Vom Zentrallager zu Tante Emma 2.0

In zehn Jahren kommt vielleicht mal jemand auf die Idee, die 400 Auslieferungen an einzelne Kunden in einem Stadtgebiet zentral an einem Ort zu bündeln. Das ist dann ein Rewe-Markt", sagt Dominic Loske scherzhaft. Dennoch verdeutlicht der Leiter Transport im Zentrallager der Rewe Logistik Südbayern in Eitting damit, dass sich die Lebensmittellogistik in den kommenden Jahren auf eine Vielzahl möglicher Entwicklungen einstellen muss. Lieferungen werden kleinteiliger Sicher ist, dass der Online-Handel zunehmen wird. Aber in welchem Ausmaß die Kunden die Lieferung nach Hause dem eigenen Einkauf vorziehen werden, bleibt ungewiss. Jedenfalls müsse es ein "Einkaufserlebnis" sein, wenn der Kunde in den Markt kommt, ist sich Loske sicher. Tatsächlich aber wird es wohl ein Mix aus Sortimenten sein, die man sich eher liefern lässt, und solchen, die man dann doch lieber selbst im Laden einkauft. Steigende Kundenanforderungen ebenso wie kleinteilige Warenmengen zählen daher für Rewe Logistik zu den großen Herausforderungen der kommenden Jahre. In Eitting will man künftig auch die Brotlogistik übernehmen. Spätestens dann "können wir gar nicht mehr in Kolli denken, dann müssen wir in Stück denken", beantwortet Logistik-Leiter Gustav König die Frage eines Besuchers, der bei der von der Bundesvereinigung Logistik BVL organisierten Besichtigung des 63.100 Quadratmeter großen Lagers in Eitting wissen wollte, ob Artikel dort auch einzeln kommissioniert werden oder nur in Kolli. Frischezentrum wird vergrößert Der Anteil der Lieferungen, die über das Zentrallager an die Märkte geht, wurde deutlich gesteigert. Laut König seien es vor zehn Jahren 73 Prozent gewesen, heute seien es 93 Prozent. Direktlieferungen der Industrie an die Märkte würden immer weniger. Rewe sei auch die erste Handelskette in der Branche gewesen, die schon im Jahr 2001 damit begonnen hatte, Fleischwaren für den Selbstbedienungsbereich industriell herstellen und verpacken zu lassen, die somit auch bestens dafür geeignet sind, über die Rewe-Zentrallogistik ausgeliefert zu werden. Das jetzt schon gewaltige Frischezentrum von Rewe in Eitting wird um eine weitere Halle vergrößert. Von dort aus werden nicht nur Südbayern und Österreich versorgt. Der Standort ist auch das "Deutschland-Gate für Obst und Gemüse", erklärt König. Ein Großteil dieses Sortiments komme aus Südeuropa nach Deutschland. Zudem ist der Anteil der Frischeprodukte, die in München gekauft werden, mit 25 Prozent der höchste in Deutschland. "Für uns ist das gut", freut sich Betriebsleiter Christoph Kirsch, da man bei Obst und Gemüse eine gute Spanne habe. Gleichzeitig stellt das Frischesortiment das größte Problem bei der Auslieferung da. Im Gegensatz zum Trockensortiment muss es bis 8 Uhr morgens in den Märkten sein. Je nach Standort darf aus Lärmschutzgründen an die Märkte in München aber erst ab 6 oder sogar 7 Uhr geliefert werden. Die Spanne ist knapp. Ein kleiner Stau, und der Plan ist hinfällig. Rewe probiert zwar unterschiedliche Möglichkeiten aus, so richtig überzeugt aber keine: Mit dem Hängerzug reinfahren und dann die Waren auf kleinere Einheiten umladen kommt teuer. Auch versucht man mobile Warenanlieferungs-Container, die am Markt abgestellt werden. Aber: "Wenn der Boden uneben ist, geht die Tür nicht auf. - Oder es parkt ein Auto davor", beschreibt König einige der möglichen Probleme. Mit E-Lkw könne man zwar mögliche Einfahrverbote aus Lärm- oder Emissionsgründen umgehen, aber abgesehen von den derzeit noch ziemlich teuren Fahrzeugen brauche man auch geräuscharme Rollcontainer oder Flurförderzeuge, eine Lärmschutzwand, einen Fahrer, der die Fahrzeugtür leise