Prognose: Heißer August

Prognose: Heißer AugustDer kommende Monat verspricht spannend zu werden: Streiks der Lokomotivführer bei der Bahn stehen ins Haus – und die Transportwirtschaft muss mit massiven Verspätungen rechnen.Die Zeichen stehen auf Streik in der Tarifauseinandersetzung zwischen Deutscher Bahn AG (DB) und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit Sitz in Frankfurt: Die vorerst letzten Einigungsversuche zwischen den Parteien waren bei Verhandlungen am 19. Juli in Berlin nach nur dreistündiger Sitzung gescheitert. Die Verantwortung dafür schieben sich die Verhandlungspartner gegenseitig in die Schuhe (siehe Kasten). „Mit völligem Unverständnis mussten wir die Forderung der GDL nach mindestens 31 Prozent Lohnerhöhung zur Kenntnis nehmen“, sagte Margret Suckale, Personalvorstand bei der DB AG. „Die Gewerkschaft hat keinerlei Kompromissbereitschaft gezeigt.“ Dagegen moniert Gerda Seibert, Pressesprecherin der GDL, dass es „weder beim Entgelt noch bei der Arbeitszeit-regelung Bewegung gegeben habe“.Für den Fall, dass die Verhandlungen scheitern, hatten die zuständigen Gremien der GDL schon vorab eine Urabstimmung unter ihren Mitgliedern beschlossen. Deren Ergebnis erwartet die Gewerkschaftsführung am 3. oder 6. August – und danach, so GDL-Pressesprecherin Seibert, „wird es zur Sache gehen“. Wie die Streiks aussehen werden, will die GDL nicht preisgeben. Allerdings sollen sie „flächendeckend stattfinden“ und so-wohl Nah- und Fernverkehr als auch den Güterverkehr betreffen.Hohes DrohpotenzialAuch über die Länge der geplanten Akti-onen schweigt sich die Lokführergewerkschaft aus. Anders als Warnstreiks können Streiks nach Urabstimmungen auch über Tage oder Wochen dauern. Man werde jeweils 24 Stunden vorher ankündigen, wenn gestreikt werde, erklärt Gerda Seibert. „Wenn es Schwerpunkte geben sollte, werden wir das dann auch sagen.“ Das Drohpotenzial scheint immens: Zwar vertritt die GDL nur rund 60 Prozent der rund 20.000 Lokomotivführer bei der Deutschen Bahn – ein Großteil der übrigen Lokomotivführer hat noch Beamtenstatus. Doch strategisch geschickt eingesetzt können diese für massive Probleme sorgen. „Im Extremfall können die Lokführer die Logistik im erheblichen Umfang lahmlegen“, meint denn auch Heiner Rogge, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbands (DSLV).Einen Vorgeschmack ihrer Möglichkeiten haben die Mitglieder der GDL bereits in zwei jeweils auf wenige Stunden limitierten Warnstreiks in der ersten Julihälfte gegeben – damals teilweise mit ihren Kollegen der Gewerkschaften Transnet und GDBA, die sich inzwischen mit der Bahn auf einen Tarifvertrag geeinigt haben. Im Nah- und Regionalverkehr brach Chaos aus, zahllose Fernverkehrszüge sammelten massive Verspätung ein – und auch beim Gütertransport kam es zu Ausfällen und Verspätungen. Belastbare Zahlen hat die Bahn nach Angaben der Pressestelle von DB Logistics noch nicht erhoben. Auch die GDL schweigt sich dazu aus. Doch Operateure und Speditionen haben die Folgen der Streiks zu spüren bekommen: „Von unseren Gütern sind an den Streiktagen 20 bis 25 Prozent einfach stehen geblieben“, erläutert Heinrich Wehning, der bei der Rinnen GmbH & Co. KG Internationale Spedition in Moers die Bahntransporte disponiert. Verspätungen und abgesagte ZügeAuf der Strecke Dortmund-Leipzig sind an einem der Streiktage ganze Züge ausgesetzt worden, zwischen Köln und Mailand operierten nur drei statt der gewöhnlich fünf Züge. Kombiverkehr in Frankfurt hatte nach eigenen Angaben zwar mit „keinen nennenswerten Folgen“ zu kämpfen. Allerdings meldete das Unternehmen auf seiner Website den Ausfall von Zügen auf der Relation Stuttgart-Bremen. Diese „Auslegungen“ waren auf die Entscheidung eines