"Super-Gau" Mindestlohn

Bislang galt Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles als eiserne Verfechterin des gesetzlichen Mindestlohns. Vielleicht ist die 44-Jährige aber doch über ihr Ziel hinausgeschossen. Ende Januar ruderte die SPD-Ministerin nun auf massiven Druck zurück: Die Anwendung des Mindestlohns für ausländische Lkw-Fahrer im reinen Transitverkehr wird vorerst ausgesetzt. Endgültige Klarheit soll eine EU-Prüfung bringen, die im Sommer 2015 abgeschlossen sein soll. Ursprünglich sollten laut dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales die neuen Vorschriften des Mindestlohngesetzes sowohl für deutsche Transport- und Speditionsunternehmen als auch für ausländische Frachtunternehmen für den grenzüberschreitenden Verkehr und Transitfahrten gelten. Sprich: zahlt zum Beispiel ein ausländischer Frachtführer seinem Lkw-Fahrer auf dem deutschen Streckenanteil nicht 8,50 Euro/Stunde, kann der Arbeitnehmer dies direkt beim (deutschen) Auftraggeber geltend machen und selbst bei fahrlässigen Verstößen drohen Bußgelder bis zu 500.000 Euro. Alles das sorgt für mächtig Ärger in der europäischen Transportbranche (siehe Kasten Seite 20). Mittlerweile hat EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc mit einem Brief an die Bundesregierung sogar ein Pilotverfahren (Vorstufe eines Vertragsverletzungsverfahrens) eingeleitet. Sollte sich die geäußerte Auffassung der EU-Kommission durchsetzen, wäre das "der Super-Gau für das deutsche Transportgewerbe", schlägt Professor Karlheinz Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) Alarm. Sollte sich die geäußerte Auffassung der EU-Kommission bestätigen, könnte dies dazu führen, so Schmidt, dass aus Deutschland vergebene Transporte dem Mindestlohn unterliegen. Von der Mindestlohnpflicht befreit wären dagegen Transporte, die im Ausland beauftragt wurden, also nicht nur Transitfahrten, die durch Deutschland hindurchführen, sondern auch Transporte, die von gebietsfremden Auftraggebern für Deutschland disponiert werden. "Dies ginge massiv zulasten von Kraftwagenspeditionen mit Sitz in Deutschland", warnt er. Schmidt wörtlich: "Wenn die EU-Kommission bei ihrer derzeitigen Einschätzung bliebe, wären viele Kraftwagenspeditionen mit Sitz in Deutschland existenziell gefährdet." Viele Fragen sind also nach wie vor offen - zum Leidwesen vieler deutscher Transport- und Speditionsbetriebe, die im grenzüberschreitenden Verkehr mit internationalen Frachtführern zusammenarbeiten. Sie müssen trotz dieser ungelösten Fragen seit 1. Januar 2015 das deutsche Mindestlohngesetz umsetzen. Um sich hier rechtlich abzusichern, sind sie gezwungen, Verpflichtungs-, Freistellungs- und Nachweiserklärungen von ihren Auftragnehmern einzuholen. "Die Folge ist ein gigantischer bürokratischer Aufwand", beklagt Edina Brenner, Geschäftsführerin des Landesverbands Bayerischer Spediteure (LBS). "Selbst der redliche Versuch, die Auftraggeberhaftung gesetzeskonform umzusetzen, endet in einem Bürokratiemonster". Zweistellige Frachtpreis-Erhöhungen? Wolf Beck, Prokurist der Münchener Spedition Robert Kukla, bestätigt das. Seit Monaten bereiten er und ein vielköpfiges Team sich darauf vor, die neuen Vorschriften ordnungsgemäß gemeinsam mit ihren ausländischen Frachtführern umzusetzen (siehe Kasten Seite 21). Beck spricht ebenfalls von einem "Wahnsinns-Verwaltungsaufwand". Kukla seien durch die Umsetzung erhebliche Kosten entstanden. Auch für Jochen Eschborn, Vorstand des Ladungsverbundes Elvis AG, und seine Elvis-Kollegen war die Umsetzung des Mindestlohngesetzes mit sehr viel Arbeit verbunden. "Zunächst