OEM setzen auf Digitalisierung

Limousine oder Kombi? SUV, Mini-SUV oder Crossover? Oder doch besser ein Mini-Van - eventuell sogar ein Van? Welche Motorisierung, welche Ausstattungslinie und welche Extraausstattung? Die explodierende Variantenvielfalt in der Automobilindustrie treibt inzwischen sogar schon manchem Autokäufer am Internet-Konfigurator die Schweißperlen auf die Stirn. Das gilt umso mehr für die Logistiker bei den OEM (Original Equipment Manufacturer), den Zulieferern und den Dienstleistern, die diese Vielfalt in der Belieferung und in der Produktion organisieren müssen. "An Produktionslogistikstandorten, die wir betreiben, bemerken wir bereits einen Anstieg der Teilevielfalt und gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Die Vielfalt nimmt weiter zu, da ein Neuwagen heute einen viel höheren Individualisierungsgrad hat als früher", formuliert es Stephan Allgeier, Vice President Vertical Market Automotive bei der Schenker AG. Die künftigen Herausforderungen Auch bei der Imperial-Tochter Panopa sieht man die hohe Teilevielfalt als Herausforderung. "Dadurch wird die Logistik komplexer, weil eine größere Zahl verschiedener Bauteile just-in-time (JIT) und just-in-sequence (JIS ) an die Montagelinien geliefert werden muss", beschreibt Michael Brandes, Geschäftsbereichsleiter Automotive der Panopa-Gruppe, Duisburg, die Folgen. Brandes nennt auch weitere Effekte: "Vor dem Hintergrund einer steigenden Variantenvielfalt bei den OEM werden die Losgrößen der einzulagernden Teile immer kleiner. Die Menge der zu lagernden Kleinladungsträger (KLT) nimmt daher zu. Das erfordert mehr Platz sowie aufwendigere automatische Lagersysteme." Eine weitere große Herausforderung besteht laut Brandes darin, mit kürzer werdenden Reaktionszeiten die zunehmende Teile-Vielfalt der Lieferanten über lange Strecken JIT und JIS an die Montagelinien zu bringen. "Die Materialversorgungszyklen sind kürzer geworden", bestätigt Torsten Rudolph, geschäftsführender Gesellschafter der Rudolph-Logistik-Gruppe in Baunatal. Das heißt: Die OEM rufen kleinere Mengen eines Teils häufiger ab. "Dadurch hat sich in unserem Geschäft einiges geändert. Der Trend geht weg von der Bevorratung hin zu Cross-Docking-Strukturen", sagt Rudolph. Auf Flächen, auf denen früher gelagert wurde, werden heute Sequenzierungsarbeiten erledigt und Sendungen unterschiedlicher Lieferanten gebündelt. Nicht nur die physischen Prozesse ändern sich. Um die steigende Komplexität zu beherrschen und gleichzeitig die Risiken abnehmender Bestandsreichweiten und anfälligerer Lieferketten gering zu halten, setzen OEM und Zulieferer auf verbesserte IT-Lösungen. "Das was unter den Schlagwörtern 'Big Data' und 'Industrie 4.0' zusammengefasst wird, bringt ein hohes Innovationspotenzial mit sich. Diese technologischen Fortschritte schaffen zusätzliche Transparenz der Lieferketten und somit einen echten Mehrwert", sagt Matthias Braun, Leiter Inbound Logistik Material der Volkswagen Logistics. "Potenzial haben beispielsweise Lösungen für die Visualisierung von Supply Chains und online verfügbare Steuerungsinformationen." "Für Tracking and Tracing bieten die Identifikationstechnologien hohes Innovationspotenzial - sei es mit RFID, GPS oder Bluetooth", ergänzt Brauns für die Fahrzeuglogistik verantwortliche Kollegin Andrea Eck. Auch die Zulieferer sehen die Digitalisierung der Logistikkette als Megatrend. "Durch