München. Die Corona-Krise wird Deutschland nach übereinstimmender Einschätzung führender Ökonomen in eine potenziell sehr schwere Rezession stürzen. Vier bekannte Wirtschaftsforschungsinstitute veröffentlichten am Donnerstag ihre Prognosen, sie erwarten in diesem Jahr sämtlich eine schrumpfende Wirtschaftsleistung. Offen bleibt dabei, wie schwer die Corona-Krise ausfallen wird. Die Spanne der Prognosen reicht von minus 0,1 bis minus 9 Prozent, abhängig vom weltweiten Verlauf der Pandemie in den kommenden Monaten. Ein Hoffnungsschimmer: Die Wirtschaftsforscher erwarten mehrheitlich einen schnellen Aufschwung nach dem Ende der Krise.
Für die nähere Zukunft bedeuten die Prognosen aber, dass die Coronakrise Deutschlands Unternehmen härter treffen könnte als die Finanzkrise 2009. Damals war das Bruttoinlandsprodukt um 5,7 Prozent geschrumpft. Seitdem hat die deutsche Wirtschaft einen lang Aufschwung hingelegt, der sich allerdings schon 2019 stark abgeschwächt hat. Zur Coronakrise kommt die Sorge vor einer neuen Staatsschuldenkrise in Europa. Drohende Staatspleiten hatte die Eurozone in der Folge der globalen Finanzkrise ab 2010 für mehrere Jahre in Atem gehalten.
Unterschiedliche Prognosen, wie stark das Minus ausfällt
Die am wenigsten pessimistische Konjunkturprognose kam vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Demnach könnte das Minus mit mindestens 0,1 Prozent vergleichsweise klein ausfallen. Das sei ein sehr optimistisches Szenario, stellte Institutspräsident Marcel Fratzscher allerdings klar.
Am anderen Ende der Skala steht das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), das einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um fünf bis neun Prozent fürchtet. „Die Entwicklung in diesem Jahr stellt eine krasse Ausnahmesituation dar“, sagte IfW-Prognosechef Stefan Kooths.
In der Mitte bewegen sich das RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung mit minus 0,8 Prozent und das Münchner Ifo-Institut, das zwei Szenarien publizierte: Sofern der Höhepunkt der Pandemie schnell überschritten wird und die Wirtschaft ab Mai wieder in Gang kommt, rechnen die Münchner Ökonomen damit, dass die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 1,5 Prozent schrumpft. Sollte die Pandemie aber länger dauern, halten Ifo-Präsident Clemens Fuest und seine Kollegen ein Minus von sechs Prozent für möglich. „Man kann auch nicht ausschließen, das es deutlich schlimmer wird“, sagte Fuest. „Wir müssen sehen, dass derzeit das Risiko, dass die Staatsschuldenkrise wieder ausbricht, sehr groß ist.“
Maßnahmen der EZB, EU und Bundesregierung sollen helfen
Aktuell helfen nach Einschätzung der Münchner Wirtschaftsforscher die Ankündigungen der EZB, der EU und der Bundesregierung zur Stützung der Wirtschaft. „So lange man auf diesem Weg geht, wird es keine Staatsschuldenkrise geben“, meinte Fuest.
Der Ifo-Präsident steht nicht allein mit seiner Sorge. Die Europäische Zentralbank hatte in der Nacht zu Donnerstag ein Notkaufprogramm für Anleihen in Höhe von 750 Milliarden Euro angekündigt. Stärkere europäische Antworten seien notwendig, etwa europäische Staatsanleihen, forderte DIW-Präsident Fratzscher. „Ziel ist es, dass dieser Schock sich nicht in eine Finanzkrise verwandelt.“ Italien könne der erste Dominostein sein, der kippe. Italien ächzt ohnehin unter einer extrem hohen Schuldenlast.
Darüber hinaus sieht Ifo-Chef Fuest in den USA Warnzeichen mangelnden Vertrauens am Finanzmarkt. Die Unternehmensverschuldung ist seit der Finanzkrise vor zehn Jahren weltweit angestiegen. „Besonders groß ist das Problem in den USA“, sagte Fuest. Dort haben viele Unternehmen Anleihen ausgegeben. „Wir sehen, dass die Anleihen mit schlechteren Ratings nur noch schwer zu handeln sind.“ Die Anschlussfinanzierungen seien schwierig. „Das kann Unternehmen im Extremfall in die Insolvenz treiben“, sagte der Ifo-Präsident.
Hälfte der deutschen Wirtschaft wird hart bis extrem hart getroffen
Auf heimischem Territorium rechnet das Kieler IfW damit, dass etwa die Hälfte der deutschen Wirtschaft hart bis extrem hart getroffen wird. Zu den besonders betroffenen Bereichen mit Rückgängen um 90 Prozent zählten Gastgewerbe, Luftfahrt und die Freizeitwirtschaft im weitesten Sinne. Der Fahrzeugbau könnte die Produktion laut IfW zeitweise um bis zu 70 Prozent einschränken, der Einzelhandel um 40 Prozent. Keine oder geringe Auswirkungen sehen die Kieler Ökonomen in Wohnungswirtschaft, Telekommunikation und öffentlichem Dienst.
Zuvor hatten bereits das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) und der Bundesverband deutscher Banken einen kräftigen Rückgang der Wirtschaftsleistung prognostiziert. Wenn die Corona-Krise überwunden ist, könnte es aber rasch aufwärts gehen. Hier zeigt sich das quasi spiegelverkehrte Bild: Die Ökonomen, die einen sehr starken Einbruch fürchten, hoffen auf einen umso vitaleren Aufschwung. Die Institute, die von einem glimpflichen Verlauf der Pandemie ausgehen, erwarten dafür anschließend auch eine schwächere Belebung. So hält das für dieses Jahr sehr pessismistische Kieler IfW in Kiel 2021 ein rasantes Wachstum von 7,2 bis 10,9 Prozent für möglich. (dpa/ja)