haben wir dazu alle unsere ausländischen Frachtführer-Kollegen über die neuen Mindestlohnvorschriften informiert und dazu aufgefordert, diese einzuhalten", sagt Eschborn. Die Elvis AG habe dafür von Anwälten entsprechende Vertragsklauseln formulieren lassen, die die ausländischen Transportpartner nun unterschreiben müssten, führt der Vorstand aus. Zudem habe Elvis sie aufgefordert, die eingesetzten Fahrer mit dem entsprechenden Anmeldeformular beim Zoll zu registrieren. Bislang hätten sich auch alle ausländischen Partner entsprechend beim Zoll registriert, sagt er. Großes Problem sei aber, beklagt der Elvis-Vorstand, dass viele ausländische Frachtführer nun ihrerseits von deutschen Anwälten vorformulierte Stellungnahmen abgeben - mit dem Hinweis, dass sie als Unternehmen mit Sitz im Ausland nicht dem deutschen Mindestlohngesetz unterliegen, weil sie in Deutschland keine dauerhafte Tätigkeit erbringen. "In diesem Punkt gibt es aus Sicht der Unternehmen tatsächlich keine Klarheit", moniert Eschborn. "Hier muss der deutsche Gesetzgeber dringend nachbessern", fordert er. Denn so lange die Rechtslage da nicht klar sei, hafte ein deutscher Spediteur dafür, wenn die ausländischen Unterfrachtführer die Mindestlohnvorschriften nicht umsetzen, sagt Eschborn. Er frage sich überhaupt, wie der Zoll die Einhaltung der Vorschriften kontrollieren wolle. "Ein deutscher Zollbeamter kann einen rumänischen Transporteur ja nicht zur Herausgabe rumänischer Arbeitsverträge zwingen." Alles in allem gehe er davon aus, betont Eschborn, dass der erhöhte administrative Aufwand durch das Mindestlohngesetz im innerdeutschen Ladungsverkehr die Frachtkosten um mindestens drei bis fünf Prozent erhöhen wird. Und sollten die ausländischen Frachtführer letzten Endes doch für den deutschen Streckenanteil im Transitverkehr und im Kabotageverkehr den Mindestlohn einhalten müssen, rechnet der Elvis-Vorstand im internationalen Verkehr sogar mit einer zweistelligen Erhöhung der Frachtkosten. Polen befürchten doppelte Belastung Viele Speditionen halten sich dieser Tage zum Thema Mindestlohn bedeckt, selbst große Player. So sagt ein Sprecher von DB Schenker auf Anfrage nur, dass das Unternehmen "selbstverständlich" das deutsche Mindestlohngesetz umsetzen werde und dies entsprechend bei seinen in- und ausländischen Frachtführern einfordere. Und wer die entsprechenden Vertragsklauseln nicht unterschreibe, mit dem arbeite man nicht mehr zusammen. Weitere Einzelheiten zur konkreten Umsetzung oder Frachtführer-Kontrolle nennt der Sprecher nicht. Auch Dachser äußert sich bislang zurückhaltend: Natürlich setze man die gesetzlichen Regelungen um, heißt es auf Anfrage. Weitere Einzelheiten werde man in Kürze kommunizieren. Zur augenblicklichen Stimmung im Speditionsgewerbe befragt, sagt ein Branchenkenner: "Die wissen alle, dass sie ihre Sub-Subunternehmer kontrollieren müssen, ob diese auch ordentlich bezahlen. Die Frage ist, ob sie das auch können." Denn dazu müssten sie Einblick in die Arbeitsverträge von deren Mitarbeitern nehmen. Da dies aber nicht gehe, sagt er, müsse ein Spediteur da seinen ausländischen Frächtern vertrauen. Was aber, wenn diese sich weigern, die deutschen Mindestlohnvorschriften umzusetzen, was für Alternativen habe dann ein deutscher Spediteur wirklich? Dazu der Branchenkenner: Ein Spediteur könne gar nicht von heute auf morgen einen Frachtführer hinauswerfen, glaubt er, weil es auf bestimmten Relationen - insbesondere Richtung Osteuropa - zu wenige Frachtführer gebe. Die Speditionen seien froh, wenn sie eingespielte Systeme hätten. Erschwerend kommt