"Zwei gute Ideen neu zusammensetzen"

Sie waren über zehn Jahre lang in verantwortlichen Positionen bei Renault Trucks. Was unterscheidet MAN von Renault? MAN ist ein deutsches Unternehmen mit deutschen Wurzeln, das zu einem der größten Automobilkonzerne der Welt gehört. Außerdem sind wir die Nummer zwei im europäischen Markt und somit auch außerhalb unseres Heimmarkts gut aufgestellt. Kurz vor Ihrem Start bei MAN hat uns gegenüber der Vorstandsvorsitzende Anders Nielsen gesagt, Sie würden antreten, um die Vertriebseffizienz von MAN zu erhöhen. Das waren schöne Vorschusslorbeeren. Wir haben aber in den letzten Monaten tatsächlich einige Neuerungen in Angriff genommen. Beispielsweise haben wir den Vertrieb neu geordnet. Für LKW, Busse und das Gebrauchtfahrzeuggeschäft sind jetzt klare Verantwortlichkeiten definiert. Wir können frühzeitig erkennen, was am Markt passiert und schneller darauf reagieren. Gleichzeitig haben wir unsere Organisation gestrafft. Das sehr wichtige Thema Gebrauchtfahrzeuge ist jetzt direkt bei mir angebunden. Eine wichtige Rolle spielt auch Business Solutions, um unsere Kunden noch schneller mit maßgeschneiderten Lösungen zu bedienen. Eines der ausbaufähigen Themen bei MAN sind die außereuropäischen Märkte. Das stimmt. Hier wollen wir eine andere Verteilung erreichen. Ausgehend vom heutigen Volumen hat Europa immer noch einen Anteil von 70 Prozent an unserem Geschäft. In den kommenden Jahren möchten wir einen Split von etwa 50 zu 50 Prozent hinbekommen. Themen sind weitere Infrastrukturmaßnahmen, Investitionen in die Produktentwicklung, aber auch die richtigen Business Solutions für diese Märkte. Was meinen Sie mit den richtigen Business Solutions? Hier spielen vor allem drei Themen eine Rolle: Unser Potenzial an Finanzierungsdienstleistungen im In- und Ausland schneller zu realisieren, Wartungs- und Reparaturverträge in den außereuropäischen Märkten weiter zu entwickeln und uns beim Thema Telematik in diesen Ländern noch besser aufzustellen. Gerade die Schwellenländer fordern zunehmend, dass zumindest ein Teil des Produktes vor Ort produziert wird. Wie gehen Sie damit um? Das ist ein wichtiger Punkt. Ich war in den letzten Monaten sehr viel in diesen Ländern unterwegs, um die Situation vor Ort besser zu verstehen. Wir stellen immer öfter fest, dass lokale Fertigung einen Wettbewerbsvorteil bedeutet respektive gefordert wird. Momentan sehen wir uns jeden Markt auf dessen Möglichkeiten für uns an. Das geht von Afrika über Asien bis Ozeanien. Herr Nielsen sprach uns gegenüber von Russland und China als den entscheidenden Märkten. Hat sich das geändert? Nein, überhaupt nicht. In Russland sind wir seit vier Jahren unter den europäischen Herstellern marktanteilsmäßig die Nummer eins. Wichtig für uns ist, inwieweit sich der Markt weiter für Premiumprodukte öffnet. Der Anteil von heute 30 Prozent wird stetig wachsen, sodass wir mit der TG-Baureihe noch stärker Fuß fassen können. China ist natürlich ein Markt, der ein enormes Potenzial verspricht. Bei Zulassungszahlen von einer Million Nutzfahrzeugen sind die europäischen Hersteller jedoch nur mit rund 15.000 LKW und Bussen unterwegs. Ich erwarte aber nicht, dass sich hier ganz kurzfristig etwas ändern und dieser Anteil rasant wachsen wird. Welche Auswirkungen hat die