die zunehmende Nutzung von Transponder, Barcode, RFID oder Sensoren entstehen neue Technologien zur Unterstützung und Sicherstellung der Industrie", sagt Andreas Reutter, Mitglied der Geschäftsleitung des Zentralbereichs Einkauf und Logistik bei Bosch. Reutter sieht Einsatzgebiete in der Datengewinnung, im Transport- und Lagerbereich oder in der Automatisierung. "Warenbewegungen werden in Echtzeit abrufbar und transparent", beschreibt Reutter den Nutzen. Eine Frage der Kooperation Dies betrifft das Geschäftsmodell der Logistikdienstleister in der Werksversorgung im Kern. "Wir müssen die Materialflussketten virtuell abbilden, um sie besser steuern zu können" sagt Panopa-Automotive-Chef Michael Brandes. "Dazu gehören Simulationsmodelle auf der Grundlage der massenhaften Auswertung großer Datenmengen, um daraus Prozesssimulationen ableiten zu können." Ziel müsse es sein, die Bedarfe der OEM genauer vorhersagen zu können. Dazu gehört aber auch eine engere EDI-Vernetzung zwischen OEM, Dienstleister und Lieferant. "Das ist aber eine sensible Angelegenheit, da sich mehrere beteiligte Logistikdienstleister und Lieferanten gegenüber ihrem Wettbewerber ein Stück weit öffnen müssen", erklärt Brandes. Bei DB Schenker spricht man in Anlehnung an den Industrietrend Industrie 4.0 sogar von "Logistik 4.0". " Dabei beschäftigen wir uns beispielsweise mit Wegen, wie in Zukunft Transportmaschinen und Lagertechnik über Computernetze und Daten-Clouds mit anderen Maschinen kommunizieren können", erklärt Allgeier. Der Wunschzettel der OEM Andreas Wellbrock, Vorstand Kontraktlogistik bei der BLG Logistics Group, nennt ein Beispiel, warum die Digitalisierung wichtiger wird. "Innovative Produktionsprozesse führen zu einer stetig transparenteren Verzahnung der Schnittstelle Logistik. Einer unserer großen Kunden baut gerade eine neue Produktionslinie für sein Hauptmodell. Damit wird die Fließgeschwindigkeit der Produktion von 1,5 Metern pro Minute auf 4,5 Meter verdreifacht und die Produktionszeit pro Fahrzeug auf ein Drittel verkürzt. Logistiker und Zulieferer müssen da mithalten", sagt Wellbrock. Variantenvielfalt, höhere Flexibilitätsanforderungen und der Abbau von Teilebeständen in den Automobilfabriken haben dazu geführt, dass die ohnehin nicht niedrigen Anforderungen an die Logistikdienstleister noch mal gestiegen sind. "Mit einem Qualitätsniveau von 98 oder 99 Prozent konnte man sich früher im Wettbewerb absetzen. Inzwischen ist das die Eingangsvoraussetzung", berichtet Torsten Rudolph. Was aber ist den OEM besonders wichtig? "Unsere Dienstleister bringen Flexibilität, Zuverlässigkeit, Wettbewerbs- und Anpassungsfähigkeit mit. Auch die Integrationsfähigkeit in die Konzernsystemlandschaft zur Lieferung von Steuerungsinformationen und die Unterstützung im Zuge der Internationalisierung unserer Verkehre sind von hoher Bedeutung", fasst VW-Logistikmanagerin Andrea Eck zusammen. "Zudem ist die Verankerung nachhaltiger Logistikaktivitäten in den Unternehmenszielen der Dienstleister wichtig", ergänzt Matthias Braun. Auch Bosch-Manager Reutter hat etwas auf seinem Wunschzettel: "Durch die zunehmende Vernetzung, auch im Bereich Logistik, werden sich Unternehmen künftig zunehmend an der Umsetzung von Industriestandards beteiligen und Dienstleister an Plattformen wie zum Beispiel Supply On mitwirken." Die sprunghaft steigenden Anforderungen ihrer Kunden haben bei den Logistikdienstleistern