Steigendes Risiko mit schweren Folgen

Unruhen zwischen Kurden und der Polizei in der Türkei, die Krise zwischen Russland und der Ukraine, der Staatsbankrott in Argentinien: Diese Risiken bedrohen auch das Geschäft von Speditions- und Logistikdienstleistern. Oft sind derartige Entwicklungen kaum vorhersehbar, vom arabischen Frühling etwa waren Politik wie Wirtschaft gleichermaßen überrascht. Und keiner weiß, wie sich in den nächsten Wochen das Verhältnis der EU zu Russland entwickelt - und mit welchen Konsequenzen für die Logistikbranche. Vorausschauender Umgang mit Risiken Trotz aller Unwägbarkeiten: Unternehmen müssen reagieren. Und sich mit ihren Kunden auf mögliche Probleme vorbereiten. So wie DHL: Vor dem Hintergrund des Reaktorunglücks von Fukushima und der Flut in Thailand entwickelte das Unternehmen das Tool "Resilience 360". Seit Januar des Jahres 2014 können Kunden des Logistikers das Programm nutzen. Wie DHL-Sprecherin Sabine Hartmann erläutert, hilft die Software dabei, die Supply Chain zu durchleuchten und auf Gefährdungen abzuklopfen. Die Palette reicht von der Bedrohung durch Naturkatastrophen über soziale Risiken bis hin zu Bedrohungen durch Streiks und politische Unruhen. Bei der Analyse der Risiken tritt zutage, an welchen Stellen der Supply Chain Schwachstellen lauern. Auf Basis der Risikoanalyse können die DHL-Kunden Krisenpläne erarbeiten. Kommt es dann zu Streiks - beispielsweise von Hafenarbeitern oder Flughafenpersonal - kann man auf die Krisenpläne zurückgreifen und auf die vorbereiteten Alternativen setzen und die Waren statt über den Seeweg oder Luftweg über einen anderen Verkehrsträger schicken. Sabine Hartmann verweist auf zwei Fallstudien mit Kunden. So konnte etwa der Chemiekonzern Dupont seine risikobasierten Kosten mit dem Resilience-Programm senken, auch das Industrieunternehmen ZF gewann mehr Sicherheit in seinem Luftfracht-Netzwerk und kann nun schneller und zielgerichteter auf Störungen in der Supply Chain reagieren. Mit Versicherungen gegen Ausfälle Mit politischen Unruhen in Deutschland selbst muss sich das Transportgewerbe selten auseinandersetzen. Doch die Krisen um Deutschland herum zeigen: Es gibt genug Anlässe für die Logistikbranche, sich des Themas anzunehmen. Russland, Türkei, Ukraine - alles nicht weit weg. "Wir verzeichnen nach langer Zeit wieder einen Anstieg politischer Risiken", sagt Thomas Krings, Risikovorstand beim Versicherer Euler Hermes. Sein Unternehmen bietet Kreditversicherungen gegen Forderungsausfälle bei politischen Risiken. Laut Krings tritt ein politischer Schadensfall dann ein, wenn etwa ein Land spontan Import- oder Exportbeschränkungen verhängt und eine Lieferung bereits unterwegs ist. Ebenfalls ein Risiko ist ein Staatsbankrott, wie es etwa in Argentinien 2001 der Fall war. Wenn ein Land keine ausreichenden Devisenvorräte mehr hat, sodass Abnehmer ausländische Lieferanten nicht mehr bezahlen können, ist dies ebenfalls ein politischer Schadensfall. Auch weitere politische Gründe wie Krieg oder Unruhen für die Zahlungsunfähigkeit des Abnehmers kann man absichern. Die Kosten einer solchen Warenkreditversicherung kalkulieren sich aus einer Vielzahl an unterschiedlichen Risikofaktoren: die Bonitätseinschätzung des Abnehmers, das Länderrisiko (wirtschaftliche und politische Faktoren), das Branchenrisiko im Land des Abnehmers sowie die gewünschte Versicherungssumme und die Höhe des Selbstbehalts. Doch nicht nur die klassischen Hermes-Deckungen versichern heute politische Risiken. "Es gibt heute eine Anzahl von Spezialversicherern. Hierbei ist aber sehr genau zu prüfen, ob die Police zum Unternehmen passt", sagt Friedrich Christian Haas, der als Berater für das Unternehmen Ake Group mit Unternehmen Strategien für ein globales Risiko- und Krisenmanagement entwickelt. Er empfiehlt, dazu einen professionellen Makler zurate zu ziehen. Auch ein Problem: die Haftung Dass politische Risiken zunehmen, bestätigt auch Michael Grass, Experte bei der Schunck Group. Er hebt die Möglichkeit heraus, sich über den Abschluss einer Transportversicherung mit zusätzlichem Versicherungsschutz für Streik und politische Unruhen abzusichern. Wichtig für Transportunternehmer sei außerdem: Auf Haftungsebene können solche Ereignisse im Einzelfall einen