Privatbahnen auf dem Überholgleis

Wenn vom Schienengüterverkehr die Rede ist, dann denkt man automatisch an DB Cargo. Kein Wunder, sorgt die Tochter des Staatskonzerns doch immer wieder für Schlagzeilen. Zumeist für negative. Dabei sind die Zeiten, in denen DB Cargo eine Monopolstellung innehatte, lange vorbei. Mittlerweile geht jeder zweite gefahrene Tonnenkilometer auf das Konto der NE-Bahnen (nicht bundeseigene Bahnen). Verlader, Spediteure, Reeder und die Operateure haben die Wahl zwischen zahlreichen Anbietern (siehe Grafik Seite 26). Ausländische Staatsbahnen als Anbieter Ob es eine solche Vielfalt wie im allgemeinen Schienengüterverkehr auch im Markt für den Kombinierten Verkehr (KV) gibt, ist nicht bekannt. Marcus Gersinske, Fachbereichsleiter Ressourcenmanagement Eisenbahn im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), sagt jedoch: "Viele der NE-Bahnen bieten auch KV-Verkehre an." Im VDV sind nahezu alle in der Grafik links aufgeführten Bahnunternehmen Mitglied - auch DB Cargo. Allerdings, so richtige Privatbahnen als Konkurrenten von DB Cargo, die sind in der Minderheit. Denn entweder sind die NE-Bahnen im deutschen Markt Töchter ausländischer Staatsbahnen. Beispiele dafür sind die TX Logistik (ehemals eine Privatbahn, mittlerweile im Besitz der italienischen Staatsbahn Trenitalia), die SBB Cargo International (immer schon als Tochter der Schweizer SBB unterwegs) oder Captrain als Tochter der französischen Staatsbahn SNCF. Viele andere "Privatbahnen" befinden sich ganz oder mehrheitlich im Besitz von Bundesländern, Kommunen oder von Häfen, deren Anteilseigner wiederum die öffentliche Hand ist, häufig Kommunen. "Ein Grund, warum private Unternehmen sich zurückhalten, sind die geringen Margen im Schienengüterverkehr", sagt Gersinske. Doch damit nicht genug: Benötigt wird eine hohe Eigenkapitaldecke, da Lokomotiven und Waggons teuer sind. Dann ist entsprechend qualifiziertes Personal notwendig wie Eisenbahnbetriebsleiter, damit Züge fahren können. "Der Vorlauf, um mit dem Güterverkehr auf der Bahn zu starten, ist aufwendig und kompliziert. Das schreckt viele private Unternehmen ab", so die Einschätzung des Bahnfachmanns. Was machen NE-Bahnen besser? Dafür mischen die derzeitigen Anbieter den Markt auf und üben gehörigen Druck aus auf DB Cargo. Was machen die NE-Bahnen dann eigentlich besser als der ehemalige Monopolist, dass sie zunehmend Marktanteile gewinnen? "Eine Rolle spielt sicher die Organisationsgröße. Die NE-Bahnen sind alle deutlich kleiner und können damit schneller und flexibler reagieren auf Marktanforderungen", sagt Gersinske. Tatsächlich ist immer wieder mal aus dem Markt zu hören, dass bei Nachfragen nach Kapazitäten DB Cargo erst spät mit Zugangeboten reagiert und es auch keine direkten Ansprechpartner gibt beziehungsweise diese je nach Anfrage wechseln. Ein Schicksal, das gerade kleinere Unternehmen häufiger ereilt. Nachvollziehbar in einem großen Konzern, in dem A-Kunden den Vorrang genießen. Aber dann fühlen sich Unternehmen mit einem nicht ganz so großen Aufkommen bei kleineren Anbietern natürlich besser aufgehoben. Doch Gersinske liegt es fern, einen Keil zwischen die NE-Bahnen und die DB Cargo zu schieben: "Der Wettbewerber ist der Lkw. Es geht darum, für das System KV mehr Mengen zu gewinnen. Welche Bahn diese Züge letztlich fährt, ist egal." Damit eine solche Verlagerung von der Straße auf die Schiene gelingt, muss die Qualität der Transportleistung auf der Schiene mithalten können mit der auf der Straße. Hier spielt das Thema Pünktlichkeit eine wichtige Rolle. Die wird von den Kunden des KV schon seit Jahren kräftig kritisiert (siehe dazu auch Seite 22). So hat Kombiverkehrs-Geschäftsführer Robert Breuhahn im Juli auf der Gesellschafterversammlung seines Unternehmens die mangelnde Pünktlichkeit der beauftragten Eisenbahnunternehmen dafür verantwortlich gemacht, dass Kombiverkehr 2018 einen Rückgang des Sendungsvolumens im nationalen KV um 3,6 Prozent hinnehmen musste. Nach Aussage von Breuhahn habe die Pünktlichkeitsquote weniger als 70 Prozent betragen. Noch schlechter ist die Pünktlichkeit nach Angaben des Schweizer Kombi-Operateurs Hupac im Alpentransit: Im transalpinen KV via Schweiz über die Achse Chiasso lag die Pünktlichkeit der Züge 2018 bei 54 Prozent, über Luino bei 48 Prozent und über Domodossola sogar nur bei 40 Prozent. Auf allen drei Achsen bedeuteten diese Werte eine Verschlechterung. Mehr