deutliche Spuren hinterlassen. "Wir haben die Personalstärke in den begleitenden Stabsstellen in den letzten Jahren mehr als verdoppelt", sagt Torsten Rudolph. Neben Mitarbeitern mit hohen Prozessund Ingenieur-Know-how kamen auch Rechtsexperten hinzu. Grund: Die steigenden Risiken der automobilen Lieferketten finden auch in Logistikverträgen ihren Niederschlag. Jeder Dienstleister muss genau prüfen, welche Risiken er übernehmen will und kann. Zu diesen Risiken zählen nicht nur eine höhere Haftung, sondern auch der Wunsch nach steigender Variabilisierung der Vergütung. Solche Vergütungsmodelle sind insbesondere für den Dienstleister gefährlich, wenn er hohe Fixkosten decken muss, etwa weil er für seinen Kunden eine Logistikimmobilie betreibt. Bei niedriger Beschäftigung durch Auftragsrückgänge können hohe Verluste anfallen. Dienstleister treiben Innovationen Auch BLG Logistics hat in Personal investiert. "Wir haben Projektteams und spezialisierte Prozessingenieure, deren Fokus auf der Entwicklung und Verschlankung von Prozessen liegt. Standardisierung und Industrialisierung sind eine Basis für Innovation", sagt Wellbrock. Bei DB Schenker versucht man, einer chronischen Schwäche der Logistikdienstleister entgegenzuwirken und eigene Forschung und Entwicklung zu betreiben. "Wir haben Anfang dieses Jahres das "DB Schenker Enterprise Lab for Logistics and Digitization" am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund eingerichtet. Gearbeitet wird dort an innovativen Logistiklösungen und Prozessinnovationen, die die fortschreitende Vernetzung in der Maschinenwelt unter dem Schlagwort 'Industrie 4.0' notwendig macht", sagt Stephan Allgeier. Die Serie Erfolg in der Automobillogistik Die Prozesse neu denken und gestalten: Was OEM, Zulieferer und Dienstleister nun tun- Was die Herausforderungen treibt, was sich für die Akteure damit ändert- Wie Elflein und Porsche die Eingangsverkehre gemeinsam optimieren- Welche Innovationen in der Logistik anstehen Das sagen die Auftraggeber Gute Chancen für den Mittelstand Haben mittelständische Dienstleister angesichts der Globalisierung und der hohen Anforderungen überhaupt noch eine Chance in der Automobillogistik? Die Antwort fällt bei OEM und Zulieferern eindeutig aus.Andrea Eck (VW): "Mittelständische Logistikdienstleister sind häufig Motoren von Innovationen in der Branche und zeichnen sich durch hohe Flexibilität aus. Sie schaffen damit Wettbewerb und können individuelle Transportanforderungen bedienen. Insgesamt setzen wir auf ein Portfolio von Dienstleistern unterschiedlicher Größe, die unsere Bedingungen in den Ausschreibungen technisch und wirtschaftlich erfüllen."Andreas Reutter (Bosch): Wir setzen auf nachhaltige Geschäftsbeziehungen und gemeinsames weltweites Wachstum mit den besten und innovativsten Logistikdienstleistern, um eine langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu ermöglichen. Dabei sind regionale Platzhirsche (Local Heroes) für uns ebenso wichtig. Durch die Einführung von neuen Konzepten, etwa dem Transport Management Center in den nächsten Jahren, bieten sich für Mittelständler sogar mehr Chancen. Ausgeschriebene Leistungen sind transparenter und skalierbarer, gleichzeitig wird der Einkaufsprozess standardisiert. Ein eigenes überregionales Netz ist keine Zugangsvoraussetzung zu Ausschreibungen mehr." hel

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