Revolution mit Ansage

Revolution! Das ist laut Wikipedia ein "grundlegender struktureller Wandel eines Systems, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt". Wenn man diese Definition zugrunde legt, ist der 3D-Druck keine revolutionäre Technologie. Denn es gibt ihn schon seit Ende der 80er Jahre - und bisher hat er es nicht geschafft, die Supply Chains der Industrie spürbar zu verändern. Doch in den letzten Jahren gewinnt das Thema an Schwung, und so könnte der sanften Evolution nun doch eine Revolution folgen. Mittels des 3D-Drucks, von Experten bevorzugt "generatives Fertigungsverfahren" genannt, fertigen Maschinen aus einem oder mehreren Werkstoffen (Kunststoff, Metall, Keramik) dreidimensionale Werkstücke. Das revolutionäre Element dieser Technologie ist, dass man bei der Erstellung geometrisch komplett frei ist und bisher nicht umsetzbare Innenstrukturen aufbauen kann. Übergang zur Serienfertigung Zurzeit befindet sich der 3D-Druck in der "Übergangsphase hin zur Implementierung in der Industrie", sagt Steve Rommel, Gruppenleiter beim Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung im Themenbereich generative Fertigung. "Circa 65 Prozent der Bauteile, die bisher mit diesen Verfahren hergestellt werden, sind Prototypen, die allerdings schon in Versuchsbaureihen eingesetzt werden". Der Rest werde tagtäglich in der Fertigung eingesetzt - Tendenz steigend, so der Experte. Was den Wandel beschleunigt: Die Kosten beim Material sinken, sind gleichwohl aber immer noch hoch. Die Konsequenzen dieser neuen Art der Fertigung könnten "dramatisch" sein. So sieht es zumindest Wolfgang Grassl, der Partner bei der Unternehmensberatung KPMG ist. Er berät seine Kunden aus allen Industrien, vor allem aber aus dem Automotive-Bereich, in Sachen generative Fertigung. Für ihn steht fest: "Die Supply Chain wird wesentlich kürzer werden." Beispiel: Ersatzteilwesen. Schon heute werden in der Automobil- oder Flugzeugindustrie Ersatzteile am Nutzungspunkt gedruckt und nicht mehr per Nachtsprung durch die Welt transportiert. So könnte es auch in anderen Branchen laufen, die bisher noch viel Aufwand betreiben, um bestimmte Güter von A nach B zu transportieren. "Das alles könnte in Zukunft wegfallen, mit allen damit verbundenen Verwerfungen für Transport- und Logistikdienstleister", glaubt Grassl. Zu diesem Schluss komme KMPG auch durch Erkenntnisse aus ersten Projekten zu dem Thema. Das klingt dann doch nach Revolution, zumindest nach einem dramatischen Wandel. Und deshalb beschäftigen sich auch große Logistiker mit dem Thema. So hat UPS unlängst angekündigt, zahlreiche Fillialen in den USA mit 3D-Druckersystemen auszustatten - Ausweitung angedacht. Auch die Deutsche Post DHL setzt sich mit dem Thema auseinander. Markus Kückelhaus ist Leiter von DHL Trend Research. Seine Abteilung beleuchtet konzernweit das Thema Trends, also klassische Megatrends und neue Technologien. Zu diesen Technologien zählt der Logistiker den 3D-Druck. "Wir sehen einen hohen Einfluss auf die Logistikbranche", sagt Kückelhaus. Er teilt allerdings nicht die Befürchtung mancher Skeptiker: "Die neue Technologie ist kein Schreckensszenario für die Logistik, sie bietet auch Chancen". Allerdings rechnet auch er damit, dass sich internationale Warenströme mehr zu regionalen oder gar lokal ausgeprägten Warenströmen verschieben - und damit fallen kürzere Transporte an. Logistiker könnten drucken Die entscheidenden Fragen aus Sicht der Logistik lauten: Wo stehen die Drucker und welche Rolle spielen die Dienstleister? Wenn die Drucker in Zukunft beim Kunden stehen oder der Hersteller nur noch Dateien verschickt, dann fallen Transporte schlicht weg. Wenn der Hersteller selbst ausdruckt, verändert sich wenig. Am