Verladers zurückzuführen, seine Ware sicherheitshalber auf der Straße transportieren zu lassen. Bei der Intercontainer Austria GesmbH sammelten an den zwei Streiktagen 19 Züge durchschnittlich 3,5 Stunden Verspätung an. Ein Zug auf der Relation Wels-Rotterdam kam erst vier Tage nach Fahrplan an, zwei Züge wurden auf Initiative des Verladers ausgelegt. So genaue Zahlen kann Alessandro Valenti, Mitglied der Geschäftsführung des europaweit tätigen Operateurs Hupac S.A. mit Sitz in Chiasso in der Schweiz, zwar nicht nennen. Doch das Hupac-Angebot hatte einige Verspätungen und einige kurzfristig von den Bahnen abgesagte Züge zu verzeichnen. Probleme gab es vor allem auf den Relationen zwischen Benelux, Holland und Skandinavien auf der einen Seite und Italien auf der anderen Seite. Dabei ist dem Unternehmen an den Streiktagen „grob geschätzt ein Transportvolumen von 15 Prozent verloren gegangen“, meint Alessandro Valenti.Die Möglichkeiten für Speditionen, auf die Streiks zu reagieren, blieben begrenzt: „Die Bahnstreiks haben ja Gott sei dank nicht so lang gedauert“, meint denn auch Heiner Rogge vom DSLV. „Doch angesichts der Kapazitätsengpässe war es schwierig genug, das durchzustehen.“ So kam die Suche nach alternativen Verkehrsträgern für die Spedition Rinnen gar nicht in Frage. Für die heizgeführten Güter aus der Chemieindustrie, die Rinnen mit großteils über 200 Grad transportiert, „finden Sie auf der Straße ja auch keinen ausreichenden Frachtraum“, betont Heinrich Wehning.Im Ernstfall gehen die Läger überÄhnlich stellt sich die Situation für Armin Rein, Geschäftsführer der Rein-Spedition in Saarlouis dar, die täglich fünf Ganzzüge mit Ford-Fahrzeugen auf die Schiene bringt. Zwar sei man von den Warnstreiks nur in Form von Verzögerungen im Stundenbereich betroffen gewesen. Doch im Ernstfall „gehen binnen Tagen die Läger über, weil man auf der Straße ja auch keinen Frachtraum bekommt und das Binnenschiff keine Alternative ist.“ Operateure im Kombinierten Verkehr (KV) hatten sich strategischer auf die Streiks vorbereitet: Bereits im Voraus bildete Kombiverkehr mit Intermodal DB Logistics einen Krisenstab. Dabei konnte Kombiverkehr Züge mit Dringlichkeit definieren, um eine wesentliche Verspätung dieser Züge mit zeitkritischen Liefe-rungen durch den Streik zu verhindern. Auch Hupac hat bereits im Vorfeld der Streiks an einem Worst-Case-Szenario gearbeitet. „Man hat wenige Möglichkeiten“, erläutert Alessandro Valenti. „Doch wenn man kreativ ist, findet man Alternativen.“ So hat das Unternehmen präventiv Kapazitäten der Rheinschifffahrt gemietet, um im Ernstfall das Äquivalent von drei Zügen von Rotterdam nach Basel transportieren zu können. Mit täglich zwei Rundschreiben wurden die Kunden über die Folgen der Streiks informiert, die routinemäßig rund um die Uhr besetzte Informationsstelle tat ein Übriges. Auf der Informationsschiene hat auch Intercontainer Austria seine Möglichkeiten gesehen. Allerdings wäre hier mehr nötig gewesen, weiß Hermann Ungersbäck, Geschäftsführer von Intercontainer Austria: „Wir haben im Hinblick auf das, was die Kunden erwarten können, zu wenig gebracht“, räumt er ein. „Aber wir waren auf die Informationen der Bahn angewiesen – und die konnte vieles auch nicht wissen.“Weniger Probleme als befürchtetInsgesamt fielen die durch die Warn-streiks entstandenen Probleme geringer aus als befürchtet: Obwohl an einem der Streiktage ein Schwerpunkt im Bereich Güterverkehr in Nürnberg lag, „haben wir keine durch den Streik bedingten Veränderungen erkennen können“, meint Harald Leupold, Geschäftsführer der als Eisenbahninfrastrukturbetrieb und Terminalbetreiber direkt betroffenen Hafen Nürnberg-Roth GmbH. Bei Operateuren, Speditionen und anderen Verkehrsträgern halten sich die Klagen in Grenzen. „Bisher hatte die Bahn im Tagesgeschäft ohne Warnstreiks mehr Probleme als mit Warnstreiks“, meint Roland Klein, Geschäftsführer der KTL Kombi-Terminal Ludwigshafen GmbH. „Dass Lokführer fehlen, ist ja für uns nichts Neues.