Situation in Russland auf Ihre Geschäftslage? Wir hatten kürzlich die russische Vertriebsorganisation im Haus; die Veranstaltung war schon länger geplant. Selbstverständlich beobachten wir die Situation mit wachsamem Auge. Im Moment stellen wir jedoch noch keine großen Veränderungen fest, gehen aber davon aus, dass der Markt sich nicht, wie ursprünglich geplant, in 2014 positiv entwickeln wird. Was man nicht unterschätzen sollte, ist der starke Einfluss auf den Wechselkurs. Wir sind weiterhin stark in Russland und den Nachbarländern unterwegs. Welche Rolle spielt der deutsche Markt für MAN? Deutschland ist nicht nur unser Heimatmarkt, er repräsentiert ein Viertel des europäischen LKW-Marktes. Hier möchten wir unsere Position nicht nur halten, sondern noch verbessern. Wobei der Investitionsspielraum Ihrer deutschen Kunden nicht mehr sehr groß ist. Diese Situation trifft leider nicht nur auf Deutschland zu. Die Margen unserer Kunden sind sehr, sehr dünn. Wir müssen alles in Bewegung setzen, um die Total Cost of Ow nership für die Unternehmer weiter zu sen ken. Dabei ist der Verbrauch das alles über strahlende Thema. Aber auch die Wartungs kosten und die Wiedervermarktung spielen eine große Rolle. Wir verkaufen ja nicht mehr nur LKW, das geht viel weiter. Wir begleiten den Fahrer live oder über Tele matikdaten auf seiner Tour und unterstützen ihn so, Verbrauchseinsparungen darzustel len. Ich habe dafür ein geflügeltes Wort: Auch die beste Innovation kann nicht mit ei nem gut ausgebildeten Fahrer mithalten, wenn es um die Verbrauchsoptimierung geht. Ihre Mitbewerber, auch im eigenen Konzern, setzen mit Erfolg auf den GPS-Tempomaten, um den Verbrauch zu senken. Was sagt MAN bei diesem Thema? Wie ich gelesen habe, gilt das zumindest für einige Hersteller. Wir freuen uns darauf, dass wir zur IAA unseren GPS-Tempomaten vorstellen werden. Ab wann wird er ausgeliefert? Anfang 2015. Hat er Scania-Gene? Nein, wir haben ihn selbst entwickelt. Was wird man sonst noch auf Ihrem IAA-Stand sehen? Unsere Themen in diesem Jahr werden vor allem der Verbrauch und der Antriebsstrang sein. Wir bringen neben dem GPS-Tempomaten den 15-Liter-Motor und werden einiges zum Thema Gas-Antrieb zeigen. Auf diesem Feld geht es richtig voran. Wir haben einige Pfeile im Köcher, was CNG-Lösungen betrifft. Wir können im LKW-Bereich stark von unserer Kompetenz bei den Bussen profitieren, dort sind wir ja bereits heute Weltmarktführer. Zudem stellen wir neue Telematikanwendungen vor. Und das Ganze auf einem Gemeinschaftsstand mit Scania? Pardon? (lacht) Machen Sie sich keine Sorgen. MAN bleibt MAN und wird sich auch so präsentieren. Wie steht es denn um die Kooperationspläne mit Scania? Wo bleiben die Synergien? Von Anfang an hieß das zentrale Thema Einkauf. Diese Synergien haben wir so weit wie möglich gehoben. Es gibt auch Gespräche über Komponenten, beispielsweise Getriebe und Achsen. Das ist ja kein Geheimnis. Wir müssen sehen, was hier passiert. Falls das Angebot von VW für Scania realisiert wird, könnte hier einiges schneller gehen. Zum Getriebe: Der neue Motor kommt noch mit AS Tronic, da es mit dem Traxon-Getriebe Probleme gibt? Oder orientieren Sie sich von ZF weg Richtung Scania und Doppelkupplungsgetriebe? Wir haben das Traxon-Getriebe getestet und waren bereit, es