Nutzfahrzeuge vor der Elektrifizierung?

Der gesamte Verkehrsbereich muss ab 2030 emissionsfrei werden. So haben es fast 200 Regierungen im Klimaschutzabkommen von Paris unterzeichnet. Stand heute ist jedoch, dass ab 2030 weitaus drastischere Maßnahmen nötig sind, als dies heute oft kommuniziert wird - vor allem, wenn der Güterverkehr in Deutschland wie prophezeit bis zum genannten Zeitpunkt um rund 40 Prozent wächst. Das steht quasi komplett im Widerspruch zu den Zielen, die man eigentlich erreichen will. Länder wie China haben begonnen den Dieselemissionen den Kampf anzusagen. Zehntausende Lkw werden auf LNG-Antrieb umgerüstet. In den ASEAN-Staaten setzt man eher auf CNG. Das ist zwar deutlich sauberer als Diesel, langfristig aber keine wirkliche Lösung, denn auch Erdgas verursacht CO2-Emissionen, wenn auch weniger als Diesel. Zwar denkt China über den Einsatz von Biogas nach, langfristig ist dessen Verwendung im stationären Bereich sinnvoller, weil der Verbrennungsmotor einen zu schlechten Wirkungsgrad hat. Die jüngsten Erfolge bei der Hybridisierung von schweren Lkw zeigen deutlich, dass man verkehrsbedingt einen hohen Teillastanteil hat - sonst würde eine Hybridisierung keine Verbesserung bringen. In manchen Fahrprofilen sind 20 Prozent Kraftstoffersparnis möglich, im städtischen Lieferverkehr sogar bis zu 30 Prozent. Auf dem Weg zur völligen Emissionsfreiheit ist dies ein wichtiger Beitrag. Doch das Ziel muss Nullemission sein. Leider ist die Elektrifizierung der Pkw-Flotte nicht 1:1 auf schwere Lkw und Überlandbusse übertragbar. Auch wenn Tesla ankündigt einen vollelektrischen Truck mit bis zu 1000 km Reichweite vorstellen zu wollen, so steht das Batteriegewicht aktuell in keinem sinnvollen Verhältnis zur Nutzlast. Eine Batterie für eine solche Reichweite läge im Gewichtsbereich zwischen vier und sechs Tonnen. Ein von BYD in China gebauter elektrischer Fernreisebus hat etwa 400 km Reichweite und knapp über drei Tonnen Batterien an Bord. Will man die Belastung der Straßen nicht weiter erhöhen, muss dies von der Nutzlast abgezogen werden. Alternativ könnten Schnellladepunkte die Batteriegrößen reduzieren, hier wären aber massive Investments in eine flächendeckende Schnellladeinfrastruktur von mindestens 350 kW pro Ladepunkt nötig. Trotzdem muss auch der Lkw elektrisch werden. Daher wird an verschiedensten Konzepten der Realisierung gearbeitet. Bekanntestes Beispiel ist sicher der Oberleitungs-Lkw von Siemens. Damit kann der Lkw auf der Langstrecke mit Strom versorgt werden und nebenbei die Batterien aufladen, mit denen er dann abseits der Oberleitung bis zu 100 km fahren kann. Während der Lkw am Kabel hängt, kann er faktisch komplett automatisiert fahren und zu energiesparenden Konvois zusammengekoppelt werden. Im Grunde braucht es nicht einmal einen Fahrer. Der könnte das Fahrzeug nahe dem Zielort übernehmen. Natürlich gibt es auch andere Konzepte, bei denen beispielsweise der Auflieger für einige Stunden am Rastplatz zur Stromaufnahme ruht und der Fahrer derweil einen anderen Auflieger weiterbefördert. Dies würde zwar den Logistikaufwand erhöhen, in Zeiten der Digitalisierung stellt dies aber das geringere Problem dar. Eine weitere Alternative stellt die Brennstoffzelle dar - im Bus bereits hundertfach erprobt, Städte wie Hamburg oder London bereiten bereits die Wasserstoff-Infrastrukturen. In Kalifornien hat sich ein erster Hersteller von Brennstoffzellen-Trucks mit über 1000 Kilometern Reichweite am Markt platziert. Japan baut derzeit rund 100 Wasserstofftankstellen im Raum Tokyo auf, rund 20.000 Brennstoffzellenfahrzeuge und mehrere Hundert Brennstoffzellenbusse sollen bei den olympischen Spielen 2020 für den Transport von Sportlern und Offiziellen sorgen. Japan geht den Weg in Richtung Wasserstoff sehr konsequent und