“Die durch Streiks entstehenden Kosten für Verspätungen, Umleitungen und Ausfälle wird das Transportgewerbe aller Erfahrung nach selbst tragen müssen: Die Bahn beruft sich bei Streiks auf „höhere Gewalt“ und entzieht sich damit der Haftung (siehe Interview). Dies wird auch von den Vertretern der Spediteure nicht in Frage gestellt: „In der Regel bleibt man auf den Kosten sitzen“, meint DSLV-Hauptgeschäftsführer Rogge. „Zwar hängt es im Einzelfall von den vertraglichen Regelungen mit dem Kunden ab, doch ich kenne keine Vertragsgestaltung, die eine Absicherung von Streiks beinhaltet.“ Auch Heinrich Wehning von Rinnen macht sich keine Illusionen. „Die Kosten für die Heizung und die Miete der Transportbehälter bekommen wir nie wieder“, erläutert er. „Die Kombiverkehr hat Kulanz strikt abgelehnt.“ Flexible Regelungen signalisieren Hupac und Intercontainer Austria ihren Kunden – und setzen darauf, dass sie ihrerseits bei den nächsten Verhandlungen Zugeständnisse erwirken können.Für die anstehenden Streiks im August werden Operateure und Speditionen vielfach auf ihre bereits im Juni erprobten Krisenpläne zurückgreifen. „Die Warnstreiks waren für uns ein Lernprozess“, erläutert Hermann Ungersbäck von Intercontainer Austria. „Wir wollen den Informationsfluss erhöhen.“ Eine ähnliche Strategie verfolgt auch Roland Klein von KTL: „Man muss kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren.“ Bei Rinnen wird nach Angaben von Hermann Wehning derzeit geprüft, „ob es möglich ist, mit anderen Bahngesellschaften zu fahren“. So würde sich nach Mailand eine Verbindung über Lille anbieten, erläutert Heinrich Wehning. Ansonsten „lassen wir es erst einmal darauf ankommen“. Auch Alessandro Valenti, bei Hupac in der Geschäftsführung für unbegleitete Verkehre zuständig, sieht die unmittelbaren Auswirkungen solcher Streiks eher gelassen. Aber „was mir Sorgen macht, ist, was der Markt denken könnte im Hinblick auf die Zuverlässigkeit der Schiene“. ❙❚■ Florian Beck, freier Journalist„Uns ist grob geschätzt ein Transportvolumen von 15 Prozent verloren gegangen“ Alessandro Valenti, Mitglied der Geschäftsführung Hupac S. A.Worum geht es eigentlich?Die Situation scheint verfahren: Ergebnislos ist die letzte Verhandlungsrunde zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der Bahn um einen neuen Tarifvertrag für die rund 34.000 Mitglieder der GDL (Lokomotivführer und Zugbegleiter) zu Ende gegangen. Auf den ersten Blick sind die Verhandlungen gescheitert an der unüberbrückbaren Differenz zwischen den Forderungen der Gewerkschaft nach 31 Prozent mehr Lohn und dem Angebot der Bahn, den GDL-Mitgliedern wie den Mitgliedern der Ge-werkschaften Transnet und GDBA 4,5 Prozent mehr zu zahlen. Auf den zweiten Blick geht es wohl nicht nur um mehr oder weniger substanzielle Lohnerhöhungen: Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer unter ihrem Vorsitzenden Manfred Schell kämpft mit den Bahngewerkschaften Transnet und GDBA um die Rolle als wichtigster Vertreter des Fahrpersonals der Bahn. Die Deutsche Bahn AG andererseits will nicht mehrere Tarifverträge in ihrem Verantwortungsbereich abschließen. „Wir lassen nicht zu, dass eine Gewerkschaft versucht, unsere Belegschaft in Mitarbeiter erster und zweiter Klasse zu spalten“, meint dazu Margret Suckale, Personalvorstand der Deutschen Bahn. Außerdem will die Bahn wohl auch ein Szenario wie bei der Lufthansa vermeiden, wo die in der Vereinigung Cockpit organisierten Piloten in Verhandlungen ihre Schlüsselposition im Betrieb ausspielen können. „Es ist erstrebenswert, im Tarifverbund zu operieren“, meint dazu Heiner Rogge, Hauptgeschäftsführer des DSLV, „damit nicht kleine Gruppen das System lahmlegen.