"Völlig neue Prozesse"

Es ist so bequem: Am heimischen PC rumstöbern und mit ein paar Klicks Waren bestellen und nach Hause liefern lassen. Bislang haben insbesondere die großen Paketdienste von dem Wachstumsgeschäft profitiert. Doch Endkunden ordern nun auch sperrigere Ware, etwa Kühlschränke, Möbel oder Gartengeräte. Und hier kommen die Stückgutspeditionen ins Spiel. Sie sind zwar traditionell im B2B-Geschäft groß geworden und stark. Doch auch sie wollen an den Zuwächsen im E-Commerce partizipieren. Jüngster Markteintritt in dieses Segment: die Sückgutkooperation System Alliance. "Ab sofort bietet unser Kooperationsnetz die Zustellung und Retournierung von weißer und brauner Ware im Zweimann-Handling an", kündigt System-Alliance-Geschäftsführer Georg Köhler im Gespräch mit der VerkehrsRundschau an. "ServicePlus ist aber kein reines B2C-Produkt", betont er. ServicePlus sei für alle Firmen und Konsumenten interessant, die ihre Waren via Online- oder Versandhandel bestellen und sich an einen Wunschort zustellen, dorthin abtragen und unter Umständen auch anschließen lassen wollen (siehe Kasten Seite 20). Standardisiert und kundenindividuell Einzige Voraussetzung ist: Die Waren müssen vom Auftraggeber für den Versand stückgutgerecht und möglichst auf unterfahrbare Paletten verpackt sein, da zwei Drittel der Sendungsabwicklung im klassischen speditionellen Geschäft der Speditionen mitläuft. Köhler: "Es ist eben nicht der Möbelwagen, der die Waren abholt und händisch verstaut, sondern ein Speditionsfahrer." System Alliance bewege sich damit ganz klar auf neuem Terrain, sagt er. "Und unser Anspruch ist es, Service-Plus in unserem eigenen Netz mit standardisierten Prozessen und trotzdem kundenindividuell abzubilden." Eine Herkulesaufgabe, die gut vorbereitet sein will - zumal für das neue Produkt die individuellen Unternehmensprozesse der 42 Speditionspartner von System Alliance unter einen Hut gebracht werden mussten und ein einheitlicher, standardisierter Abwicklungsprozess entwickelt werden musste. "Dafür mussten wir alle komplett umdenken", erzählt Gudrun Raabe, die das Projekt für System Alliance leitet. "Unser Kerngeschäft ist das B2B-Stückgutgeschäft. Da endet die Sendungszustellung traditionell an der Rampe des Geschäftskunden. Bei ServicePlus endet diese dagegen, wenn die Ware beim Endkunden ausgeliefert und montiert ist. Das sind für uns völlig neue Prozesse." Dafür waren die Prozesse mit allen Beteiligten neu zu definieren - sowohl in der Operative als auch IT-seitig. Darin bestand die Aufgabe von Raabe. "Und das Tagesgeschäft in den Speditionen lief ja normal weiter. Darin bestand die Herausforderung." Zentrale Fragen vorab waren hier zum Beispiel: Wie werden die ServicePlus-Sendungen den Endempfängern zugestellt: mit eigenen Fahrzeugen und Fahrern der System-Alliance-Partner vor Ort oder aber in Kooperation mit Unternehmen, die sich auf Zwei-Mann-Handling spezialisiert haben? Wenn ja, welche Partner kommen infrage, an welchen Standorten müssen diese sitzen, um zu den Netzstrukturen der Kooperation zu passen? Welche Prozesse sind in der Operative für ServicePlus sinnvoll? Welche DV-Prozesse stehen dahinter und vor allem, wie lassen sich die ServicePlus-Aufträge in den bestehenden Transportmanagementsystemen (TMS) der einzelnen System-Alliance-Partner sinnvoll abbilden, die bislang auf Sendungs-, aber nicht auf Artikelebene gearbeitet haben? Abbildung auf Artikelebene Lösung hier: System Alliance investierte in eine neue zentrale webbasierte Auftragsmanagement-Software, eine Mietsoftware-Lösung (Saas-Modell) von Eikona Logistics in Volkach, ergänzend zur bereits bestehenden zentralen Daten-Drehscheibe von Active Logistics, über die die Stückgutkooperation den Datenaustausch zwischen den TMS-Systemen sicherstellt. "Mit dieser webbasierten Lösung können wir die ServicePlus-Prozesse auf Artikelebene abbilden - von der Vorholung des Artikels beim Auftraggeber bis hin zu seiner Auslieferung und Montage beim Endempfänger", führt Raabe aus. "Unsere bisherige Software bildet das nicht in der von uns benötigten Detailtiefe ab. Die spricht zum Beispiel von einer Palette mit Elektrogerät, nicht aber von Artikelnummer, -anzahl und Artikelname." Weitere Neuerung ist: Die Zustellung der Ware auf der Letzten Meile sowie den Aufbau und die Montage der Ware wird System Alliance