strategisch. Das Geheimnis für den Erfolg der Brennstoffzellentechnologie im Lkw liegt seltsamerweise im Pkw. Nur weil Toyota an die 10.000 Brennstoffzellen Pkw auf die Straße bringt, sinken die Systemkosten so deutlich, dass auch der Einsatz im Bus oder Lkw wirtschaftlich wird. Dabei ist das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft. Wasserstoff wird bei 700 bar in Drucktanks an Bord der Fahrzeuge gespeichert. Mit ausreichend Tanks lassen sich 1000 Kilometer Reichweite realisieren, wobei die Betankung in 15 Minuten erfolgen kann. Es gibt aber noch andere Speicheroptionen. BMW hatte für den Einsatz im Pkw den Flüssigwasserstofftank weiterentwickelt, zum sogenannten Kryo-Druck-Speicher. Dieser Tank kann mit Flüssigwasserstoff betankt werden und erlaubt aber parallel einen gewissen Druckanstieg im Tank, sollte durch Standzeiten ein Wärmeeintrag erfolgen. Diese Technologie ist für den Lkw ideal, analog zu LNG wird der Kraftstoff flüssig betankt. Flüssiger Wasserstoff besitzt eine noch höhere Energiedichte als Benzin oder Diesel. Vermutlich wären 1500 bis 2000 Kilometer elektrischer Reichweite möglich. Die Kosten für Wasserstoff liegen heute an der Tankstelle etwa gleichauf mit Diesel, allerdings noch ohne Steuern. Auch für leichte Nutzfahrzeuge existieren all diese Antriebsoptionen. Deren Elektrifizierung ist eine der dringendsten Aufgaben, denn dank wachsendem Online-Handel steigt der innerstädtische Verteilerverkehr immer weiter. Der hat einen immensen Anteil an Lärm- und Stickoxidemissionen in den Städten. Gleichzeitig sind die Routen oft vorherseh- und damit planbar - etwa bei Flotten, die Fahrzeuge mit unterschiedlichen Batteriegrößen intelligent mischen. Da die Batterie der wesentliche Kostentreiber ist, macht sich jede kWh Batterie weniger in der Gesamtkostenbetrachtung positiv bemerkbar, ohne dass dies eine Einschränkung im Nutzwert des Fahrzeugs bedeutet. Die deutsche Post hat es erfolgreich vorgemacht, mangels am Markt verfügbarer Fahrzeuge hat sie Initiative gezeigt und erfolgreich ein eigenes Fahrzeug entwickelt: den Streetscooter. Ursprünglich für den Eigenbedarf entwickelt, mutiert die Post nun zum Fahrzeughersteller. Bleibt zu hoffen, dass überregionale Speditionen dem Beispiel folgen und auch Initiativen entwickeln. Im Bereich der Zwölf-Tonnen-Lkw gibt es bereits vielversprechende Entwicklungen. Wenn die Städte mitziehen und dem sauberen und leisen Lieferverkehr Privilegien zugestehen, werden sich erste Nischenmärkte ergeben. Das Ziel ist klar. Der gesamte Transportsektor muss klimaneutral werden, zunächst einmal zumindest im Betrieb. Hier bleibt kaum Spielraum für Verbrennungsmotoren - auch wenn Biokraftstoffe und synthetische Kraftstoffe dem Verbrennungsmotor eine Gnadenfrist ermöglichen könnten. Die klar bessere Alternative ist aber natürlich die Elektrifizierung. Die Effizienz, die Langlebigkeit und die komplette Wartungsfreiheit des Elektromotors sowie des kompletten elektrischen Antriebsstrangs bieten so viele Vorteile, dass der Verbrenner kaum eine Chance hat. Gefragt ist jetzt der Gesetzgeber, idealerweise die EU, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass sich alternative Lösungen am Markt etablieren können. Dazu bedarf es dringend - analog zum Pkw - einer Gesetzgebung, welche die Emissionen schrittweise und planbar absenkt. Alle fünf Jahre um 20 Prozent, sodass wir um 2050 die Nullemission erreicht haben. Wie und womit der Lkw dann fährt, sollte offenbleiben. Hier sollten alle Technologien am Markt konkurrieren. Dass der finale Lkw dann einen Elektromotor besitzt, ist allerdings sehr wahrscheinlich. TÜV SÜD Ansprechpartner TÜV SÜD AG, Volker Blandow, Global Head of E-Mobility Tel.: +49 (0)8 00 88 84 44-0 E-Mail: volker.blandow@tuev-sued.de

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