Trassen sind notwendig Aus Sicht von Gersinske ist ein wichtiger Stellhebel zur Verbesserung der Pünktlichkeit der Ausbau der Infrastruktur. Darunter versteht er sowohl den Bau neuer Trassen wie auch den Ausbau bestehender Trassen oder die Reaktivierung stillgelegter Strecken. "Wir brauchen diese Gleise, gerade dann, wenn es darum geht, Ausweichmöglichkeiten anzubieten, weil andere Strecken gerade gesperrt oder überlastet sind", sagt der Fachbereichsleiter im VDV. Zudem hält Gersinske den Ausbau von bestehenden Terminals für notwendig. Aber er sieht auch in der Organisation der KV-Terminals Handlungsbedarf. "Hier wird beispielsweise noch viel zu viel mit Papier gearbeitet. Bei der Digitalisierung der Abläufe gibt es sicher noch einen hohen Nachholbedarf", sagt Gersinske. Da sieht er ein Rationalisierungspotenzial, das für zusätzliche Abfertigungskapazitäten in den Terminals sorgen könnte. Die sind auch notwendig, denn die Zeichen im KV stehen eindeutig auf Wachstum. Es gibt da nicht nur die ehrgeizigen Vorgaben beispielsweise der EU, nach denen 30 Prozent der Transporte auf der Straße über eine Entfernung von mehr als 300 Kilometer bereits bis 2030 auf die Schiene oder das Binnenschiff verlagert werden sollten. Das mag man - vorsichtig formuliert - für sehr ambitioniert halten. Aber die Richtung ist klar: mehr Transporte auf Wasser- und Schienenwege, vor allem im KV. Auch die verladende Wirtschaft reagiert. So haben die Unternehmen der chemischen Industrie über ihren Verband VCI gerade ein Positionspapier zur Stärkung des KV verabschiedet. Darin bekennen sie sich eindeutig zum KV und bezeichnen ihn als "Wachstumssegment". Aber auch andere stellen die Weichen Richtung KV. So will die Reederei CMA CGM in Europa den Anteil des Lkw im Hinterlandverkehr der Seehäfen reduzieren. Derzeit beträgt sein Anteil am Modal-Split 52 Prozent. Das Ziel ist die Verringerung auf 30 Prozent. Und auch die Seehäfen arbeiten daran, verstärkt die Schiene im Hinterland zu nutzen. So hat sich Antwerpen zum Ziel gesetzt, den Anteil der Schiene am gesamten Hinterlandverkehr von derzeit acht Prozent (2018) auf 15 Prozent im Jahr 2030 zu verdoppeln - bei steigendem Gesamtumschlagvolumen. Ähnlich die Bestrebungen in Rotterdam. Dort soll der Anteil der Bahn im Containerhinterlandverkehr von 13 Prozent (2015) auf 20 Prozent (2030) zulegen. Da sich zugleich das Gesamtvolumen im Hinterland von 5,3 Millionen TEU (20-Fuß-Container) im Jahr 2015 auf 15 Millionen TEU verdreifachen soll, würde das für die Schiene eine Steigerung der beförderten Container zwischen 2015 und 2030 um 328 Prozent bedeuten. Daran wird deutlich: Auf das System Schiene kommen im KV enorme Herausforderungen zu. Diese zu bewältigen wird eine Bahn nicht in der Lage sein. Da sind alle Akteure auf der Schiene gefragt. cd Mehr zum Thema finden Sie unter #Railcargo verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die Bedeutung der Privatbahnen nimmt stetig zu. Immer mehr von ihnen betätigen sich auch im KV, vor allem im Hinterlandverkehr der Seehäfen. Hier gibt es seitens der Seehäfen und Reedereien sehr ambitionierte Ziele, mehr Güter von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Bahnen suchen händeringend nach Lokführern In diesem Punkt können sich Lkw-Speditionen und Bahnunternehmen die Hand geben: Sie suchen beide verzweifelt nach Menschen, die ihre Fahrzeuge fahren.Güterbahnen bilden vermehrt aus - mit Erfolg"Immerhin, in den letzten Jahren ist es den Eisenbahnunternehmen gelungen, die Vakanzzeit bei Triebfahrzeugführern deutlich zu verringern", sagt VDV-Experte Marcus Gersinske. Als Vakanzzeit wird die Dauer bezeichnet von dem Zeitpunkt an, zu dem eine gewünschte Stellenbesetzung erfolgen sollte, bis zur tatsächlichen Abmeldung bei der Arbeitsvermittlung. Im Januar 2017 hatte die Vakanzzeit 188 Tage betragen. Im August 2019 lag dieser Wert bei nur noch 107 Tagen."Das ist immer noch katastrophal", zeigt sich Gersinske mit dem Zustand nicht zufrieden."Aber es ist ein Zeichen, dass die Bemühungen des Sektors, verstärkt in Ausbildung und Schulung von Triebfahrzeugführern zu investieren, doch erfolgreich sind." Dennoch sei immer noch deutlich zu wenig Personal verfügbar. Auch wenn die Zahl der Triebfahrzeugführer im Schienengüterverkehr weiter steigt: 2016 waren es 29.295, ein Jahr später 30.147 und 2018 kletterte dieser Wert auf 31.634. cd

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