Versprechen eingelöst!

Hydraulik-Auxiliary Drive, kurz HAD, nennt Daimler seine Version des hydraulischen Radnabenantriebes. Auf den mussten die Kunden lang warten, denn nach dem Riesen-Pflichtprogramm Actros, Antos, Atego und Arocs hatte Mercedes-Benz Lkw erst 2011 freie Finanzen und Kapazitäten, mit der "Kür" zu beginnen, heißt Sonderversionen zu entwickeln.Dabei sind die Schwaben so offen, zuzugeben, dass man den hydraulischen Radnabenantrieb nicht neu erfunden hat, wohl aber die kritischen Punkte der Konkurrenten umgangen haben will. Sprich: HAD benötigt keinen Bauraum über dem Rahmen und soll komplett verschleiss- und wartungsfrei arbeiten.Das Package umfasst neben den Radnabenmotoren (die auch hier von Poclain stammen) ein doppeltes Leitungssystem (Hoch- und Niederdruck samt Leckageleitung), ein Kühlmodul und einen elektronisch getakteten Steuerblock. Der Abtrieb via 112 kW starker Hochdruckpumpe erfolgt bei Daimler motorseitig. Die Pumpe kann so bis zu 350 Liter Öl pro Minute bei einem Druck von 450 bar liefern. An den Rädern liegen dann bis zu 6250 Newtonmeter Radkraft an - für die Allradfraktion ein wichtiger Faktor, um den Vortrieb an den Rädern zu bemessen.Der Lenkwinkel wird durch HAD nicht eingeschränkt. Getriebeseitig koppelt man HAD immer mit Powershift, was Produktmanager Alexander Hosp mit der hohen Ausrüstungsquote von mittlerweile 90 Prozent auch beim Arocs begründet.Um die Variantenvielfalt möglichst gering zu halten, schließt Daimler Trommelbremsen vorn und Blattfederung an der Hinterachse aus. So sollen Hardcore-Einsätze vermieden werden - denn natürlich wird auch HAD heiß und ist kein vollwertiger Allradersatz. Noch in der Prüfung befinden sich die Vierachser. Das begründet Hosp auch mit der ohnehin schon deutlich komplexeren Produktion der 8x4- bis 8x8-Fahrzeuge.Das komplette Package wiegt laut Hosp etwa 400 Kilogramm und soll brutto 18.500 Euro kosten. Aufgrund des geringeren Verbrauchs gegenüber den "echten" Allradlern soll sich HAD gegenüber dem Zuschalt- oder Permanentallrad aber nach zwei bis drei Jahren amortisiert haben. Den Mehrverbrauch gegenüber dem Standard-4x2 beziffert Hosp mit etwa 1,5 Prozent.Wie funktioniert das Ganze in der Praxis? Auf Knopfdruck! Dann arbeiten die Vorderräder bis 25 km/h mit, was durch ein blau leuchtendes Symbol angezeigt wird. Darüber schaltet es ab, bleibt aber auf Stand-by. Dann leuchtet das Symbol weiß statt blau. Damit kommt man vorwärts bis in den fünften oder sechsten Gang, rückwärts stehen die Gänge eins und zwei zur Verfügung. Außerdem ändert HAD die Schaltstrategie von Powershift und erlaubt keine Gangsprünge mehr, sondern schaltet Stufe für Stufe.Die gemeinen Tücken der GrubeNach dem Drücken des Knopfes nimmt HAD akustisch deutlich vernehmbar seine Arbeit auf und verhilft dem Vorführzug erwartungsgemäß zu besserer Traktion. Allerdings lehrt die Grube auf der Alb einmal mehr, dass Erfahrung durch nichts zu ersetzen ist: Aus dem extra mit losem Schotter aufgefüllten Kiesbett wühlt sich der Vorführer nämlich allein mit der Hinterachssperre, wenngleich HAD das Vorhaben erheblich erleichtert. An einer 15-Prozent-Steigung mit festem Juraboden muss der Arocs trotz HAD fast kapitulieren: Powershift verlässt sich auch im Geländemodus lange auf das Drehmoment, muss dann aber doch zurück bis in den ersten Gang und bringt den Zug so zum Stehen.Fazit: In der Grube geht nach wie vor nichts über die Stellung "manuell" und einen erfahrenen Fahrer, dem HAD das Leben aber massiv erleichtert. Wie bei den Konkurrenzfabrikaten ist es also eine klare Empfehlung wert, wenn ab und an mehr Traktion benötigt wird.Interessante Ergebnisse aus der PraxisDie Entwicklung begleiten durfte Joachim Schmid, Geschäftsführer des Bauunternehmens Fischer Weilheim GmbH, das genau diese Anforderungen stellte und in den Daimler-Fuhrpark deshalb einige Konkurrenzfabrikate einreihte.Prinzipiell überzeugte ihn das Konzept des hydraulischen Radnabenantriebs. Größter Kritikpunkt ist laut Schmids Aussage, dass das System bei einem Wettbewerber nur mit Handschaltung lieferbar ist und nach 300.000 Kilometern respektive drei Jahren zunehmend anfällig wird, vor allem im Bereich der Hydraulikschläuche. Entsprechend habe er die auf Lager liegen "wie andere Leute die Spaghetti in der Vorratskammer". Ein damit korrespondierendes Problem sei der bei den Konkurrenzprodukten permanent anliegende Druck von 450 bar. "Platzt da mal eine Leitung, steht die Fuhre", weiß Schmid zu berichten. Darum programmierte Daimler den Steuerblock so, dass im schlimmsten Fall alle Leitungen geschlossen werden und das Fahrzeug mit dem restlichen Ölvolumen noch bis zur nächsten Werkstatt kommen soll. Auch die automatisierte Schaltung betrachtet Schmid auf den immer längeren Streckenverkehren als Vorteil des HAD. Seit Oktober hat er ein entsprechendes Auto von Mercedes im Einsatz und damit bisher keine Probleme. Zwar wurde der Vorführer ab und an einmal in die Daimler-Werkstätten zurückbeordert, doch ohne dass Schmid große Probleme aufgefallen wären. Die galt es laut Hosp von Anfang an zu vermeiden - HAD sollte unauffällig anlaufen und funktionieren. Dies scheint geklappt zu haben: Seit Bestellstart schrieb Daimler bereits knapp 400 HAD-Aufträge.