 230 kW und 1300 Nm Batterien und Nachladen 297 kWh Batteriekapazität, bestehend aus 9 modular aufgebauten Stacks à 33 kWh (optional auch 5 Stacks mit 165 kWh Batteriekapazität lieferbar); Nachladen: max. 130 kW über CCS Typ 2 / 200 A Gleichstrom DC; Ladezeit von 20 auf 80 % Akkukapazität: 40–45 min (Werksangabe) Fazit Strom wird kommen In Zukunft dürfte vor allem bei Verteiler-Lkw kaum ein Weg am batterieelektrischen Antrieb vorbeiführen. Bis dahin werden hoffentlich auch die Preise für die Stromer eine zumutbarere Grenze erreichen. Scania gibt für seinen BEV einen um das Dreifache höheren Kaufpreis an als für einen vergleichbaren Diesel. Da kann der Transportunternehmer dann nur hoffen, dass sein Antrag auf Förderung beim Bundesverkehrsministerium positiv ausfällt. Jan Burgdorf, Test-Redakteur

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