Schadstofflimits für Lkw immer wahrscheinlicher

Vor fünf Jahren deutete sich alles bereits an. Damals lancierte die EU-Kommission ihre erste öffentliche Befragung zu CO2-Grenzwerten bei Lkw. Schon damals war den Experten der Behörde bekannt, dass die Dinge bei schweren Lastwagen nicht so einfach zu regeln sein würden wie bei Pkw oder leichten Nutzfahrzeugen. Zwischen der Fahrt einer einfachen Zugmaschine ohne Anhänger bis hin zum vollbeladenen 40-Tonner gab es eine fast unermessliche Bandbreite von möglichen Fahrzeugkombinationen zu bewerten, die alle aufgrund ihrer unterschiedlichen Ausstattungen und Gewichte jeweils unterschiedliche Kohlendioxid-Werte ergeben können. Mit Schnellschüssen war deshalb nicht zu rechnen. Zumal die EU-Gesetzesmühlen ja dafür bekannt sind, in der Regel eher langsam zu mahlen. Thema CO2-Limit kommt erneut auf Derzeit läuft wieder eine öffentliche Befragung zu dem Thema. Diesmal ist vieles konkreter. Das liegt vor allem daran, dass die EU-Kommission das Problem der Messbarkeit von CO2-Werten bei Lkw mittlerweile in den Griff bekommen hat. Zusammen mit Lkw-Herstellern hat sie Vecto entwickelt. Die Abkürzung steht für Vehicle Energy Consumption Calculation Tool. Sie bezeichnet ein computergestütztes System, das auf Basis der eingespeisten Informationen zur Beschaffenheit von Zugmaschinen und Anhängern relativ genaue Daten zu dem zu erwartenden Verbrauch und damit auch CO2-Ausstoß eines Lkw in unterschiedlichsten Kombinationen errechnet. Vecto wird sowohl von der Fahrzeugindustrie als auch Umweltschutzverbänden positiv bewertet: "Das Modell ist ein nützliches Instrument, mit dem die CO2-Emissionen aktueller Lkw und künftige Potenziale von Technologien zur CO2-Reduktion abgeschätzt werden können", sagt Peter Mock, Europa-Geschäftsführer des International Council on Clean Transportation (ICCT). Die Organisation war in den USA maßgeblich bei der Enthüllung des VW-Skandals beteiligt und hatte für den europäischen Markt im Frühjahr eine Studie veröffentlicht, in der sie unter anderem dringend die Einführung von CO2-Grenzwerten für Lkw empfohlen hatte. Auch Kay Lindemann, Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie (VDA), lobt das neue Messsystem: "Erst mit Vecto wird eine seriöse Basis bestehen, von der aus eine weitergehende Regulierung möglich wäre", sagt er. Und Thomax Myck, stellvertretender Leiter der Abteilung Verkehr, Lärm und räumliche Entwicklung beim Umweltbundesamt, meint: "Aufgrund der Heterogenität im Lkw-Bereich finden wir den Ansatz einer Teilsimulation nach Eingabe von Messparametern so wie bei Vecto sinnvoll." Auswertung umstritten Während bezüglich der technischen Leistungsfähigkeit von Vecto Einigkeit herrscht, gehen die Meinungen darüber auseinander, was man dann mit den ermittelten Daten anfangen soll. Die Positionen sind bekannt: Schon auf der Brüsseler Jahreskonferenz des Europäischen Autoherstellerverbandes (ACEA) 2013 kündigte die damalige EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard CO2-Grenzwerte für Lkw an - und erntete dafür Kritik. Lkw-Käufer hätten ein natürliches Interesse daran, die sparsamsten und dadurch auch umweltfreundlichsten Fahrzeuge zu kaufen, sagte Wolfgang Bernhard, Chef von Daimler Truck und damals Vorsitzender der Nutzfahrzeug-Sparte der ACEA. Die Senkung der CO2-Werte werde dadurch