hinzu, dass mittlerweile etliche EU-Staaten gegen die neuen Mindestlohn-Vorschriften Sturm laufen - viele Branchenbetriebe fürchten dort massive Wettbewerbsnachteile. "Wenn die polnischen Spediteure und Transporteure das neue Mindestlohngesetz umsetzen müssten, würde das viele Betriebe die Existenz kosten", sagt Pawel Trebicki, Geschäftsführer von Raben Transport in Polen. Denn ein polnischer Unternehmer würde schlimmstenfalls durch die neuen Vorschriften doppelt belastet werden. Er müsste seine Fahrer nicht nur nach dem in Polen geltenden Arbeitsgesetz bezahlen, sondern auch nach dem neuen Mindestlohngesetz, wenn diese Transitfahrten durch Deutschland oder aber Transporte in und nach Deutschland erbringen, führt Trebicki aus. "Wir kämen da auf mindestens 12 bis 14 Euro Stundenlohn pro Fahrer", hat er ausgerechnet. Durch diese Mehrkosten würden sich die Frachtpreise um neun Prozent erhöhen. "Dies würde uns kein Kunde, auch keine deutsche Firma, bezahlen." Mindestlohn weckt Begehrlichkeiten Zudem befürchtet Trebicki, dass die 8,50 Euro Stundenlohn bei polnischen Fahrern nun Begehrlichkeiten wecken könnten: "Viele werden jetzt auch 8,50 Euro fordern oder sie wandern nach Deutschland ab." Zum Vergleich: Der polnische Mindestlohn liege bei 2,31 Euro/Stunde, nennt der Geschäftsführer konkrete Zahlen. Zusätzlich erhalte ein polnischer Fahrer bei Deutschland-Verkehren mindestens 7,1 bis 49 Euro Spesen sowie eine tägliche Verpflegungspauschale von 37,5 Euro. Noch aber sei er zuversichtlich, betont Trebicki: "Wir gehen einfach davon aus, dass das deutsche Mindestlohngesetz für uns polnische Spediteure nicht gilt." Raben habe deshalb, sagt er, wie viele andere polnische Speditionen, bislang nicht das Anmeldeformular des deutschen Zolls ausgefüllt. Große Hoffnung setzen Trebicki und seine Branchenkollegen nun auf die EU-Kommission. Einen ersten Teilerfolg haben die Osteuropäer bereits errungen: So wird der Mindestlohn für ausländische Lkw-Fahrer auf reiner Durchreise durch Deutschland vorerst ausgesetzt. Und ob die Mindestlohn-Vorschriften für ausländische Lkw, die in Deutschland be- und entladen, letztlich Bestand haben, wird sich noch zeigen. Fest steht nur: Der Streit über die Anwendung der deutschen Mindestlohnvorschriften wird die Branche wohl länger beschäftigen. Die Serie Das Mindestlohngesetz richtig umsetzen - VR 5: Welche Vertragsklauseln als Absicherung helfen- VR 6: Wie sich der Wettbewerb mit Osteuropa ändert- VR 7: Wie der Zoll die Regeln in der Praxis kontrolliert Hintergrund Der deutsche Mindestlohn sorgt für Ärger, insbesondere bei ausländischen Transportbetrieben. Denn auch ausländische Lkw-Fahrer haben laut dem Gesetz auf dem deutschen Streckenanteil im grenzüberschreitenden Verkehr und bei Kabotageverkehren Anspruch auf 8,50 Euro je Stunde - deutlich mehr als in ihrer Heimat. Für Transitfahrten ist die Regelung bis zum Abschluss der EU-Prüfung ausgesetzt.Mittlerweile hat EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc mit einem Brief an die Bundesregierung ein Pilotverfahren eingeleitet. Die EU-Kommission geht damit Beschwerden einiger EU-Staaten nach, die sich durch den deutschen Mindestlohn benachteiligt sehen. Sollte sich die geäußerte Auffassung der EU-Kommission durchsetzen, wären Transporte, die im Ausland beauftragt wurden, von der Mindestlohnpflicht befreit. Aus Deutschland vergebene Transporte würden dagegen unter die Mindestlohnpflicht fallen. Für den Transport- und Speditionsverband BGL "wäre das der Super-Gau für das deutsche Transportgewerbe". eh

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