nicht mit eigenen Fahrern und Fahrzeugen durchführen. Hier setzt das Netzwerk auf die Zusammenarbeit mit der Paderborner Möbelspedition MM Transport & Logistik sowie Rhenus Home Delivery, die seit vielen Jahren auf das Zwei-Mann-Handling spezialisiert sind. 13 Stützpunkt-Partner bringt MM Transport & Logistik in diese Kooperation ein und Rhenus Home Delivery elf Niederlassungen und Stützpunktpartner. "Wir haben uns da bewusst für einen Partner-Mix entschieden, weil wir in der Entscheidung frei sein wollen, wie wir Deutschland abdecken", erklärt Raabe. "Exklusivität ist und war nie unser Ziel. Wir sind dadurch deutlich flexibler. Zudem könnten wir jederzeit einen weiteren Zustellpartner aufschalten", begründet sie die Entscheidung. "Beim Anschluss an den jeweiligen Stützpunkt haben wir uns an den kürzestmöglichen Transportwegen orientiert", führt die Projektleiterin aus. Zur Abwicklung: Die ServicePlus-Sendungen werden am Tag eins im Vorlauf von dem jeweiligen System- Alliance-Abgangsspediteur bei den Auftraggebern abgeholt und nach dem Sendungsumschlag in den Hauptlauf eingespeist. Klassische B2B- und ServicePlus-Sendungen reisen in der Regel also im gleichen Hauptlauf-Lkw direkt zum Empfangsspediteur. Spätestens um 5.30 Uhr am Tag zwei treffen die Sendungen bei diesem ein. Während reguläre B2B-Stückgutsendungen dann den Geschäftskunden über Nahverkehr zugestellt werden, werden die ServicePlus-Sendungen direkt in das Depot der Stützpunkte von MM Transport & Logistik und Rhenus Home Delivery geroutet und von deren Fahrzeugen und Fahrern den Endempfängern zugestellt. Direktrouting ist das Ziel "Künftig ist die direkte Routung an die Stützpunkte unser Ziel", betont Raabe. Mangels Sendungsmenge zu Beginn des Produkt-Launches, werden die Artikel jedoch zunächst in einem regionalen Zwischendepot (regionales ServicePlus-Depot) einzelner System-Alliance-Partner täglich gebündelt und mit Shuttle-Fahrzeugen zum Zwei-Mann-Handling-Stützpunkt befördert und von dort aus den Empfängern zugestellt. "Das klingt unwirtschaftlich", räumt Raabe ein. "Wir nutzen aber im ersten Schritt aus Kostengründen die Sendungsbündelung über die bestehenden Stückgutverkehre", erklärt sie die Logik hinter dem Konstrukt. "Sobald wir genügend ServicePlus-Sendungen im Nachlauf haben, brauchen wir diesen Zwischenschritt nicht mehr." Interessant sind die IT-Prozesse im Hintergrund der Operative: Schon zum Zeitpunkt der Bordero-Erstellung beim Versandspediteur für den Hauptlauf wird ein elektronisches Avis im DV-System der System Alliance erstellt und per SMS oder E-Mail dem Endempfänger übermittelt - Stichwort zentrale Auftrags-Management-Lösung (zAML). Dieser wird also automatisch über seine eintreffende Sendung informiert und kann aus fünf Zustelltermin-Optionen entscheiden, wann ihm seine Ware ausgeliefert werden soll. Die Laufzeiten von ServicePlus "Unsere frühestmögliche Laufzeit bei ServicePlus-Sendungen liegt deutschlandweit standardmäßig bei 72 Stunden nach Versand der Ware", führt Raabe aus. "Wir könnten sogar 48 Stunden schaffen." Dazu sei aber eine sehr enge Abstimmung unter allen Partnern nötig und der Auftraggeber müsse sehr zeitnah die Daten an System Alliance übermitteln. "Je früher wir über die Auftragsdaten und Sendungen verfügen, desto zügiger können wir die Endempfänger via Avis informieren und desto kürzer sind, bei entsprechendem Wunschtermin, die Laufzeiten", sagt sie. Weiterer Vorteil der zAML-Lösung ist, dass sie über eine Plug-in-Lösung in die gängigsten Web-Shop-Systeme integriert werden kann. Und für die lokalen Systempartner vor Ort bringe das elektronische Avis ebenfalls Vorteile, betont Köhler: "Jede Avis-Sendung, egal ob B2B oder ServicePlus, wird beim Versandspediteur nach den gleichen Prozessen abgewickelt. Und beim Empfangsspediteur belegt sie, dank des frühzeitigeren Informationsflusses, nicht wertvolle Umschlagsfläche. Die Verweildauer der Sendungen verkürzt sich dadurch deutlich", sagt Köhler. "46 Prozent der Sendungen könnten theoretisch dank des elektronischen Avises schon am Eingangstag zugestellt werden; praktisch sind es derzeit 27 Prozent." Zum Preis von ServicePlus nur so viel: System Alliance verhandelt mit seinen Auftraggebern, alles Geschäftskunden, individuell die Preise. Wie viel diese ihren Endkunden für die Auslieferung und Montage der Geräte berechnen, habe