Volvos große Größe für die Grube

Volvo ist auf Angriff gepolt: Die Startschwierigkeiten der Euro-6-Modelle mit tendenziell hohen Verbräuchen und Preisen sowie interner Umstrukturierung sind Geschichte. Stattdessen scheinen die Schweden mittlerweile wikingerartig etliche europäische Fuhrparks zu erobern, mit Vorliebe auch solche, die vorher noch nie Volvo gefahren haben. Gleichzeitig bauen sie ihr Programm aus und etablieren den im Fernverkehr populären FH auch als Bau- und Verteilerfahrzeug. 2014 kam ein hoher Baustellenrahmen, der neben der Stabilität auch die Böschungs- und Rampenwinkel erhöht. Dazu kommen gerade Achsen, nach oben gelegte Federelemente und eine massive Stahlplatte als Unterfahrschutz für Kühler und Ölwanne - alles Details, die bisher dem "Bauarbeiter" FMX vorbehalten blieben. Dazu kommt ab Sommer auch eine stabile Front, die konstruktiv ebenfalls dem FMX-Vorbild folgt. Optional bietet diese eine 36-Tonnen-Schleppöse. Der um 132 Millimeter nach vorn versetzte Stoßfänger besteht aus Drei-Millimeter-Stahlplatten. Diese vorgezogene Unterlippe soll dann auch die Scheinwerfer schützen. Paradoxer Paradigmenwechsel Ein Punkt, wegen dem man einst FH und FM als Baustellenautos immer kritisierte: Die wurden wegen der kunststoffhaltigen Front und wenigen bauspezifischen Optionen nie so recht als Bauarbeiter anerkannt. Also entwickelte Volvo den FMX, der aber auch in Euro 6 die altehrwürdige, knapp geschnittene Kabine des Vorgängers aufträgt. Die Antwort des Gewerbes kam prompt und etwas paradox: Einige Baukunden schielten wieder zum FH, den die Schweden mittlerweile als Kippsattelzug ins X-Press-Programm mit sieben Tagen Lieferzeit hoben. Der 8x4-Vorführer muss noch ohne die neue Front auskommen, auch ein Bauauftritt an der Seite der Kabine ist wegen der großen Stauklappe nicht zu erwarten. Doch unter dem Rahmen gibt er den Bauarbeiter. Luftbälge und Bremszylinder hat Volvo so weit wie möglich nach oben gehängt, wodurch der FH auch im schwereren Gelände mit groben Brocken wenig befürchten muss. Im Gegensatz zum FMX glänzt dieser Wikinger mit geschliffenen Manieren: Dank der Achtbalg-Bau-Luftfederung gibt er sich an den Hinterachsen auch unbeladen geschmeidig, während die Dreiblatt-Parabelfeder vorn für die nötige Straff- und Exaktheit sorgt - ohne den FH unkomfortabel wirken zu lassen. Ähnlich kann man auch den FMX ausstaffieren, trotzdem wirkt er dann eine ganze Ecke rustikaler. Dazu trägt beim FH auch die viel bessere Dämmung und die größere Kabine bei, die beim Vorführer hinten eine ordentlich gepolsterte Ruheliege bietet. Auch die Lenkung kann nichts aus der Ruhe bringen - selbst grobe Schlaglöcher werden stoisch ohne Schlagen oder Zittern durchfahren. Dabei ist auch kein Knarzen oder Klappern zu hören, was einmal mehr für einen ordentlichen Roh- und Kabinenausbau spricht. Die große Kabine ist auch der Hauptvorteil gegenüber dem FMX: Selbst große Fahrer finden genug Platz für die Beine und können sich das Lenkrad optimal einstellen. Die große verglaste Dachluke mit Notausstiegsfunktion sorgt darüber hinaus für ein lichtdurchflutetes Ambiente. Außerdem fallen Geräuschdämmung und Fahrerhauslagerung deutlich komfortabler aus als beim FMX. I-Shift findet schnell die passende Taktik Zum komfortablen Eindruck trägt auch I-Shift bei, das die Gänge zügig