“ Einen schnellen Ausweg aus dieser verzwickten Situation zu finden, wird schwer werden. Das macht Streiks umso wahrscheinlicher – obwohl GDL-Chef Schell betont hat, er sei bis zum Ende der Urabstimmung für Angebote seitens der Deutschen Bahn AG offen. fbChecklisteThomas Kaspar von der Unternehmensberatung TransCare in Wiesbaden gibt Tipps für Spediteure und Transportunternehmer.Was der Spediteur als Bahnverlader tun kann:Eigene Lizenz als Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) erwerbenChartern von Triebfahrzeugen bei privaten oder ausländischen EVU, evtl. inkl. WaggonsBinnenschiff zu Grenzkosten nutzen (besonders in Süd-Nord-Richtung Kapazitäten vorhanden)Zeitunkritische Aufträge schiebenAuf Angebote privater EVU zurückgreifenKonventionelle Transporte auf Kombinierten Verkehr umstellenKurzfristige Verlagerung von Transporten auf die StraßeWas der Straßentransporteur tun kann:Wenn Kapazitäten vorhanden: Weitere Aufträge zu Grenzkosten annehmenWenn Kapazitäten begrenzt sind: „Milkruns“ und Direktverkehre bündeln, maximal möglichen Marktpreis abschöpfenKurzfristig Transporte per LKW durchführen. Geschieht dies erfolgreich und zuverlässig, kann der Verkehr langfristig für die Straße gewonnen werdenBahnstreik: So kann das Transportgewerbe reagieren„Bisher hatte die Bahn im Tagesgeschäft ohne Streiks mehr Probleme als mit“ Roland Klein, Geschäftsführer KTL GmbHFordert 31 Prozent mehr Lohn: GDL-Gewerkschaftschef Manfred SchellIst die Bahn bei Streiks haftbar? Andreas Albrecht, Rechtsanwalt der bundesweit agierenden Kanzlei „Brennecke & Partner“ hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Bahn für Streikfolgen haftbar gemacht werden kann. Er sieht geringe Chancen.Herr Albrecht, kann die Bahn für die durch die Verspätungen eingetretenen Schäden in Anspruch genommen werden?Andreas Albrecht: Dies wäre dann der Fall, wenn die Bahn die Verspätungen schuldhaft zu vertreten hätte. Da die Verspätungen allerdings Folgen der Warnstreiks waren, ist zu klären, ob die Bahn sich das Verhalten ihrer Mitarbeiter zurechnen lassen muss oder ob sie sich auf das Vorliegen höherer Gewalt berufen kann und somit von der Haftung frei ist.Aber ein Streik ist doch keine Naturkatastrophe.Bei einem Streik könnte man zwar dahingehend argumentieren, dass der Arbeitgeber, vorliegend also die Bahn, den Streik dadurch hätte verhindern können, dass er den Forderungen seiner Angestellten nach höheren Löhnen nachgeben hätte können. Dies wird nach wohl überwiegender Auffassung in der Literatur abgelehnt. Ein Arbeitgeber muss sich aus Gründen des arbeitskampfrechtlichen Gleichgewichts jedenfalls bei Vorliegen eines rechtmäßigen Streiks das Verhalten seiner Mitarbeiter nicht zurechnen lassen und haftet somit auch nicht für die durch den Streik eingetretenen Schäden. Hätte die Bahn dennoch Vorkehrungen treffen müssen?Da die Streiks der vergangenen Wochen jedenfalls nicht ganz unvorhersehbar waren, wäre zu klären, ob und inwieweit aus Gründen der Schadensminderungspflicht die Bahn Vorkehrungen zur Vermeidung von Schäden hätte treffen müssen, etwa dadurch, dass eine Beförderung per LKW oder Flugzeug veranlasst worden wäre. Ob dies der Bahn zumutbar gewesen wäre, gerade auch im Hinblick auf die kurze zeitliche Dauer des Streiks, kann nur anhand des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden. fb„In der Regelbleibt man auf den Kosten sitzen“ Heiner Rogge, Hauptgeschäftsführer DSLV

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