System Alliance nicht in der Hand, betont Köhler. "Es gibt Einzelhändler, die für die Auslieferung und den Aufbau eines kompletten Gartenhauses 4,95 Euro verlangen. Andere Anbieter wie Amazon bieten den Service sogar kostenlos." Entsprechend anspruchsvoll, räumt er ein, sei für System Alliance die eigene Kostenkalkulation. System Alliance behält Prozesshoheit Bleibt schlussendlich die Frage: Wie will sich ServicePlus von Wettbewerbern wie IDS Logistik und Cargoline unterscheiden, die ebenfalls schon Zustelllösungen für Endverbraucher bieten? "Das ist ganz klar der Zeitpunkt, zu dem wir das elektronische Empfänger-Avis erstellen können", sagt Raabe. Empfänger würden daher schneller informiert werden und ihre Sendungen ab diesem Zeitpunkt elektronisch verfolgen. Zudem könnten sie, wie bereits gesagt, aus fünf Zustelltermin-Optionen wählen. "Und trotz dieser Service-Optionen behält System Alliance letztlich die Prozesshoheit", ergänzt Köhler. "Wir bestimmen, wie der Service ausgestaltet wird." Deshalb habe es bei System Alliance vielleicht ein wenig länger mit der Umsetzung des neuen Produkts gedauert. "Jetzt sind wir aber so weit und gehen damit an den Markt. Und perspektivisch ist nicht nur ein deutschland-, sondern sogar ein europaweites ServicePlus-Produkt vorstellbar." Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Stückgut www.verkehrsrundschau.de/dossiers Serviceplus in der Praxis: Streck Transport "Entscheidend ist, dass die Schnittstellen funktionieren" Streck Transport ist einer der ersten Partnerbetriebe der System Alliance, der das Produkt "ServicePlus" im Echtbetrieb getestet hat. "Wir haben dafür vor der ,Go-Live-Phase' mehrere ServicePlus-Testsendungen in das Netz der System Alliance eingespeist und auch von anderen Netzpartnern erhalten", erzählt Stefan Rehmet, Geschäftsführer für den Bereich Landverkehre und Logistik des Freiburger Speditions- und Logistikunternehmens."Für uns als Regionalpartner ist es ja zwingend notwendig, dass die Schnittstellen zu unseren ServicePlus-Partnern funktionieren", begründet er die Testläufe. Genau das haben unter anderem Streck Transport und Rhenus Home Delivery in den vergangenen Wochen geprüft: Funktionieren zum Beispiel die Scans der Zustellpartner? Ist jeder übermittelte Status der Testsendungen richtig? "Während der Testphase hatten wir kleinere Probleme, weil bestimmte Informationen von unseren Zustellpartnern nicht übermittelt wurden", räumt Rehmet ein."Seit der Go-Live-Phase am 4. April 2016 funktioniert der IT-gestützte Informationsfluss zwischen Streck und Rhenus Home Delivery aber einwandfrei, was auch für alle anderen Systempartner in Deutschland gilt", freut sich Rehmet. Der Charme von ServicePlus sei ja, dass sich bei Streck operativ in der physischen Sendungsabwicklung nichts ändert. ServicePlus-Sendungen laufen regulär über das traditionelle System-Alliance-Netz als normales, netzwerkfähiges Stückgut. "Und im Sammelguteingang liefern wir die ServicePlus-Sendungen mit eigenen Nahverkehrsfahrzeugen an Rhenus Home Delivery, das diese dann den Endempfängern zustellt. Zusätzliche Investitionen für Streck entstanden dadurch laut Rehmet nur für die Programmierung und Erweiterung der IT-Schnittstellen und zusätzlichen Produkte sowie die ServicePlus-Schulung der Vertriebsmitarbeiter. eh Die Details Die neuen Features im Überblick Mit"ServicePlus" stellt die Stückgutkooperation System Alliance ab sofort auch schwere und sperrige Teile frei Verwendungsstelle an Endempfänger zu (Privatkunden und gewerbliche Kunden mit ungewöhnlichen Anlieferzeiten). Sprich: Die Waren werden bis in die Wohnung des Endempfängers verbracht inklusive Abladen und Herauftragen der Packstücke sowie Montage/Installation der Artikel.- Befördert werden weiße und braune Ware sowie bestimmte Möbel, DIY-Artikel und Sportgeräte - vorausgesetzt, sie sind stückgutsicher und möglichst auf einer unterfahrbaren Palette verpackt.- Zielkunden sind Unternehmen, die ihre Kunden über mehrere Kanäle erreichen wollen (Stichwort Multichannel), also über Onlineshop und über den Vertrieb im Groß- und Einzelhandel.- Der neue Service umfasst derzeit die Zustellung und Retoure von montags bis freitags von 8 bis 17 Uhr. Eine Abend- und Samstagszustellung sei in Planung, heißt es bei System Alliance. eh

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