automatisch erreicht. Hedegaard verteidigte sich: "Ich bin lange genug Politikerin, um zu wissen, dass kaum etwas automatisch kommt", betonte sie. Die Dänin hat ihren Posten bei der EU längst verlassen, aber bei der Kommission scheint man ihre Strategie fortzuführen. Eine Sprecherin teilt auf Anfrage folgenden Fahrplan für Gesetzesvorschläge mit, den die Brüsseler Behörde mit dem aktuellen Vecto-Modell verfolgt: Nach den erfolgreichen Tests von Vecto in den Jahren 2012 und 13 und erneut 2015 habe die Kommission jetzt mit der Vorbereitung von Gesetzestexten begonnen. Ein Gesetzestext soll den Gebrauch von Vecto zur individuellen Berechnung von Verbrauch und CO2-Emissionen festlegen, ein zweiter das Monitoring und die Weitergabe der Daten an Kontrollbehörden regeln. Auf diese Punkte bezieht sich auch der Hauptteil der noch laufenden öffentlichen Befragung. In einem zweiten Schritt will man CO2-Grenzwerte für Lkw vorschlagen. Das soll laut der Sprecherin noch vor Mandatsende der amtierenden Kommission geschehen, also bis spätestens 2019. Am 20. Juli hatte die EU-Kommission diesen Fahrplan bei der Vorstellung der "Europäischen Strategie für Mobilität mit niedrigen Emissionen" bereits angedeutet - allerdings ohne Zeitangaben. In dem Papier benannte sie Eckpunkte für die Reduktion der Treibhausgase des Verkehrs nach 2020 und machte Vorschläge für die Umsetzung. Hersteller warnen vor Bürokratisierung Mit dem ersten Schritt, also der Festlegung von Gebrauchsregeln für Vecto und die Übermittlung der Daten, sind die Fahrzeughersteller einverstanden. Die Ankündigung von CO2-Grenzwerten für Lkw wertet Lindemann aber als verfrüht. "Wir appellieren mit Nachdruck, die Entwicklung der CO2-Emissionen aufgrund von Vecto zunächst zu beobachten und auch die höhere Transparenz für die Kunden wirksam werden zu lassen. Erst dann kann sinnvoll entschieden werden, ob eine weitere Regulierung tatsächlich nötig ist", sagt der VDA-Geschäftsführer. Um seine - vorläufige - Ablehnung von CO2-Grenzwerten zu begründen, argumentiert er ähnlich wie vor drei Jahren Bernhard: Der Markt werde das regeln. "Der Kraftstoffverbrauch zählt neben den Personalkosten häufig zu den größten Kostenblöcken im Transportalltag, hat also einen entscheidenden Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg der Betreiber", sagt Lindemann. Das setze die Hersteller unter Druck, immer verbrauchsärmere Lkw zu entwickeln, die von den Kunden auch gekauft werden. Das würden die Hersteller auch tun - und durchaus mit Erfolg. "Anders, als manchmal behauptet, ist der Kraftstoffverbrauch schwerer Nutzfahrzeuge kontinuierlich gesunken", betont Lindemann. Große Flottenbetreiber hätten berichtet, dass der Verbrauch von Euro-6-Lkw rund zehn Prozent geringer sei als jener der vorangegangenen Fahrzeuggeneration. Auch im Durchschnitt über alle europäischen Fahrzeughersteller seien die Verbräuche und CO2-Emissionen in den vergangenen fünf Jahren um rund 1,7 Prozent pro Jahr gesunken. "Welchen Effekt sollen politisch festgelegte Grenzwerte da haben?", fragt der VDA-Geschäftsführer. Und warnt vor der unnötigen Bürokratie, die solche Grenzwerte mit sich brächte. Umweltschützer fordern Regeln Mock vom ICCT sieht das anders: "Der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch je 100 Kilometer, und damit auch die CO2-Emissionen, ist