Die Welle rollt an

Paukenschlag im Transportmarkt: die digitale Spedition Sennder hat das europäische Frachtgeschäft von Uber Freight im Rahmen einer Vollerwerbs-Transaktion übernommen. Das vermeldete das Berliner Unternehmen stolz. Überraschend schneller Rückzug Selbst Kenner der Logistik-Start-up-Szene wie Professor Ulrich Müller-Steinfahrt der Hochschule Würzburg-Schweinfurt (FHWS) hatten mit diesem Deal nicht gerechnet. "Ich bin überrascht", räumt er unumwunden ein. Denn die US-amerikanische Frachtvermittlungs-Plattform sei ja erst im März 2019 in den Niederlanden und im Juli 2019 in Deutschland gestartet, um den europäischen Transport- und Logistikmarkt zu revolutionieren. Stattdessen schlupft Uber Freight Europe nun unter das Dach von Sennder. Über die Gründe des schnellen Rückzugs kann nur spekuliert werden. "Dem Unternehmen ist es offenbar nicht gelungen, trotz umfassender Marketinganstrengungen genügend Anbieter und Nutzer auf seine Plattform zu locken", sagt Müller-Steinfahrt. Aus dem Markt zu hören ist auch, dass die Lösung zwar anwenderfreundlich war, aber nicht wirklich neu. Da fehlte der Anreiz. Darüber hinaus soll, wird gemunkelt, das Geschäft von Uber Freight in Europa zuletzt hoch defizitär gewesen sein. "Nichtsdestotrotz wird Sennder von der Transaktion profitieren", ist er überzeugt: "Der Deal spült Sennder wichtiges Transportvolumen auf die Plattform." Und im Zusammenspiel mit den anderen Zukäufen, die das Start-up in den letzten Jahren getätigt hat, ist es nun in sieben Ländern unterwegs. "Sennder steigt mit der Uber-Freight-Transaktion zu den großen digitalen Frachtvermittlungs-Plattformen auf", sagt er. David Nothacker, Mitbegründer und CEO von Sennder, reicht das nicht: "Wir wollen der europäische Transport-Champion werden. Das ist unser Ziel", kündigt er gegenüber der VerkehrsRundschau an. "Bis 2025 wollen wir eine Milliarde Euro Umsatz knacken", und mit dem Uber-Freight-Geschäft sogar noch mehr, gibt er sich selbstbewusst. Und natürlich plane er mit Sennder weitere Zukäufe (mehr im Interview oben). Wohin das Ganze führt, ist für Müller-Steinfahrt klar: "Die Übernahme von Uber Freight Europe ist der Auftakt zu dem schon länger erwarteten Konzentrationsprozess - sowohl im Markt der Logistik-Start-ups, also auch im Markt der traditionellen Frachtenbörsen. Nur drei oder vier große Anbieter dürften diese Konsolidierungsphase überleben." Zum Vergleich: Aktuell tummeln sich seines Wissens deutschland- und europaweit über 140 Anbieter in diesem Segment. Ziel: die Transportkette unter einem Dach Was das Thema Konzentration treibt, ist klar: "Jede digitale Spedition, Frachtenbörse und Plattform buhlt um Auftraggeber und Frachtführer. Durch die Corona-Krise hat sich dieser Wettbewerb zugespitzt", erklärt der Logistikexperte. Treiber seien die großen Anbieter wie Timocom, Transporeon, Sennder, InstaFreight und Saloodo, die durch strategische Allianzen und den Kauf von Wettbewerbern ihr Portfolio ausbauen. So übernahm unlängst die Ausschreibungsplattform Transporeon den Zahlungsanbieter ControlPay und vermeldete dieser Tage die strategische Partnerschaft mit dem Logistik-IT-Spezialisten Ortec und Salt Solutions (jetzt Accenture). Von einer Marktkonsolidierung würde Gunnar Gburek, Leiter Business Affairs der Transportplattform Timocom, nicht sprechen wollen. "Firmenzusammenschlüsse und Aufkäufe gab es immer und wird es immer geben." Auch einen verschärften Wettbewerb mit Sennder sieht er nicht. "Timocom ist Netzwerkbetreiber, Sennder und Uber Freight sind digitale Speditionen. Wir sind in unterschiedlichen Geschäftsfeldern tätig." Beide hätten zudem schon in der Vergangenheit die Timocom-Plattform genutzt, um Transportaufträge in den Markt zu spielen. Daran werde sich wohl nichts ändern. Zudem entwickle sich Timocom stetig weiter. Auch und gerade durch die verstärkte Partnerschaft mit vielen TMS-Anbietern. Mit dem Vorteil: "Unsere Spediteure können ihre Transportaufträge über ihr TMS auf unsere Plattform spielen, und unsere Frachtführer erhalten diese elektronisch übermittelt. Das