Sofort, günstig - aber auch gut?

Rund 100.000 Euro für einen neuen Scania R 450 sind eine Menge Geld. Nicht zu viel, wenn das Geschäft brummt und die Aufträge sicher sind. Was aber, wenn nur ein Engpass zu überbrücken ist oder man nicht abschätzen kann, wie lange eine neue Geschäftsbeziehung hält? Dann könnte ein Gebrauchter für deutlich weniger Geld die richtige Wahl sein. Bei dem ist der typische Neuwagenduft zwar verflogen. Aber Preisabschläge von rund 20 bis etwa 50 Prozent beim jungen Gebrauchten sind gute Argumente. Ob zweite Hand auch erste Wahl sein kann, zeigt unser Test von zwei Scania R 440 Topline aus der Scan-Rent-Mietflotte, die aktuell zum Verkauf stehen. Weil der Gebrauchtpool nichts Passendes aufwies, haben wir uns für diese Lösung entschieden. Grundsätzlich lassen sich alle Fahrzeuge der Miet-Flotte übernehmen - gut für Kunden, die sich quasi in ihren Gemieteten verliebt haben ... Euro 5 oder besser gleich Euro 6? Die Wahl fiel zum einen auf einen 42 Monate alten R 440 Topline mit dem für Scania damals typischen Abgasrückführer-Motor in Euro-5-Einstellung. Innerhalb von dreieinhalb Jahren hat der weiße Schwede 265.000 Kilometer abgespult und soll netto 47.500 Euro kosten. Deutlich teurer ist Fahrzeug Nummer zwei: ein nur elf Monate alter R 440 Topline der ersten Euro-6-Generation. Gerade einmal 102.000 Kilometer stehen auf dem Tacho, statt des ehemals sechsstelligen Einstandspreises verlangt Scania 82.200 Euro. Wegen der erst kürzlich erfolgten Modellpflege entstammen beide Gebrauchte der gleichen Modellgeneration und unterscheiden sich nur marginal. Mit der Topline-Kabine wählen wir eine Ausstattung, die rund zwei Drittel aller Scania-Kunden nehmen. Die beiden Scan-Rent-Fahrzeuge zeigen leider auch, dass auf Leihfahrzeuge nicht gut aufgepasst wird. Brandlöcher in den Matratzen, Rückstände im Kühlschrank und speziell beim Euro-5-Scania eine gräuliche Verfärbung des Innenraums zeugen von rauchenden Chauffeuren und mangelnder Pflege. Wobei die beige Innenausstattung beider Schweden-LKW empfindlich ist und unsere im Profi-Test geäußerte Kritik bestätigt: Soll der Fahrer nicht ständig putzen müssen, wäre Scania besser beraten, auf eine pflegeleichtere Interieurfarbe zu wechseln. \&{uni279E}; Die oberen Betten der Topline-Kabine haben an der Rückwand einen Schlaufengriff, um die Schlafstatt leichter entern zu können. Weil dadurch jedes Mal die Matratze gefaltet wird, zeigt die im älteren LKW bereits einen ausgeprägten Knick. Das Innenleben beginnt zu bröseln. Die Matratzen sind generell durchgelegen. Diese Position sollte beim Kauf in jedem Fall als Neuteil ausgehandelt werden. Auch die unteren Betten mit dem typischen Auszug machen keinen wirklich frischen Eindruck mehr. Bis auf wenige Kleinigkeiten präsentieren sich die Innenräume in qualitativ gutem Zustand. Selbst nach dreieinhalb Jahren gibt es keine Abnutzungserscheinungen. Das ist angesichts der bereits beschriebenen "Doppelbelastung" im Mietalltag schon ein Qualitätsmerkmal. Es platzt weder etwas von der Oberflächenbeschichtung ab, noch wirkt das Lenkrad abgegriffen. Schalter und Hebel rasten wie am ersten Tag. Nur die Scharniere der Staufachdeckel haben aufgegeben - und das schon beim viel jüngeren Euro-6-LKW. Zudem würde es Scania-Eigner und Spaltmaß-Fetischisten Ferdinand Piëch grauen, wenn er die Passungen der Deckel sähe. Als hätte ein völlig unbegabter Heimwerker Ikea-Schränke zusammengeschustert ... Im älteren der beiden Scania hat ein wohlwollender Einkäufer eine Kaffeemaschine mitbestellt. Eigentlich ein Wunder, dass drum herum bis dato offenbar keine Kleckerkatastrophe geschah. Unser Urteil: nettes Gimmick, aber verzichtbar! Bei den Kühlschränken werden uns beide Alternativen geboten: Standard und mit Gefrierfach. Welchen Tod soll man da sterben? Das Gefrierfach scheint sinnvoll, fällt aber winzig aus. Der normale Kühlschrank ist größer - groß kann man bei Scania ohnehin nicht sagen - kühlt aber nicht so weit runter. Unsere Empfehlung: Ein Auto ohne Kühlschrank kaufen, die Schublade als zusätzliche Ablage nutzen und eine eigene Kühlbox