und souverän wechselt. Auch der FH bietet zahlreiche auf den Einsatz abgestimmte Unterprogramme samt Freischaukelmodus. Nach wie vor punktet der Schwede vor allem mit seiner hohen Schaltgeschwindigkeit. Für anspruchsvolle Überlandetappen wäre die Option des optionalen GPS-gestützten Tempomaten I-See sicher eine interessante Idee. Leider muss man bei I-Shift damit rechnen, dass bergab bei zu hohen Drehzahlen und Temperaturen im Zweifelsfall hochgeschaltet wird, bevor es zur Überlastung kommt - deshalb sollte der Fahrer auch in weniger schwerem Gelände immer manuell fahren. Der D13-Sechszylinder bleibt auch mit 32 Tonnen Gesamtgewicht gelassen. Im Gegensatz zum gleich starken, aber kleineren D 11, der für den FMX verfügbar ist, bietet er 2300 statt 2150 Newtonmeter, die bei 900 statt 950 Umdrehungen parat stehen. Das alles lässt den Antrieb eine Idee souveräner erscheinen und verleiht ihm "unten herum" mehr Fülle. Für ordentliche Verzögerung sorgen neben der 200 Kilowatt bringenden Auspuffklappe die VEB+, mit der sich noch mal 375 Kilowatt hinzuaddieren. Womit man 32 Tonnen Gesamtgewicht ganz gut im Zaum halten kann. Die verkleideten Scheibenbremsen rundum lassen sich darüber hinaus fein dosieren. Das Motorölwechselintervall gibt Volvo im schweren Baustelleneinsatz mit großzügigen 60.000 Kilometern an. Achsen und Getriebe benötigen nur alle 450.000 Kilometer respektive alle drei Jahre frisches Öl. Das reduziert Standzeiten und Kosten. Auch die übrigen Service- und Wartungspunkte hat Volvo mit Bedacht gewählt. Im Baustellenbereich schätzt man, dass es unter der Frontklappe immer noch einen Ölmessstab samt ausziehbarem Nachfülltrichter gibt. An die Scheinwerfer kommt man von hinten über einen Bajonettverschluss leidlich gut heran. Die dreiteilige Stoßstange besteht aus Stahl und sollte gegen grobe Rempler ganz gut gefeit sein. Die Reinigung der Frontscheibe erleichtern zwei ausklappbare Tritte in der Blende zwischen den Scheinwerfern. Erstaunlich allerdings, dass immer noch kein Hersteller die Besenlösung von MAN unter der Frontklappe kopiert hat, mit der sich in einem Aufwasch auch Seitenscheiben und Außenspiegel säubern lassen. Letztere sind beim FH schick gestaltet, neigen in der Praxis aber auf Dauer zum Verschmutzen, wogegen Volvo jetzt optional einen Spoileraufsatz anbietet. Dafür bauen die Gehäuse kompakt genug, um nicht ganze Radlader verschwinden zu lassen. Der FH bleibt knapp unter 15 Tonnen Das Leergewicht hat Volvo mit 14.915 Kilo ermittelt, wobei der Vorführer auf dem hohen und nicht ganz leichten Baustellenrahmen ruht. Luftgefedertes Tandem und die große Kabine schlagen hier gegenüber einem vergleichbaren FMX mit kurzer Kabine mit rund 400 Kilo extra zu Buche. In Summe bleibt der FH damit gewichtsseitig immer noch im Rahmen. Bei der Höhe trifft das dann nicht mehr ganz zu: Da streckt sich der Schwede wie der Mercedes-Benz Arocs in stattliche Höhen. Die luftige FH-Kabine ragt ohne gekürzten Auspuff (oder in dem Fall mit Fanfaren) gut 3,6 Meter empor - zu hoch für manche Unterführungen, alte Brecheranlagen oder Baustellen. Trotzdem kann der schicke Schwede in Designerklamotten erstaunlich gut zupacken - eine Eigenschaft, die vor gut 1000 Jahren auch die Wikinger bei ihren Angriffen auszeichnete!

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