Schneller durch die Alpen

Der Countdown läuft. Auf der Homepage gottardo2016.ch werden die Tage, Stunden und Sekunden bis zur großen Eröffnungsfeier gezählt. Am 1. Juni geht der Gotthard-Basistunnel (GBT) offiziell in Betrieb. 17 Jahre nach der ersten Sprengung haben die Schweizer den mit 57 Kilometer derzeit größten Eisenbahntunnel der Welt schneller als erwartet fertiggestellt. Auch deshalb gilt die Eröffnungsfeier - ursprünglich erst für Mitte 2017 geplant - als internationaler Prestigeerfolg. Die Nachbarstaaten werden ihre alpenquerenden Großprojekte frühestens Mitte des nächsten Jahrzehnts eröffnen. Das gilt für den 64 Kilometer langen Brenner-Basistunnel in Österreich wie für den 57 Kilometer langen Mont-Cenis-Basistunnel auf der Neubaustrecke zwischen Lyon und Turin. Neue Strecke um 30 Kilometer kürzer Doch von Euphorie ist in der Eisenbahnverkehrswirtschaft derzeit wenig zu spüren. Für viele Operateure und Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) ist der GBT nur ein - wenn auch sehr wichtiger - Baustein für die Realisierung des Projekts Neue Eisenbahn Alpentransversale (NEAT). Das Großprojekt, zu dem auch der bereits fertiggestellte Lötschberg-Basistunnel zählt, beinhaltet Ausbaumaßnahmen und Neuanschlüsse vor allem in der Ostschweiz. Außerdem sorgt unter den Operateuren ein neues Trassenpreissystem der SBB für Unruhe. Einige befürchten, dass sie Preiserhöhungen an Kunden weitergeben müssen. Für die EVU ändert sich am 1. Juni 2016 zunächst kaum etwas. Auch deshalb, weil die eigentliche Inbetriebnahme erst am 11. Dezember 2016 zum Fahrplanwechsel für 2017 stattfindet. Immerhin ersetzt der GBT viele Kurven und Kehrtunnel, sodass die bislang über 200 Kilometer lange Trasse zwischen Immensee bei Luzern und Chiasso fast 30 Kilometer kürzer geworden ist. Trotzdem, viele Züge werden diese Strecke nicht unbedingt schneller passieren. Denn für den 4-Meter-Korridor müssen bis 2020 über 150 Bauwerke und Verkehrsanlagen, darunter 20 Tunnel, angepasst werden. Ausschließlich mit diesen Maßnahmen können Sattelauflieger mit vier Metern Eckhöhe auf die Bahn verladen werden. Weil die meisten Bauarbeiten zwischen 2017 und 2020 geplant sind, müssen Operateure und EVU mit Verspätungen und anderen Einschränkungen rechnen. Im Fokus steht jedoch die Fertigstellung des 15 Kilometer langen Ceneri-Basistunnels (CBT) zwischen Bellinzona und Lugano, der sich auf der Gotthard-Route befindet. Im Dezember 2020 soll der Tunnel nach 12-jähriger Bauzeit in Betrieb genommen werden. Bei einer Stunde weniger Fahrzeit soll der CBT einen entscheidenden Beitrag für die Verdopplungen der NEAT-Güterverkehrsleistungen auf 40 Millionen Tonnen im Jahr leisten. 260 Güterzüge können die Tunnel täglich mit Höchstgeschwindigkeiten von 160 km/h durchqueren. Weil beide Bauwerke als Flachbahnen mit kaum Gefälle gebaut wurden, wird pro Zug nur noch eine Lokomotive statt bislang zwei benötigt. Außerdem ist ein Gesamtgewicht von bis zu 2000 Tonnen möglich. Bislang liegt die Obergrenze bei 1700 Tonnen. Hupac kritisiert das neue Preissystem Über weitere alpenquerende Verbindungen ab 2017 zerbrechen sich Hupac, Kombiverkehr, Ralpin und andere Kombioperateure derzeit nicht den Kopf. Weit mehr beschäftigt sie das neue Trassenpreissystem der SBB. Ab 2017 wird der Grundpreis pro Kilometer auf bis zu 3,50 Franken erhöht und mit besonderen Faktoren für Nachfrage und Trassenqualität multipliziert. Außerdem wird ein neuer Basispreis für Verschleiß den bisherigen für Gewicht ersetzen. Als Konsequenz sinken die Preise für Güterzüge bis 1600 Tonnen auf der Gotthard-Strecke geringfügig. Für höhere Gesamtgewichte steigen sie hingegen, wenn zwei Lokomotiven benötigt werden, was bis zur Eröffnung des CBT Ende 2020 regelmäßig vorkommen wird. "Das Preissystem enthält keine Anreize für Produktivität", kritisiert Hans-Jörg Bertschi, Verwaltungsratspräsident der Hupac AG. Es könnte also sein, dass EVU und Operateure Ganzzüge scheuen. SBB Cargo ist schon mal vorgeprescht und hat stabile Preise auf der Gotthard-Trasse bis zur Eröffnung des CBT zugesagt. Dann allerdings stehen Subventionen in Höhe von derzeit 150 Millionen Franken für Schienenverkehre zur Disposition. Spätestens 2023 will die Schweizer Regierung diese ganz streichen, für 2017 hat sie Kürzungen von fünf Millionen Franken beschlossen. Solche Maßnahmen treffen den Schienentransit in einer kritischen Phase. "Hoher Frankenkurs und niedriger Dieselpreis haben zu einer relativen Verteuerung gegenüber dem Straßentransit geführt", stellt Bertschi, auch Chef der gleichnamigen Schweizer Spedition, fest. Dennoch nehmen derzeit vor allem Schienengüterverkehre über den Gotthard zu, wobei Angebote auf der Rollenden Landstraße stärker wachsen als unbegleitete Verkehre. Das spiegelt sich auch in den Zahlen der Anbieter wider. Während die transalpinen Schweiz-Verkehre von Hupac in der Schweiz um 0,6 Prozent sanken, zogen die Rola-Verbindungen von Ralpin trotz Preiserhöhungen um 0,4 Prozent an. Vor allem Verkehre mit Schweiz-Zielen wechseln derzeit auf die Schiene. So hat die Spedition Maier, Singen, bereits über 50 Prozent ihrer Verkehre für die Schweizer Südkantone verlagert. Mutterkonzern Pflanzer ist mit gutem Beispiel vorangegangen. Das Dietikoner Unternehmen schlägt laut eigenen Angaben 80 Prozent seiner alpenquerenden Schweiz-Verkehre auf der Schiene um. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Alpentransit www.verkehrsrundschau.de/dossiers Schweiz baut nicht nur für die Bahn Noch ein Tunnel durch den Gotthard Auf den neuen Eisenbahntunnel folgt ein erneuerter Straßentunnel. Am 28. Februar votierten in einer Volksabstimmung 57 Prozent der Schweizer Bürger für eine Rundumsanierung des 36 Jahre alten Gotthard-Bauwerks sowie für den Bau einer zweiten Tunnelröhre. Auch die Bürger von Tessin und Uri, in deren Kantonen der Straßentunnel liegt, stimmten mit 58 beziehungsweise 53 Prozent für diese Maßnahme. Gegen die Sanierungsmaßnahme waren Anwohner und Umweltschützer Sturm gelaufen, weil sie eine weitere Verkehrsverlagerung auf die Schiene fürchteten. Jetzt soll der 17 Kilometer lange Tunnel von 2020 bis 2030 in zwei Schritten erneuert werden: Bis 2027 wird die neue Röhre gebaut, anschließend folgt die Sanierung der alten Röhre.bot

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