für neue Lkw in den letzten 15 Jahren konstant geblieben. Eine Reduktion des Verbrauchs und der Emissionen alleine durch Angebot und Nachfrage können wir nicht beobachten", versichert er. Beide Behauptungen, sowohl die von Mock als auch von Lindemann, lassen sich schwer nachweisen. Denn bisher gibt es kein System, das verlässliche Daten zu Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen von Lkw liefert. Erst Vecto soll das ermöglichen. Doch Mock führt weitere Gründe an, weshalb er und seine Organisation für umweltfreundlichen Verkehr die Einführung von CO2-Grenzwerten nachdrücklich empfehlen: Die EU könne ihre selbstgesteckten Klimaziele (CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu senken) bloß erreichen, wenn sie auch Lkw in ihre Bemühungen einbezöge. Je früher man Limits setze und die Hersteller dazu zwinge, kraftstoffärmere schwere Nutzfahrzeuge auf den Markt zu bringen, desto stärker ließe sich der Schadstoffausstoß im Straßengüterverkehr senken. "Ein CO2-Standard für neue Lkw ab dem Jahr 2020 erzielt in etwa dreimal so hohe CO2-Reduktionen im EU-Zieljahr 2030 wie ein CO2-Standard, der erst im Jahr 2025 eingeführt würde", sagt Mock. Man brauche für die Einführung der Limits nicht die Erfahrungen mit Vecto abzuwarten. "Mit dem bereits heute vorhandenen Wissen könnten verpflichtende CO2-Standards in der EU im Jahr 2018 verabschiedet werden und ab 2020 in Kraft treten", meint er. Die EU-Kommission habe in den vergangenen sechs Jahren umfangreiche Studien zum Lkw-Markt, dem heutigen CO2-Emissionsniveau und verfügbaren Technologien zur CO2-Reduktion durchgeführt. Unabhängige Studien, wie die des ICCT, hätten diese Erkenntnisse zusätzlich erweitert. 2020: Auch Verlader drücken aufs Tempo Eile sehen auch andere geboten. Ende Mai hatten 19 große Unternehmen aus Industrie und Handel, Logistikdienstleister und Umweltverbände aus ganz Europa einen Brief an die EU-Kommission geschrieben und genau wie Mock die Einführung von CO2-Grenzwerten für Lkw ab 2020 gefordert. Verladende Unternehmen mit Lkw-Flotte sowie Speditions-, Transport- und Logistikunternehmen könnten dadurch deutlich bei den Spritkosten sparen. Die Argumente klingen ähnlich wie die der ICCT. Zu den deutschen Unterzeichnern des Briefs gehören DB Schenker und die Deutsche Post DHL. Achim Jüchter, Flottenexperte Grüne Technologien bei Deutsche Post DHL, glaubt, dass Schadstofflimits für Lkw die Anstrengungen des eigenen Unternehmens unterstützen würden. Seit 2009 versuche der Logistikkonzern, die CO2-Effizienz seiner Flotte gezielt zu verbessern und nur neue Fahrzeuge anzuschaffen, deren Ausstoß unter denen der abgestoßenen Fahrzeuge liege. "Von der Einführung von CO2 Grenzwerten versprechen wir uns positive Effekte wie bereits im Pkw-Segment", sagt Jüchter. Der europäische Umweltverband Transport & Environment (T&E), ebenfalls Unterzeichner des Briefes, verweist auf den globalen Wettbewerb: "Wenn die EU Weltmarktführer bei der Lkw-Herstellung bleiben will, sollte die Kommission schon 2017 mit einem Gesetzesvorschlag kommen, der den Kraftstoffverbrauch bei Lkw beschränkt", sagt Stef Cornelis, T&E-Experte für saubere und sichere Lkw. Wichtig sei dabei, die Ziele für 2025 ambitionierter zu gestalten als die USA mit der gerade beschlossenen Phase zwei ihres Programms zur Senkung der CO2-Emissionen