Weniger böse Überraschungen

Per Gesetzesänderung will die Bundesregierung mehr Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung schaffen. Rückforderungen wegen vorsätzlicher Benachteiligung von Gläubigern sind in der jüngeren Vergangenheit zunehmend zum Problem im Geschäftsverkehr geworden - auch in der Transport- und Logistikbranche. Mitunter müssen Unternehmen nach Jahren viel Geld für vereinbarungsgemäß erbrachte Leistungen an Insolvenzverwalter ehemaliger Kunden zurückzahlen, das sie bereits ausgegeben oder investiert haben. Vor allem für kleinere Frachtführer und Spediteure ist dieses unkalkulierbare Risiko angesichts der oft überschaubaren Margen und Rücklagen existenzgefährdend. Neben mehreren Anwaltskanzleien haben jetzt der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) sowie der Bundesverband Möbelspedition und Logistik (AMÖ) über die Neuregelungen informiert. Verkürzung der Anfechtungsfrist Es geht vor allem um die Möglichkeit von Insolvenzverwaltern, bereits vor dem Insolvenzantrag vollzogene Zahlungen des insolventen Unternehmens für erbrachte Leistungen von deren früheren Geschäftspartnern zurückzuverlangen. Die Anfechtungsfrist beträgt hier künftig in der Regel vier statt bislang zehn Jahre. Dafür wird Paragraf 133 der Insolvenzordnung angepasst (siehe Seite 38). Nach dem Ablauf dieser Frist besteht Sicherheit für die Gläubiger, dass sie Zahlungen ihrer Schuldner nicht mehr herausgeben müssen. Ausgenommen von der neuen Regel bleiben unredliche Vermögensverschiebungen und Bankrotthandlungen. Vor allem bleibt es laut dem Gesetzentwurf für diese Fälle bei dem zehnjährigen Anfechtungszeitraum. Auch gilt hier nach wie vor, dass vermutet wird, ein Gläubiger habe den schuldnerischen Benachteiligungsvorsatz gekannt, wenn er von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wusste. In diesem Zusammenhang sind vor einem Insolvenzantrag vorgenommene Zahlungen, die der Gläubiger zur damaligen Zeit in der Art tatsächlich beanspruchen konnte, in Zukunft nur dann anfechtbar, wenn dieser von der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wusste. Bislang genügte bereits die Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit für den Vorwurf der vorsätzlichen Benachteiligung anderer Gläubiger. Mit anderen Worten: Nur, wenn der Unternehmer im Moment eines Forderungseinzugs wusste, dass der Vertragspartner zahlungsunfähig ist, kommt eine Anfechtung in Betracht. Keine Angst bei Zahlungsaufschub Die Praxis der Vorsatzanfechtung soll für den Geschäftsverkehr zudem kalkulierbarer werden. Gläubiger, die klammen Schuldnern Zahlungserleichterungen gewähren, sollen sicher sein können, dass dies allein eine Vorsatzanfechtung nicht begründen kann. Zugunsten jener Unternehmen wird nach der Reform vermutet, dass sie bei später erhaltenen Zahlungen die Zahlungsunfähigkeit ihres Schuldners nicht kannten. Das bedeutet: Wer mit einem wirtschaftlich angeschlagenen Geschäftspartner zum Beispiel eine Ratenzahlung, einen Zahlungsaufschub oder eine Stundung vereinbart hat, muss sich nicht mehr sorgen, dass ihn später dessen Insolvenzverwalter verklagt. Will der Insolvenzverwalter in solchen Fällen Geld zurück, muss er beweisen, dass der Gläubiger von der Zahlungsunfähigkeit wusste und in betrügerischer Absicht seine Forderungen vor der Insolvenz gerettet hat. Weiterhin ist beabsichtigt, die Rechtsunsicherheiten zu beseitigen, die in Bezug auf die Anfechtbarkeit von Arbeitsentgeltzahlungen bestehen. Daher wird gesetzlich klargestellt, dass in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch dann ein Bargeschäft im Sinne von Paragraf 142 der Insolvenzverordnung gegeben ist, wenn der Zeitraum zwischen Arbeitsleistung und Auszahlung des Arbeitsentgelts drei Monate nicht übersteigt. Diesbezüglich ist eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt ist, künftig nur noch anfechtbar, wenn andere Gläubiger benachteiligt wurden und der Anfechtungsgegner erkannt hatte, dass der Schuldner unlauter handelte. Verzinsungsregeln eingeschränkt Darüber hinaus entstehen bei einer Insolvenzanfechtung künftig Zinsen auf Forderungen erst mit Eintritt des Verzugs und nicht mehr ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dies soll den Anreiz für Insolvenzverwalter