wahrscheinlichsten ist jedoch ein Szenario, in dem sich regionale tätige und weltweit organisierte Druckzentren bilden. Diesen Part könnten auch Logistikdienstleister bestreiten. "Wenn Dienstleister die Aufgaben übernehmen, dann gibt es die Möglichkeit, die Wertschöpfungstiefe zu steigern", glaubt DHL-Mann Kückelhaus. Logistiker könnten sich also noch mehr als bisher in Richtung Produktionsdienstleistung entwickeln. Für Kückelhaus ist dabei eine "Allianz eines Logistikdienstleisters mit großen Druckerherstellern und anderen Partnern" denkbar. "DHL wird so etwas wohl nicht im Alleingang machen, sondern mit Partnern starten. Wir halten das Thema hoch, haben aber keine Eile." Dass sich die großen Dienstleister jedoch rasch mit dem Thema beschäftigen müssen, meint KMPG-Partner Grassl. "Sonst läuft das Geschäft in Zukunft ohne sie." B2C bewegt Märkte Im B2C-Markt, also wenn Verbraucher 3D-Objekte drucken wollen, gehen die meisten Experten davon aus, dass sich das Thema ähnlich wie beim digitalen Fotodruck entwickelt. Es werden sich 3D-Druckshops durchsetzen (wie etwa zur Fotoentwicklung in Drogeriemärkten) oder Netzdienstleister die Aufträge Privater ausführen. Möglich auch, dass es in wenigen Jahren eine Art Wikipedia für 3D-Druckvorlagen gibt und die Daten für Alltagsgegenstände (Löffel, Dübel, Handyhüllen, Brillen ...) frei für jeden im Netz verfügbar sind - mit allen Konsequenzen für die Hersteller dieser Produkte. Doch zurück zu den Logistikdienstleistern: Auch die Lagerhaltung wird sich verändern. "Die Verfügbarkeit wird kein Thema mehr sein", sagt Wolfgang Grassl von KPMG. Langsam drehende Teile werden nicht mehr vorrätig gehalten, sondern im Bedarfsfall ausgedruckt. So wird die digitale Lagerhaltung zumindest bei im Transport teuren und selten genutzten Teilen das Lager ersetzen. Wichtigste Frage: Wer haftet? Noch bevor sich aber klärt, wer welche Rolle in der Supply Chain der 3D-Zukunft spielt, sind wie so oft die Juristen gefragt. Die Technologie ist sehr viel weiter als der Gesetzgeber. Entscheidende Fragen sind noch offen: Wer testet die ausgedruckten Produkte? Wer trägt die Verantwortung, sprich: wer haftet? Ist derjenige verantwortlich, der die Datei geschickt hat, oder haftet der Logistiker, der ausdruckt? Komplexe Fragen, die ohne Beantwortung wohl die Entwicklung der Technologie sowie die Implementierung in der Praxis bremsen dürften. Die Revolution steht vor der Tür, sie könnte jedoch noch ein paar Jahre auf sich warten lassen. Hintergrund Trends im Netz zum Thema 3D- Shop für 3D-Modelle: Das Online-Kaufhaus Amazon bietet in den USA einen Shop für Print-on-Demand-Produkte von Kooperationspartnern an.www.amazon.com- Suchmaschine für 3D-Drucker: Wer etwas ausdrucken will, kann mit der Suchmaschine den nächstgelegenen Drucker, Preise und weitere Infos finden.www.makexyz.com- Daten für 3D-Modelle: Auf der Suche nach einem 3D-Modell? Hier hilft die Metasuchmaschine, die verschiedene Datenbanken durchforstet.www.yeggi.com- Filme zum 3D-Druck: Sie wollen sehen, wie ein 3D-Drucker funktioniert? Bei Youtube gibt es viele Filme, Suchbegriffe etwa: "Test 3D-Drucker","3D-Drucker Zeitraffer".www.youtube.com tr Fazit Ende noch offen 3D-Druck - ein altes Thema bekommt wieder Schwung. Sinkende Materialkosten treiben das Thema, rechtliche Haftungsfragen bremsen es. So oder so: Die Lieferketten dieser Erde werden sich in den kommenden fünf bis zehn Jahren verändern und mit ihr die Logistik. Für Logistiker könnte Wertschöpfung wegfallen - aber sie könnten auch gewinnen. Noch ist nicht entschieden, wie die Supply Chain der Zukunft organisiert wird und welche Rolle die Logistikdienstleister anschließend spielen. tr

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