einzubauen. Aber wir können es unseren Kunden nur anbieten, wenn es wirklich hundertprozentig funktioniert und eine Verbesserung darstellt. Die endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen. Wir haben mit ZF einen Lieferanten, mit dem wir zufrieden sind. Wenn sich aber innerhalb des Konzerns Möglichkeiten ergeben, werden wir uns die natürlich ansehen. Die Bedürfnisse Ihrer Kunden haben sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Wie gehen Sie darauf bei der Konzeption Ihrer Fahrzeuge und Ihrer Leistungen ein? Es gibt einen klaren Bogen, der sich um das gesamte Thema spannt: Unsere Umfragen haben ergeben, dass Kunden mit einem Dienstleistungsvertrag - egal welchem - zufriedener sind als Kunden ohne Vertrag. Wir müssen also versuchen, von Anfang an mit dem Kunden längerfristige Partnerschaften zu schließen, die weit über das Fahrzeug hinausgehen. Welche Verträge bieten Sie den Kunden an - und welche werden nachgefragt? Hier gibt es die unterschiedlichsten Ansätze. Wir stellen jedoch verstärkt fest, dass unsere Kunden sich eine feste Kalkulationsbasis von Anfang an wünschen. Das muss nicht immer ein Full-Service-Vertrag sein. Wir haben hier auch eine gute Chance, den klassischen Wartungsvertrag anzubieten. Dank der Möglichkeiten von Telematiksystemen können wir sogar das Fuhrparkmanagement unserer Kunden übernehmen. Hierfür werden wir demnächst neue, kundenorientierte Lösungen vorstellen. Haben kleine und große Unternehmen unterschiedliche Anforderungen an Sie? Absolut. Es ist sehr wichtig, dass der Unternehmer seine Kosten pro Kilometer kennt. Nur wenn er diese Daten hat, gibt es die Chance, auf einem gemeinsamen Weg die Kosten pro Kilometer zu reduzieren. Wobei Unternehmen, die beim professionellen Management des Fuhrparks besonders stark sind, offener für eine weitergehende Kooperation mit uns sind. Beraten Sie Kunden in Richtung Professionalisierung? Ganz offen: Das ist ein wichtiges Thema für mich. Hier werden wir uns noch besser aufstellen, weitere Ressourcen und Kompetenzen schaffen, um die Kollegen im Feld stärker zu unterstützen. Dabei sollen sie einen professionellen Support bekommen. Sehen Sie die Transportbranche insgesamt als zu unprofessionell agierend? Nein, das würde ich so nicht im Raum stehen lassen. Ich habe generell das Gefühl, dass die Sensibilität der Unternehmer zugenommen hat. Vielleicht war die Krise 2009 ein Anlass, dass unsere Kunden ihre Kalkulationsbasis genau im Blick haben und wissen, welche Möglichkeiten der Optimierung vorhanden sind. Wird es deshalb auch schwieriger, dem Kunden teurere Produktinnovationen zu verkaufen? Da sind wir bei meinem Lieblingsthema: Wir brauchen bezahlbare Innovationen und Innovationen, für die Unternehmer bereit sind, Geld auszugeben. Ein wichtiges Thema - wie bereits erwähnt - ist der Verbrauch. Innovation bedeutet für mich nicht immer, in großen Dimensionen zu denken. Innovation heißt auch, zwei gute Ideen neu zusammenzusetzen, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Wir müssen unseren Kunden Fahrzeuge zur Verfügung stellen, die wirklich sparsam sind. Dadurch, dass wir bisher keinen GPS-Tempomaten anbieten, haben wir beim optimalen Verbrauch, insbesondere im Fernverkehr mit ausgeprägter Topografie, Nachholbedarf. Da werden wir wieder