Karlsruhe. Richtig voll sind die Straßenbahnen nicht am späten Vormittag. Oder am Abend. Manchmal sind sie sogar gähnend leer. Auch auf S-Bahnen und Regionalzüge trifft diese Aussage des Forschers Michael Frey vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) häufig zu:
„Da wird viel Luft durch die Gegend gefahren.“ Aus seiner Sicht sollten die Transportkapazitäten besser genutzt werden - und zwar für die Beförderung von Paketen. Dann müssten weniger Paket-Transporter in die Städte hineinfahren, die Straßen würden entlastet, und es würde weniger CO2 freigesetzt als jetzt, wie der Fahrzeugtechniker prognostiziert.
LogIKTram – ein Containerfahrzeug auf drei Rädern
Frey arbeitet in einem Forschungsprojekt namens „LogIKTram“, das vor einem Jahr begann und planmäßig noch zwei Jahre läuft: Ein Container-Fahrzeug auf drei Rädern soll automatisiert an einer Haltestelle am Stadtrand in die Karlsruher Straßenbahn einsteigen und im Zentrum wieder aussteigen - dort stünde ein Zusteller, um die Fracht auszuliefern oder in eine Paketstation einzusortieren.
Das Karlsruher Projekt steht beispielhaft für die Ambitionen der Paketbranche. Die ist dank des boomenden Online-Handels schon seit Jahren auf Wachstumskurs, 2021 kletterte das Paketvolumen um elf Prozent auf 4,5 Milliarden Sendungen. Dabei drängt sich die Frage auf, wie der immer größer werdende Warenstrom schonend in die Städte kommt, ohne dass die dortige Luftverschmutzung steigt und ohne dass allzu viele Transporter Parkplätze wegnehmen oder in zweiter Reihe parken.
Biek sieht großes Potenzial im Nahverkehr
Die Branche setzt schon jetzt verstärkt auf Elektrotransporter und Lastenräder. Nun rückt der Nahverkehr etwas in den Fokus. Am Dienstag publizierte der Logistik-Verband Biek eine Studie, die sich mit den Möglichkeiten von Pakettransporten im Nahverkehr befasst. „Das Potenzial ist groß, aber es sind noch viele offene Fragen zu klären“, sagt Co-Autor Ralf Bogdanski von der Technischen Hochschule Nürnberg.
Die Bahnen seien immer unterwegs, hätten zu bestimmten Uhrzeiten aber nur wenige Fahrgäste. Liege die Auslastung nur bei 20 bis 30 Prozent, sollte die Zusatzbelegung mit Paketen möglich sein, sagt Bogdanski.
Das wäre auf den unterschiedlichen Linien normalweise am späten Vormittag, am späten Nachmittag und am Abend der Fall. Morgens könnten die Paketdienstleister ihre Sendungen auf der Schiene in die Städte schicken und abends kämen die Container dann zurück.
Pakete in der Tram oder im Regionalzug
Vor allem das Mehrzweckabteil von Regionalzügen hält Bogdanski für ideal, um dort rollbare Paket-Transporter mit den Standard-Maßen 1,20 Meter mal 0,8 Meter als Grundfläche und etwa 1,50 Meter Höhe abzustellen. Bis zu 100 Kilometer weit könnten Pakete klimaschonend befördert werden - und damit eine Strecke zurücklegen, auf der sonst in der Regel Transporter mit Verbrennungsmotoren fahren, sagt er.
Besagtes Mehrzweckabteil ermöglicht bisher die Mitnahme von Fahrrädern, zudem haben dort Rollstuhlfahrer und Familien mit Kinderwagen genug Platz. Bisher. Was aber, wenn das Abteil schon voll ist mit Paket-Containern? „Menschen sollten immer Vorrang haben“, sagt Bogdanski. „Der Pakettransport im Nahverkehr ist kein Allheilmittel für logistische Probleme, aber er kann ein wertvoller Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit sein.“
Mitfahrer brauchen Verständnis für neues Konzept
Der Karlsruher Forscher Frey betont: „Die Öffentlichkeit müsste über den Pakettransport gut informiert werden und Verständnis dafür haben.“ Der Ladungsträger auf drei Rädern, an dem er mit seinem Team forscht und der ab 2023 auf einem Betriebshof erprobt werden soll, soll automatisch in die Straßenbahn fahren. Will zum Beispiel auch ein Vater mit Kind und Kinderwagen einsteigen, soll das Containerfahrzeug diesem automatisch den Vorrang lassen.
Bisher werden Pakete noch nirgendwo in Deutschland im Regelbetrieb in öffentlichen Nahverkehrsbahnen transportiert. Die Post testet in Schwerin die Nutzung von Straßenbahnen, um Packstationen zu füllen, die an Haltestellen stehen. Die Nutzung des Nahverkehrs betrachte man „grundsätzlich als zusätzliche Möglichkeit, Pakete klimafreundlich zum Empfänger zu bringen und den Straßenverkehr zu entlasten“, sagt eine Firmensprecherin. Ähnlich äußert sich Wettbewerber DPD.
Die Lösung ist der „Mischbetrieb“
Warum müssen die Pakete eigentlich zusammen mit Fahrgästen transportiert werden - geht das nicht in reinen Güterbahnen? Ja, ginge es, sagt der Frankfurter Logistik-Professor Kai-Oliver Schocke.
2019 testeten er und sein Team zusammen mit Hermes die Nutzung einer Straßenbahn für den Pakettransport in Frankfurt. In einer Simulation kamen sie außerdem zu dem Schluss, dass der Einsatz von gut ausgebauten Pakettrams 15 Prozent günstiger wäre als Transporter auf der Straße. Einen „Mischbetrieb“ - also Pakete und Fahrgäste in derselben Bahn - sieht Schocke eher skeptisch. Aus seiner Sicht müsste dann ein Logistikmitarbeiter dabei sein, und das wäre teuer.
Und was sagen die Nahverkehrs-Unternehmen? Deren Dachorganisation, der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), ist „grundsätzlich offen für Konzepte, die den Stand der Technik abbilden und auch logistische und finanzielle Fragen klären“, wie ein Sprecher sagt. Um den Ausstoß von klimaschädlichen Emissionen zu verringern, sei die Verlagerung von Gütern auf klimafreundliche Verkehrsmittel notwendig.
Dafür sollte man „auch auf den ersten Blick ungewöhnliche Ideen durchaus diskutieren und abwägen“.
Zusammenspiel von Personen- und Güterverkehr muss rechtlich geregelt werden
Der Verband betont aber auch, dass beim Ein- und Ausladen von Paketen „die Kunden nicht behindert und die Leistungsfähigkeit der Strecken durch Haltezeitverlängerungen nicht beeinträchtigt wird“. Zudem müsste noch gesetzlich geregelt werden, dass der Gütertransport auch in Straßenbahnen und Nahverkehrszügen möglich sei. So eine gesetzliche Regelung fordert auch der Logistik-Verband Biek ein.
Professor Bogdanski rechnet mit einem ersten Regelbetrieb in fünf bis zehn Jahren. Es sei klar, dass das Paketvolumen weiter Jahr für Jahr stark wachsen werde. „Der Pakettransport im Nahverkehr ist eine sinnvolle Ergänzung zu einem nachhaltigen Verkehr - eigentlich können wir uns gar nicht erlauben, dieses Potenzial ungenutzt zu lassen.“ (ste/dpa)