bei Lkw. Das sei durchaus möglich. Denn laut ICCT-Berechnungen könnten europäische Lkw unter Einsatz modernster Technik 2025 um 27 Prozent und 2030 um 40 Prozent sparsamer fahren als heute. Eine ehrgeizige Gesetzgebung müsse helfen, das zu erreichen. "Wenn die EU aber nicht reagiert, werden Lkw-Zugmaschinen in den USA 2027 um 16 Prozent sparsamer fahren als in der EU", prophezeit Cornelis. Andere Nationen sind deutlich weiter Neben den USA haben auch Kanada, Japan und China bereits Gesetze erlassen, um den CO2-Ausstoß von Lkw zu verringern. Die EU-Kommission sah diese Systeme aber nicht als geeignet an, um sie auch in Europa einzuführen. ICCT-Geschäftsführer Mock warnt davor, den politischen Prozess zur Ausgestaltung verpflichtender CO2-Standards durch eine ständige Weiterentwicklung des Vecto-Systems zu verzögern. Die USA hätten bei der Einführung ihrer Schadstofflimits für den Straßengüterverkehr weniger komplexe Modelle zur Verfügung gehabt. "Es kommt nicht darauf an, die CO2-Emissionen von Lkw bis auf die Nachkommastelle genau zu modellieren", sagt er. Dass man für die Festlegung solcher Grenzwerte durchaus die Lkw-Hersteller mit ins Boot holen kann, die sich in Europa noch sehr skeptisch gegenüber gesetzlichen Regelungen geben, hätten die USA gezeigt. Es sei wünschenswert, dass Daimler und Co. in Europa in Zukunft eine ähnlich konstruktive Rolle einnehmen, sagt Mock. Mehr zum Thema unter CO2 und Luftschadstoffe www.verkehrsrundschau.de/dossiers Gesetzgebung Nur EU-Kommission darf CO2-Grenzwerte einführen Bislang gibt es in der EU lediglich Kohlendioxid-Grenzwerte für Pkw und Kleinlastwagen. Ab 2021 sollen die Fahrzeugflotten der Hersteller nur noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen. Bei den Lkw gibt es zwar die Euro-Norm, die den Ausstoß verschiedener Schadstoffe regelt, CO2 ist dabei aber nicht erfasst. In Ländern wie den USA, Kanada oder China existieren bereits solche Standards für Lkw.Die Einführung von CO2-Grenzwerten für Lkw ist nur auf EU-Ebene möglich. So sieht es die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten vor, teilt der Umweltverband Transport & Environment auf Anfrage mit. Die Einführung von CO2-Grenzwerten zum Beispiel lediglich in Deutschland sei demnach nicht erlaubt. "Mit Blick auf den hohen Anteil grenzüberschreitender Verkehre wäre das aber auch wenig zielführend", sagt Thomas Myck vom Bundesumweltamt. kw/ag CO2-Messung Fahrzeughersteller haben aus VW-Abgasskandal gelernt Die Glaubwürdigkeit der CO2-Messung und eventuell auch von verpflichtenden CO2-Grenzwerten für Lkw hängt besonders nach dem VW-Abgasskandal von guten Kontrollen ab. Sowohl die Umweltorganisation Transport & Environment als auch VDA-Geschäftsführer Kay Lindemann verweisen dabei auf die sogenannten PEMS-Geräte, die schon bei Euro-6-Lkw zur Messung der Schadstoffemissionen benutzt werden. PEMS steht für Portable Emissions Measurement System. Die EU-Kommission hat mit PEMS-Geräten bei Vecto-Tests bereits gearbeitet. Für Peter Mock vom ICCT ist es darüber hinaus wichtig, dass die Institute, die mit der CO2-Messung beauftragt würden, völlig unabhängig arbeiten könnten. Für Kontrollen sollten genügend Mittel zur Verfügung stehen und bei Verstößen "empfindliche Strafen" verhängt werden können. kw

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