punkten. Welche zwei Ideen sind das beispielsweise? SCR und EGR beispielsweise. Das konnten wir aufgrund unserer Erfahrungen so kombinieren, dass etwas Gutes dabei herausgekommen ist. Unsere Kunden sagen uns, dass unser Euro-6-Motor wirklich Spitze ist. SCR only für Sie kein Thema? Scania ist damit sehr erfolgreich, was den Verbrauch betrifft. Warten wir mal ab. Abgerechnet wird am Schluss. Denken Sie an Themen wie die Wiedervermarktung und die verschiedenen Einsatzgebiete. Wir sind zufrieden mit dem, was wir entwickelt haben, und mit unserem neuen 15-Liter-Motor ist uns wieder ein guter Wurf gelungen. Warum ein neuer großer Motor, wo Sie V8-Triebwerke im Konzern haben? Wir glauben, dass der V8 ausgedient hat. Beim Thema Verbrauch ist der 15 Liter mit sechs Zylindern die bessere Lösung. Ein neuer Motor - wann gibt es einen neuen LKW? Die TG-Baureihe ist bereits in die Jahre gekommen. Ich würde sagen, sie ist gereift. Immerhin können wir als einer der wenigen Hersteller Euro 6 mit einer bestehenden Plattform darstellen. Wir fühlen uns mit der TG-Range weiterhin sehr wohl. Mit dem neuen Motor, dem GPS-Tempomaten und weiteren Neuentwicklungen ist mir auch in Zukunft nicht bange. Zum richtigen Zeitpunkt werden wir neue Fahrzeuge bringen. Haben Sie aus Kostengründen Ihre Beteiligung im Truck-Race-Zirkus zurückgezogen? Das war nicht ausschlaggebend. Wir hatten fast keine Wahl, denn wir wollten keinen MAN-Markenpokal aufsetzen. Das war der eigentliche Grund dafür. Die ganze Industrie hat sich bei dem Thema abgemeldet. Wir waren der letzte Mohikaner und haben wirklich mit einer Träne im Auge beschlossen, uns ebenfalls zurückzuziehen. Aber es kann ja auch nicht sein, dass einer bezahlt und alle anderen zum Tanzen kommen. Wenn ein anderer Hersteller sich wieder beim Truck Race engagiert, werden wir uns das selbstverständlich nochmals anschauen. Vita Heinz-Jürgen Löw Der gebürtige Regensburger, Jahrgang 1964, absolvierte eine Ausbildung als Kaufmann für Spedition und Logistikdienstleistung, bevor er im schweizerischen St. Gallen das Management-Zertifikationsprogramm durchlief.Ab 1987 hatte er bei der Wolf Graf von Bassewitz GmbH verschiedene Positionen inne. 1992 verließ er das Unternehmen in Richtung Zeppelin GmbH, wo er bis 1999 verschiedene Managementpositionen inne hatte. Anschließend ging er zu Renault Trucks. Dem Unternehmen stand er zuletzt als Präsident der Nutzfahrzeugsparte in Lyon vor.Seit 1. März 2013 ist Löw Vorstand Marketing, Vertrieb und Services bei der MAN Truck & Bus AG in München. bb Das Unternehmen MAN Truck & Bus MAN Truck & Bus betreibt Produktionsstätten in vier europäischen Ländern sowie in Russland, Südafrika und Indien. Die Produktpalette reicht von 7,5- bis 44-Tonnen-LKW und Sonderfahrzeugen bis 250 Tonnen Zuggesamtgewicht über Omnibusse und Reisebusse bis zu Diesel- und Gasmotoren für Onund Offroad-Anwendungen.Im Berichtsjahr 2013 verkaufte MAN Truck & Bus 76.268 LKW, 5294 Busse und 9752 Einbaumotoren. Die Umsatzerlöse beliefen sich auf 9,1 Milliarden Euro (+3 Prozent über 2012), das operative Ergebnis auf 228 Millionen Euro und damit auf Vorjahresniveau. Die Umsatzrendite sank leicht auf 2,5 Prozent (2012: 2,6 Prozent). Im Segment LKW über 6 Tonnen erreichte das Unternehmen in Europa einen Marktanteil von 16,5 Prozent. bb