senkt die Fehleranfälligkeit auf allen Seiten enorm", weiß Gburek. Das sei der Trend der Zeit Müller-Steinfahrt bestätigt das: Alle diese Anbieter verfolgen nur ein Ziel: "Sie versuchen die gesamte Transportkette unter einem Dach abzubilden - von der Vermittlung, Disposition und Ausführung bis zur Bezahlung des Transports." So versuchen sie bei Auftraggebern und Transportbetrieben zu punkten. Die Frachtenbörsen und digitalen Speditionen, die das nicht schaffen, würden vom Markt verschwinden. Zumal große Speditionen wie DB Schenker oder Kühne + Nagel mittlerweile ihre eigenen digitalen Lösungen entwickelt haben. Für Transportbetriebe ist diese Entwicklung positiv. Sie profitieren nicht nur von einer deutlich attraktiveren Servicepalette dieser Anbieter, sondern mittelfristig auch von besseren Preisen. "Früher dienten Ausschreibungsplattformen dazu, die Preise der Frachtführer zu drücken - initiiert durch die Verlader", sagt Müller-Steinfahrt. "Mittelfristig werden die Transportbetriebe durch den Laderaum- und Fahrermangel am längeren Hebel sitzen - auch wenn durch es durch die Corana-Krise bei rückläufigen Frachtaufträgen und Frachtpreisen zu Einnahmeverlusten gekommen ist." Dass die Auftragszahlen im Transportmarkt seit April kontinuierlich wieder ansteigen, macht auch Timocom-Mann Gburek Mut. Im August und Anfang September seien die Mengen sogar über den Zahlen in 2019 gewesen. "Es gibt einen klaren Trend nach oben." Mehr zum Thema finden Sie unter #Startups www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Derzeit gibt es im Markt der Frachtenbörsen, digitalen Speditionen und Ausschreibungsplattformen rund 200 Anbieter. Doch der Markt gerät unter Druck: Treiber dürfte Experten zufolge der aktuelle Aufkauf von Uber Freight durch die digitale Spedition Sennder sein. Was das für den Markt heißt, zeigt der Beitrag. "Wir werden immer stärker zu Konkurrenten klassischer Speditionen", David Nothacker, Mitbegründer und CEO von Sennder in Berlin Warum haben Sie das hochdefizitäre Europageschäft von Uber Freight übernommen? Für mich persönlich war das Uber-Team der entscheidende Grund, weil sie wissen, wie man Geschäft nach oben skaliert. Wir werden daher auch fast das gesamte Management übernehmen, der vormalige General Manager Europa wird zum Beispiel unser COO. Planen Sie noch weitere Aufkäufe? Wie es aussieht, starten wir in den kommenden Monaten zunächst eine weitere Finanzierungsrunde. Damit wollen wir einen neunstelligen Betrag einsammeln. Im nächsten Schritt werden wir verstärkt kleinere klassische Speditionen ohne eigenen Fuhrpark kaufen, die noch keine eigenen digitalen Lösungen nutzen. Wunschgröße sind für uns Betriebe von 20 bis 100 Mitarbeitern. Wir haben auch schon zwei Speditionen angesehen. Haben es aber gelassen, weil wir erst unsere neuen Aktivitäten wie Everoad in Frankreich und Uber Freight integrieren müssen. In welchen Ländern steht das an? Wir wollen der europäische Transport-Champion werden. Das ist unser Ziel. Potenzial sehen wir in England, Skandinavien und einigen Ländern Osteuropas wie Rumänien, weil wir dort noch kaum präsent sind. Wir wollen uns da lokal verstärken, damit wir eine persönliche Beziehung zu unseren Kunden und Frachtführern entwickeln, aber auch weil das mehr Volumen auf unsere Plattform bringt. Sprich: Aus der digitalen Spedition Sennder wird jetzt eine klassische Spedition? Kann man so sehen. Sehen wir aber anders. Wir sind und bleiben digitale Spedition. Wir digitalisieren ja mit unserer Lösung das Geschäft von Speditionen und machen es effizienter. Klar werden wir aber stärker zu Konkurrenten klassischer Speditionen, weil wir größer werden. Was unterscheidet Sie noch von klassischen Speditionen? Uns unterscheidet, wie wir operieren, wie wir Transporte durchführen. Wir haben einen Algorithmus entwickelt, der es uns erlaubt, Transporte verschiedener Kunden dynamisch zu kombinieren. Die durchschnittliche Auslastung ist somit wesentlich höher als bei konventionell arbeitenden Speditionen. eh

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