rechts im Fußraum installieren. Während man bei anderen Marken beim Gebrauchtkauf immer hoffen muss, dass der Neuwagenkäufer in vernünftige Sitze investierte, kann man bei Scania entspannt bleiben. Selbst mit den Standardsitzen ist der Fahrer gut bedient. Viele Verstellmöglichkeiten, Sitzheizung und Lordosenstütze sind Usus beim Schweden. Probefahrt zeigt geringe Unterschiede Zu einem ordentlichen Fahrzeugcheck gehört eine Probefahrt. Die hügelige A48 rund um Koblenz ist ein sehr gutes Geläuf für einen kleinen Performance-Test. Im direkten Vergleich erweisen sich die Unterschiede als gering. Ein Blick auf die technischen Daten bestätigt die Einschätzung: Höchstleistung, maximales Drehmoment, nutzbare Drehzahlbereiche - alle Werte sind ungeachtet der Schadstoffnorm identisch. Kein Wunder, beide Motoren basieren auf dem gleichen 13-Liter-Sechszylinder. Nur feinfühlige Fahrer bemerken, dass das Euro-6-Triebwerk schon bei etwas weniger Drehzahl minimal mehr Power bietet. Das Tempo am Berg liegt bei gleichem Trailer und identischem Gewicht minimal höher. Allerdings hat der Euro-6-Scania einen, wenn auch vernachlässigbaren Nachteil: Der Einkäufer hat ihm die inzwischen häufiger bestellte Zweipedalversion des automatisierten Opticruise-Getriebes spendiert. Bei dieser Version arbeitet die Kupplung bei jedem Gangwechsel. Öffnen und Schließen der Reibscheiben kosten ein wenig Zeit. Der Motor fällt beim Gangsprung etwas weiter in der Drehzahl ab, der Ladedruck sinkt - entsprechend länger dauert der Kraftaufbau. Beim Euro 5 mit Kupplungspedal realisiert Scania den Gangwechsel ohne Öffnen der Kupplung und schiebt den Gang quasi rein, wenn die Drehzahl passt. Das ist ähnlich schnell wie ein Doppelkupplungsgetriebe und bedingt eine kürzere Zugkraftunterbrechung. Daraus einen generellen Vorteil für die Version mit Kupplungspedal abzuleiten, läge nahe. Zumal ein intensives Wendemanöver mit der Zweipedal-Version eine Überlastungswarnung im Display provoziert. Andererseits geht Aufund Absatteln sowie Rangieren an die Rampe ohne Kupplungspedal genauso gut vonstatten. Letztlich muss man seine Kaufentscheidung nicht von der verbauten Getriebeversion abhängig machen. Schwieriger ist die Wahl der richtigen Schadstoffnorm. Als Entscheidungshilfe haben wir eine Kostenrechnung und einen Vergleich mit dem neuen Scania R 450 integriert (Kasten Seite 46/47). Wer auf den günstigen Euro-5-Scania setzt, spart gegenüber dem Neufahrzeug rund 850 Euro Fahrzeugkosten im Monat. Das eventuell höhere Ausfallrisiko lässt sich mit einer 1650 Euro teuren Antriebsstrang-Garantie abdecken. Bleiben also bei 137,50 Euro monatlicher Risikominimierung immer noch über 700 Euro Preisvorteil. Der gebrauchte Euro-6-Laster spart gegenüber dem Neuwagen nur 240 Euro im Monat. Wer auch in diesem Fall die Garantieleistung zukauft, kommt nur noch auf eine Differenz von etwa 100 Euro. Die Entscheidung dürfte dann klar sein: Der junge Gebrauchte lohnt nicht! Dann lieber 1200 Euro im Jahr mehr investiert und man atmet Neuwagenduft. Zumal ein neuer R 450 mit Euro 6 Version 2.0, optimiertem Interieur und verbesserter Opticruise technisch bereits die nächste Stufe erreicht hat und mehr Garantie bietet. Ob sich Euro 6 künftig rechnet, wissen wir erst nach Festlegung der künftigen Mautberechnung. Auch dazu ein kurzes Rechenexempel: Bei einer prognostizierten Mautspreizung von zwei Cent/km und 100.000 Autobahnkilometern im Jahr würde Euro 5 künftig 2000 Euro per anno-So fällt am Ende die Kaufentscheidung leicht: Unter Berücksichtigung aller aktuellen und der noch zu erwartenden Kosten nehmen wir den R 440 in Euro 5. Mit aktuell einer guten Viertel Million Kilometer auf der Uhr ist er noch gut für mindestens die dreifache Strecke. Ein paar Extras aushandeln Mit dem Verkäufer würden wir einen neuen Satz Matratzen und Auflagen für beide Betten sowie eine Intensivreinigung des Innenraums inklusive Ozonbehandlung raushandeln. Der schlechten Staufachpassungen nehmen wir uns selbst an. Neue Scharniere sparen wir uns - sind eh gleich wieder lahm ... Topline, Opticruise und Retarder sind gesetzt. Die