Haftungsausschluss darstellen, wobei es dem Transportunternehmer unterliege, den Entlastungsnachweis zu führen. Eine derartige Haftungsbefreiung kommt insbesondere im Falle eines Spontanstreiks in Betracht, wenn also der Transportunternehmer keine Möglichkeit mehr hat, auf diesen zu reagieren und entsprechend zu disponieren. "Ein häufig strittiger Punkt ist hierbei die Frage der Vorlaufzeit", sagt Grass. Die Frage der Haftung hängt letztlich aber immer von der jeweiligen Situation im Einzelfall ab. So wird sich ein Frachtführer mit Ladungsverlust durch Beschuss von Separatisten in der Ost-Ukraine schwieriger auf ein unabwendbares Ereignis berufen können, als bei einer Fahrt nach Spanien, bei der katalanische oder baskische Separatisten die Ladung beschädigen oder zerstören. Verschlimmert wird die Problematik für den Transportunternehmer noch zusätzlich: Die internationalen Haftungsregime, insbesondere jedoch die für die grenzüberschreitenden Straßengüterbeförderung maßgebliche CMR, lassen eine vertragliche Abrede zur Haftungsbefreiung beziehungsweise -reduzierung des Frachtführers bei Streik oder politischen Unruhen nicht beziehungsweise nur in begrenztem Umfang zu. Weitblick und Informationen gefragt Neben den Versicherungs- und Haftungsfragen muss sich ein Speditionsbetrieb ständig mit dem Risiko seiner Aktivitäten in bestimmten Regionen auseinandersetzen. Dass das schwierig ist, weiß auch Berater Haas. "Transport- und Logistikunternehmen stehen vor der besonderen Herausforderung, dass sie gleichzeitig in mehreren Ländern und völlig unterschiedlichen Rechtsräumen entlang der Lieferketten unterwegs sind. Risikoanalysen in diesem Bereich sind daher von Natur aus wesentlich komplexer", sagt er. Dennoch müssen Unternehmen überprüfen, welche erfolgskritischen Faktoren durch staatliche Eingriffe oder Entwicklungen negativ beeinflusst werden können. Gerade für Transportdienstleister gehe es darum, alternative Routen zu planen. "Das wird immer mehr zum Muss", sagt Haas. "So wie Unternehmen Redundanzen aufbauen und vom Just-in-time-Konzept über einen einzigen Lieferweg Abstand nehmen, so sollten Logistiker schon vor auftretenden politischen Risiken über Alternativen nachgedacht haben", mahnt der Berater. Russland steht auf der Kippe Ein mögliches Infotool: Länderinformationssysteme, wie sie zahlreiche Dienstleister im Netz anbieten (eine kurze Google-Recherche genügt) - etwa die Ake Group mit Global Intake. Auch auf http://watch.exclusive-analysis.com kann man nachlesen, welche Risiken für welche Länder definiert sind. Die Seite wird monatlich aktualisiert und zeigt die Gefährdung mittels einer Skala von 0 bis 10 an. Die sogenannte Global Cargo Watch List berücksichtigt politische Risiken, Krieg, Terrorismus und soziale Unruhen. Trauriger Spitzenreiter ist Syrien mit einem Wert von 6,6. Aber auch Russland steht mit einem Wert von 3,3 schon unter der Rubrik "strenge Bedrohung". Die Serie Logistik in GefahrDie große Serie der Verkehrs-Rundschau zu den neuen Bedrohungen der Transportkette . VR 12: Neue Gefahren für die Transportkette- VR 17: Compliance - Wie man mit Korruption umgeht- VR 20: Terror - Wo die Logistik besonders gefährdet ist- VR 25: Datensicherheit - Schutz gegen Cybercrime- VR 29: Frachtdiebstahl - Das richtige Risiko-Management- VR 34: Klimawandel - Schützen vor Sturm und Regen- VR 37: Einbruch - Schutz im Lager und beim Umschlag- VR 42: Soziale Unruhen - Von Streiks bis Revolution- VR 47: Krisenmanagement - Im Ernstfall richtig handeln Aus der Praxis Das DHL-Risiko-Radar Streiks und politische Unruhen ereignen sich nicht aus heiterem Himmel, sie kündigen sich mal mehr, mal weniger deutlich an. Je schneller man darauf reagieren kann, desto geringer ist das Risiko für Schäden.DHL hat mit dem sogenannten Incident Monitoring ein Frühwarnsystem eingerichtet. Aus allen möglichen Quellen sammelt DHL Daten und wertet sie permanent aus. Die Bandbreite der Informanten ist breit gefächert, man greift auf Informationen von Versicherungen zurück, sammelt Live-Daten und nutzt beispielsweise auch Info-Dienste wie Twitter. Experten bewerten die gesammelten Daten, so dass DHL permanent ein aktuelles Bild über die Risikolage gewinnt. kitz

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