Prozess gewonnen dank Mini-Kamera

Dürfen Aufnahmen, die eine Dashcam während der Fahrt macht, bei nach Verkehrsunfällen als Beweismittel verwendet werden? Diese Frage hat in der jüngeren Vergangenheit vermehrt deutsche Gerichte beschäftigt. Im August hat mit dem Oberlandesgericht Nürnberg nun erstmals eine höhere Instanz entschieden, dass die Aufzeichnungen der kleinen Videokameras zu bestimmten Anlässen in einem Zivilprozess zulässig sind, um den Ablauf eines Verkehrsunfalls rekonstruieren und die Schuldfrage klären zu können. Der sogenannte Hinweisbeschluss bestätigte ein vorheriges Urteil des Landgerichts Regensburg (Aktenzeichen: 13 U 851/17). In diesem Fall hatte ein Autofahrer nach einem Unfall gegen die Spedition Anton Fischer Transport aus Furth im Wald geklagt. Ein Lkw-Fahrer des Familienunternehmens mit einer Fahrzeugflotte von über 25 Jumbo-Wechselbrücken-Hängerzügen war darin verwickelt gewesen. Anlass war ein Streit über die Schadenabwicklung. Es stand Aussage gegen Aussage Gekracht hatte es am 18. März 2016 auf der Autobahn 5 in Richtung Heidelberg. Kurz vor der Ausfahrt Karlsruhe-Mitte war ein Lkw von Fischer Transport auf einen Pkw aufgefahren. Anschließend ging die Sache vor das Landgericht Regensburg. Der Kläger verlangte rund 15.000 Euro Schadensersatz und schilderte dort folgende Version des Hergangs: Er habe verkehrsbedingt abbremsen müssen, der Lkw-Fahrer sei zu schnell und mit zu geringem Abstand unterwegs gewesen. Doch laut der Spedition war der Pkw-Fahrer von der linken über die mittlere auf die rechte Spur gewechselt und hatte abrupt bis zum Beinahe-Stillstand gebremst, um die Abfahrt zu erwischen. Der Unfall war demnach trotz Blitzreaktion und Ausweichmanöver des Lkw-Fahrers unvermeidbar. Eine Auswertung der Dashcam-Aufzeichnung durch einen Sachverständigen ergab, dass letztere Version zutreffend war. Trotzdem legte der Kläger Berufung vor dem Oberlandesgericht Nürnberg ein. Dieses befand, dass das Landgericht Regensburg die Klage zu Recht abgewiesen und seinem Urteil die Bilder der Mini-Kamera zugrunde gelegt hatte. Denn im Zivilprozess gehe es nur um die Verwertung relevanter Szenen zum Unfallhergang und nicht um deren Beurteilung. Die Bilder dürften auch verwendet werden, obwohl sie neben dem Unfallgeschehen auch Fahrzeuge von anderen Verkehrsteilnehmern zeigten. So richteten sich die Aufnahmen nicht gegen einzelne Personen. Die im Fahrzeug sitzenden Personen seien praktisch nicht sichtbar. Interesse an Wahrheitsfindung stärker Der 13. Zivilsenat betonte vor allem, ob die Aufzeichnungen verwertet werden dürften, sei im Rahmen einer Interessen- und Güterabwägung zu klären. Dabei müssten die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden: Das Interesse des Beweisführers an einem effektiven Rechtsschutz und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör überwiege das Interesse des Unfallgegners an dessen Persönlichkeitsrecht. Vor allem dann, wenn andere zuverlässige Beweismittel - so wie hier - nicht zur Verfügung stünden. Ohne die Dashcam-Aufnahmen würde die Spedition Fischer Transport auf der Grundlage unwahrer Behauptungen zu Unrecht verurteilt, stellten die Richter klar. Dies habe Vorrang gegenüber dem sehr geringfügigen Eingriff in die Intim- oder Privatsphäre des Unfallgegners durch eine kurzzeitige und anlassbezogene Dokumentation von dessen Fahrverhalten. Der Kläger hat seine Berufung daraufhin zurückgenommen. Kamera speichert nur bei Erschütterung Ein wichtiges Argument pro Dashcam war, dass die Kameras in den Lkw von Fischer Transport die gefilmten Aufnahmen nicht permanent speichern, sondern nur bei starken Erschütterungen etwa durch Bremsmanöver aufzeichnen. "Sie läuft bei uns zwar ständig mit, dokumentiert aber nur Sequenzen 20 Sekunden vor und 10 Sekunden nach dem auslösenden Ereignis", erklärt Junior-Chef Matthias Fischer. Dafür müsse man praktisch schon in den Gurten hängen. Für die Spedition Anton Fischer Transport hat sich die Hartnäckigkeit im Gerichtsverfahren sprichwörtlich ausgezahlt. Mithilfe der Dashcam-Bilder konnte sie die zu Unrecht eingeklagten Schadenersatzansprüche des Autofahrers über rund 15.000 Euro abwehren. Außerdem übernahm dessen Kfz-Versicherung den Sachschaden am Lkw in Höhe von rund 8400 Euro zahlt. Doch nicht nur wegen des jüngsten Rechtsstreits hat sich die Ausrüstung des Fuhrparks inzwischen längst rentiert. 2013 hatte die Spedition Fischer Transport jeden Lkw mit einem rund 250 Euro teuren Gerät ausgestattet. Vorgeschlagen hatte dies damals der Versicherungsmakler des Betriebs, der für die Zusatzausstattung günstigere Konditionen bei der Kfz-Police aushandeln konnte. Seither schickt Matthias Fischer bei Schäden am Lkw standardmäßig die Dashcam-Bilder mit an die Versicherung. "Mindestens einmal im Jahr sind wir froh, dass wir dieses Beweismittel haben", berichtet er. Die Investition habe sich längst amortisiert. Andere Gerichte könnten folgen Zwar gibt die Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg keine endgültige Rechtssicherheit beim Einsatz von Dashcams im Lkw. Denn die bisherigen Entscheidungen diesbezüglich sind widersprüchlich. Aktuell ist der Fischer-Fall aber die bedeutsamste Rechtsprechung zu diesem Thema. Amts- und Landgerichten liefert sie zumindest Anhaltspunkte, unter welchen Umständen auch andere Fuhrunternehmen auf die Bilder der Minikameras als Unfallbeweismittel vertrauen dürfen. Unter Experten ist umstritten, in welche Richtung sich die Rechtsprechung entwickelt. Datenschutz und Persönlichkeitsrechte gewinnen zwar an Bedeutung, aber vieles spricht auch für die Kameras. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Verkehrsrecht www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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