Interview: "VR ist aktuell ein ziemlich gehyptes Thema"

Ist das Konzept des digitalen Zwillings mittlerweile auch in der Logistikwelt angekommen? Ja, in der Intralogistik wird dieses Konzept bereits seit einigen Jahren verfolgt. Basis des digitalen Zwillings sind schließlich die Daten, die aus dem ERP oder Warehouse Management System (WMS) generiert werden. In der ersten Stufe verschafft der digitale Zwilling anhand von Datenauswertung einen Überblick über das Geschehen im Lager. Die zweite Stufe besteht nun aus der Visualisierung und vor allem Simulierung von Prozessen. Während sich WMS in der Regel auf Steuerung und Verwaltung der Lagerdaten fokussieren, geht es beim digitalen Zwilling vor allem um das Experimentieren mit Daten. Um welche konkreten Anwendungen geht es dabei? Der digitale Zwilling ist ja nicht nur eine Visualisierung des Lager-Layouts. Einmal an die Lager-Software und damit die Live-Daten angeschlossen, könnten in Zukunft alle möglichen Simulationen vorgenommen werden. Das können die Schichtplanung sein, die auf den Prüfstand gestellt wird, oder auch eine Umgestaltung der Kommissionierplätze. Nicht zuletzt können Störungsszenarien durchgespielt werden. Wird der digitale Zwilling in einer 3-D-Umgebung abgebildet, bietet es sich natürlich auch an, diese künftig auch für Mitarbeitertrainings zu nutzen. Ab welchem Automatisierungsgrad ist die Erstellung eines digitalen Zwillings sinnvoll? Grundsätzlich in allen Lagerumgebungen, für die der Betreiber Transparenz haben will. Auch der Mittelständler, dessen Lager nicht unbedingt hochautomatisiert sein muss, kann etwa Barcode-Scans in Echtzeit im digitalen Zwilling ablegen und so Lagerprozesse permanent digital verfügbar machen. Ist die VR-Technologie das richtige Vehikel, um mit dem digitalen Zwilling zu arbeiten? VR ist aktuell ein ziemlich gehyptes Thema. Ob die Technologie grundsätzlich sinnvoll ist, sich im digitalen Zwilling zu bewegen, möchte ich bezweifeln, denn VR ist eine alles andere als übersichtliche Herangehensweise. Geht es etwa um die Steuerung und Überwachung von Lagerprozessen, müsste der Anwender lange virtuelle Wege zurücklegen, um angemessen schnell reagieren zu können. Hier wäre wahrscheinlich die Darstellung in der Vogelperspektive auf dem PC hilfreicher. Ein wirklicher Nutzwert würde dagegen darin bestehen, bei der Konzeption eines Lagers auch aus der Ferne per VR live zugeschaltet zu werden. Welche möglichen Einsatzszenarien finden Sie besonders reizvoll? Die ergonomische Analyse und Optimierung der Lagerumgebung. Momentan ist es noch so, dass das virtuelle Bewegen einer Kiste sehr schnell und leicht von der Hand geht. Wenn es aber gelingt, haptische Faktoren wie Gewicht und Widerstände in die virtuelle Welt zu integrieren, könnten etwa Kommissionierplätze von vorneherein viel mitarbeiterfreundlicher geplant werden. Diese haptischen Faktoren können beispielsweise durch Handschuhe, Gelenkapplikationen und Bewegungsplattformen simuliert werden. Wird sich die VR-Technologie im Industrie- und Logistikumfeld durchsetzen? In virtuellen Welten unterwegs zu sein, kannte man früher nur aus"Star Trek". Dass das Holodeck irgendwann Realität wird, war unvorstellbar. Die VR-Technologie ist mittlerweile auf einem Level angelangt, dass sie sich im Consumer-Bereich großer Beliebtheit erfreut. Es gab schon so manche Innovation, die erst den Consumer-Bereich und kurz darauf das betriebliche Umfeld erobert hat, etwa das Smartphone. Es werden sich in Sachen Mensch-Maschine-Kommunikation noch viele Anwendungsfälle auftun, die wir heute noch gar nicht absehen können.

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