reduzieren, nach langer Zeit im großen Stil alte Zahlungen anzufechten. Mit der Reform soll zudem die Abwicklung der Einzelunternehmen eines zahlungsunfähigen Konzerns zentralisiert werden, um die Chance zur Sanierung der Tochterfirmen zu erhöhen. Sämtliche Insolvenzverfahren eines Konzerns können künftig bei einem einzigen Gericht gebündelt werden. Weiterhin kann das Insolvenzgericht einen "Verfahrenskoordinator" berufen, um die Einzelverfahren besser aufeinander abzustimmen. Mit der Reform geht ein ungewöhnlich langer Gesetzgebungsprozess zu Ende. Der Entwurf war noch unter der schwarzgelben Vorgängerregierung initiiert und Ende 2013 vom neuen schwarz-roten Kabinett in den Bundestag gebracht worden. Dort wurde noch drei Jahre lang um Details der komplizierten Materie gerungen, ehe die Reform schließlich verabschiedet werden konnte. Die Änderungen der Insolvenzordnung treten einen Tag nach Verkündigung des Reformgesetzes in Kraft - das passiert vor der Bundestagswahl im Herbst. Mit der Insolvenzrechtsreform entspannt sich die Situation allerdings nur ein wenig. Denn die meisten Insolvenzanfechtungen erfolgen bisher bereits nach drei bis vier Jahren. Die wichtigen Änderungen im Überblick: - Für die Vorsatzanfechtung von Zahlungen vor einem Insolvenzantrag soll ein deutlich kürzerer Anfechtungszeitraum von vier statt bisher zehn Jahren gelten. - Anders als bislang sollen die Zahlungen für vereinbarungsgemäß erbrachte Leistungen grundsätzlich erst dann anfechtbar sein, wenn der Gläubiger erkannt hatte, dass der Schuldner bereits zahlungsunfähig war. Die Kenntnis der bloß drohenden Zahlungsunfähigkeit soll nicht mehr genügen. - Zahlungserleichterungen, die ein Gläubiger einem Schuldner gewährt, gelten künftig für sich genommen nicht mehr als Indiz für die Kenntnis einer drohenden oder tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit. Um einen Anfechtungsanspruch zu begründen, muss der Insolvenzverwalter das Gegenteil beweisen. - Auch verspätet ausgezahltes Arbeitsentgelt des Gläubigers unterliegt künftig dem Bargeldprivileg - solange der Zeitraum drei Monate nicht übersteigt, sind diese Zahlungen vom Insolvenzverwalter des Schuldners nicht anfechtbar. Ausnahme: Er kann beweisen, dass der Schuldner unlauter gehandelt hat. - Für die Verzinsung von Anfechtungsansprüchen gelten die allgemeinen Regeln (ab Verzug oder Rechtshängigkeit einer Klage). Eine Verzinsung der Anfechtungsansprüche ab der Insolvenzeröffnung ist nicht mehr erlaubt. Mehr zum Thema finden Sie unter Wirtschaftsrecht www.verkehrsrundschau.de/dossiers Insolvenzanfechtung Gebaren ist ein zunehmendes Problem im Geschäftsverkehr Insolvenzverwalter nutzen seit einigen Jahren exzessiv die sogenannte Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung der Gläubiger gemäß Insolvenzordnung als Geldquelle. Die aktuelle Rechtsprechung ermöglicht es ihnen, bereits geleistete Zahlungen der letzten zehn Jahre in voller Höhe zurückzufordern, um sie in die Insolvenzmasse einfließen zu lassen, wenn der entsprechende Vertragspartner damals etwa davon ausgehen konnte, dass die Pleite des Schuldners droht. Schon geänderte Zahlungsbedingungen sowie Bitten um Ratenzahlung und Stundung gelten als Indizien. Dieses Rechtsinstrument soll verhindern, dass wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen kurz vor der Pleite Geld aus ihrem Betrieb ziehen, Vermögen verschieben oder einige Gläubiger sich ihre Forderungen noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bezahlen lassen - während die anderen leer ausgehen. Laut dem Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) wurde eine Vorsatzanfechtung in der jüngeren Vergangenheit in zwölf Prozent der Insolvenzen erfolgreich durchgesetzt. Die Verwalter verlangten durchschnittlich 38.760 Euro zurück. ag Das steht künftig im Gesetz Paragraf 133 der Insolvenzordnung: Vorsätzliche Benachteiligung (1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.(2) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.(3) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach Absatz 1 Satz 2 die eingetretene. Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.(4) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war. ag

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