schließt, das Radio ausmacht und so weiter, schränkt Loske ein. Förderanlage für Paletten geplant Das Spannungsfeld, in dem sich die Logistik befindet, ist gewaltig. Probleme mit der Infrastruktur, mit Lärm- und Umweltbelastung müssen gelöst werden. Der Vertrieb würde es am liebsten sehen, dass die Waren in der Reihenfolge der jeweiligen Regale in den Märkten kommissioniert werden. Die Warenmengen werden kleinteiliger, die Kundenanforderungen steigen und gleichzeitig darf möglichst nichts mehr kosten. Effizienz und Automatisierung sollen deshalb in den kommenden Jahren weiter vorangetrieben werden. Eine automatische Hebeanlage für Rollcontainer und Paletten vom Erdgeschoss in den ersten Stock ist in Eitting bereits im Einsatz. Eine Förderanlage mit 1,5 Kilometern Förderstrecke durchs Lager ist geplant. Durch Lagerortscannung bei der Kommissionierung konnte die Fehlerquote um 50 Prozent gesenkt werden. Im Trockensortiment passiert alle 3500 Kolli ein Fehler, bei Obst und Gemüse alle 6000. In diesem Bereich setzt ein Mitarbeiter pro Tag 20 Tonnen um, kommissioniert im Schnitt 280 Kolli pro Stunde, arbeitet also an zwei von drei Tagen während seiner gesamten Schicht fehlerfrei. Und das bei einem Sortiment von 300 bis 400 verschiedenen Artikeln. Personalmangel ist ein zusätzliches Problem für Rewe, dem man mit einer Vielzahl von Maßnahmen entgegenzuwirken versucht. Wegen der schlechten öffentlichen Anbindung holen eigene Minibusse die Mitarbeiter etwa in Landshut, Pfaffenhofen, Freising und Erding ab. Mitarbeiter, die einen neuen Kollegen werben, erhalten 500 Euro. Es gibt eine Fußballmannschaft und auch vier Geflüchtete sind erfolgreich eingestellt worden. Ihnen bietet man kostenlose Sprachkurse an. Und obwohl Rewe laut Loske im Branchenvergleich mit der Bezahlung im oberen Drittel liegt, reicht der Stundenlohn vielen offenbar nicht, um die Arbeitstage bei minus 27 Grad im Tiefkühllager oder bei vergleichsweise freundlichen plus vier Grad im Frischlager verbringen zu wollen. Neben den 500 eigenen Mitarbeitern in Eitting gibt es also noch 300 Leiharbeitskräfte, die mittels eines Subunternehmers zumeist aus Polen kommen. "In zehn Jahren sehe ich inmitten unseres Standorts ein Wohnhaus stehen", prophezeit Loske. Dort könnten dann Arbeiter aus Osteuropa während der Woche leben. Bestellungen an der Tanke abholen Um in den Märkten Platz zu sparen, wird die Belieferung in diesem Jahr vollständig auf Paletten umgestellt. Gerade in den kleinen Märkten zählt jeder Quadratmeter Verkaufsfläche, erklärt König. Als eines der Modelle der Zukunft sieht man bei Rewe denn auch den "Tante-Emma-Laden 2.0". Dort könnte die Filial- und Endkundenbelieferung nach Vorstellungen von Rewe verschmelzen. Dank moderner IT könnte die Nahversorgung mit Vollsortiment auch auf kleiner Handelsfläche realisiert werden. Vielleicht bieten sich früher oder später die Aral-Tankstellen dafür an, deren Belieferung aus dem Rewe-Sortiment in diesem Jahr aufgebaut wird. Die blauen Drive-ins mit ihren ausgedehnten Öffnungszeiten würden einigen Kunden zur Abholung des zuvor im Internet bestellten Einkaufs sicher entgegenkommen. Die derzeit üblichen Tankstellen-Preise würden sie dafür aber wohl eher nicht bezahlen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Handelslogistik" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Rewe Logistik in Zahlen Standorte 17Lagerfläche 1.047.473 QuadratmeterLkw 290Beschäftigte 6600 VollzeitäquivalentKunden/Märkte 5300Zentrallager EittingLagerfläche 63.100 QuadratmeterLagerumsatz Mehr als eine Milliarde EuroUmgeschlagene Kolli 98,8 MillionenMitarbeiter 503zu beliefernde Märkte 503

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