weiße Lackierung ist nicht der Brüller. Aber das neutrale Äußere lässt sich durch Zierstreifen günstig aufpeppen. Und wer es ganz schön haben will, ersteigert sich auf Ebay einen Satz Aluräder und stellt die Stahlräder mit der abplatzenden Farbe für den späteren Verkauf ins Eck. Second Hand ist also nicht nur schnell und günstig(er), sondern auch gut. Alle Tests und Fahrberichte seit dem Jahr 2008 für Premium-Abonnenten unter www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Technische Daten MotorReihensechszylinder Turbodiesel; 4 Ventile/ Zylinder; Common-Rail-Einspritzung; Ladeluftkühler; Single-Turbo; Dieselpartikelfilter; Abgasrückführung; bei Euro 6 zusätzlich SCR-Kat und VGT-Lader; Hubraum: 12.700 cm³; Leistung: 440 PS (324 kW) bei 1900/min; max. Drehmoment: 2300 Nm bei 1000 bis 1300/minKraftübertragungAutomatisiertes 12-Ganggetriebe (Dreigang-Grundgetriebe mit Range-/Splitgruppe); Opticruise GRS905R mit integriertem Retarder; Spreizung: 11,32 : 1,00; Zweipedalversion mit automatisierter Kupplung beim Euro-5-Fahrzeug (Gangwechsel ohne Kupplungsbetätigung), Dreipedalversion mit manueller Kupplung beim Euro-6-Fahrzeug (Gangwechsel mit Öffnen/Schließen der Kupplung); Hinterachs-Übersetzung: i = 2,71Fahrwerk & BremsenVorderachse: Starrachse AM950 mit Dreiblatt-Parabelfederung bei der Euro-5-SZM und Zweiblatt-Parabelfederung bei der Euro-6-SZM, Bereifung: 385/55 R 22.5; HA: Hypoidachse ADA1100 mit Zweibalg-Luftfederung; EBS-geregelte Scheibenbremsen; Auspuffklappen-Motorbremse mit 235 kW bei 2400/min; Scania-Retarder mit 3500 NmMaße & Gewichte, MesswerteLxBxH: 5940x2550x3940 mm; Radstand: 3700 mm; Gewicht Euro 5: 8450 kg (mit Fahrer und 1400 l Diesel); Fahrgestellgewicht Euro 6: 8428 kg (mit Fahrer, 1200 Liter Diesel und 80 l Adblue); Verbrauch Euro 5: 41,9 l/100 km bei 85,1 km/h; Verbrauch Euro 6: 39,5 l/100 km (ohne Adblue) bei 84,2 km/hGarantieEinjährige Antriebsstrang-Garantie für 1650,- Euro; verlängerbar bis 72 Monate und 840.000 kmPreise & Ausstattung (Euro netto)Euro 5 (265.000 km): 47.500,- Euro; Euro 6 (102.000 km): 82.200,- EuroKurzurteil+ technisch einwandfrei, kräftiger Motor, gute Schaltautomatisierung, wertstabil- empfindliches Interieur, wenig fortschrittliches Wartungssystem, trotz Topline im Vergleich wenig Platz Die Scania R-Baureihe im TÜV-Check Wartung "old fashioned" Mit Ausnahme des Partikelfilters unterscheiden sich Euro 5 und Euro 6 bei Scania nicht groß. Alle Servicepunkte finden sich unter der großen, schweren und unverriegelten Frontklappe. Zum Tauschen der Lufttrocknerpatrone sowie des Kraftstofffilters muss man die Kabine kippen. Die Prüfanschlüsse zum Bremstest an der Hinterachse sind eng verbaut. Mit 90.000 Kilometern offeriert Scania das kürzeste Serviceintervall im Fernverkehr, lässt es aber bei günstigen 10-W-40-Ölen bewenden. Der Partikelfilter (Euro 6) lässt sich aufarbeiten, bedarf aber alle 240.000 Kilometer eines Tausches. Altbacken wirken der Ölmessstab und zwölf Schmiernippel am Fahrgestell. Öl- und Wassereinfüllstutzen fallen groß und gut zugänglich aus, die meisten Behälter sind durchsichtig und erlauben so eine einfache Füllstandskontrolle. Der Behälter für die Lenkhydraulik sitzt griffbereit unterm Ölmess-Stab. Die Hydraulik der Kupplungsbetätigung (nur 2-Pedal-Opticruise) ist nur bei gekippter Kabine erreichbar und sitzt an der elektrisch gesteuerten Betätigungsmimik. Zum Ölwechsel muss die Werkstatt eine Verkleidung unter dem Motor lösen. Die Ölfilter (Haupt- und Nebenstrom) sitzen günstig vorn links, stehend am Motor. Waschwasser für die Frontscheibe füllt der Fahrer gut erreichbar im linken, oberen Einstieg ein. Ein"Schauglas" für den Füllstand findet sich unten links. Hinter dem rechten Einstieg sitzt, von oben einsehbar, die Luftfilter-Verschmutzungsanzeige.Bewertung*Service-Intervall (150.000 km = 100 Punkte) 60 Abfahrtskontrolle (max. 90) 78 Service Arbeiten (max. 80) 67 Fahrerfreundlichkeit (max. 90) 68 Kleinreparaturen (max. 70) 57 Gesamtpunkte (max. 430) 330*Detailwertung: www.verkehrsrundschau.de

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