Nie wieder Leerfahrten

Der Auftrag ist nicht ohne: 400 Tonnen Oliven sollen von Marrakesch nach München transportiert werden - eine verderbliche und stoßempfindliche Ware. Doch die Suche nach einem Dienstleister ist ganz einfach: Der Disponent muss am Bildschirm nur Start- und Zielort des Transports sowie das Gewicht eingeben und Sekunden später bietet die Webseite mehrere Optionen an. Sie schlägt den reinen Straßentransport über Spanien vor oder - als Alternative - eine See-Land-Kombination mit Umschlag in einem italienischen Hafen. Der Clou: Zusätzlich versucht ein Zentralrechner im Hintergrund, die Oliven mit anderen Ladungen zu kombinieren, die auf der gleichen Strecke unterwegs sind. Am Schluss kann der Disponent den Transport per Mausklick buchen, ohne mit einem einzigen Dienstleister Kontakt aufnehmen zu müssen. Einen Transport so einfach planen wie eine Urlaubsreise, über Ländergrenzen und verschiedene Verkehrsträger hinweg? Genauso will das sogenannte I-Cargo-Projekt es möglich machen. 300 Milliarden Euro lassen sich sparen Das Forschungsvorhaben wurde von der Europäischen Union (EU) mit 17 Millionen Euro gefördert und hat jetzt seinen Abschlussbericht vorgelegt. "Das Grundproblem ist, dass die Ressourcen nicht ausgenutzt werden", erklärt Jens Schumacher, Professor an der Fachhochschule Vorarlberg, eine von 29 Organisationen, die an dem Projekt beteiligt sind. Tatsächlich gibt es reichlich Raum für Verbesserungen: 20 Prozent aller Lkw innerhalb der EU sind leer unterwegs und selbst der Rest ist im Schnitt nur zu 50 Prozent ausgelastet. Bis zu 300 Milliarden Euro ließen sich pro Jahr einsparen, wenn Transportkapazitäten besser ausgelastet wären, rechnen die Macher von I-Cargo vor. Neu ist die Idee, dass Dienstleister bei der Routenplanung zusammenarbeiten, nicht, schließlich versuchen Frachtenbörsen und Kooperationen seit Langem, für weniger Luft im Lkw zu sorgen. Doch diese Vorstöße haben einen Haken: "Die Systeme sind nicht offen", so Professor Schumacher. Oft handele es sich um Inseln, die nur auf einen bestimmten Markt beschränkt seien und keine Tür-zu-Tür-Lösung anböten. Tatsächlich existiert in der Transportbranche kein Routenplanungswerkzeug, das über Verkehrsträger und Anbieter hinweg funktioniert. Ein Grund dafür ist, dass zahllose Formate zum Datenaustausch verwendet werden. Schiene, Straße, Binnen-, Seeschiff oder Luftfracht - jeder spricht seine eigene digitale Sprache. Hinzu kommt, dass Dienstleister häufig proprietäre Formate verwenden. Hier will das I-Cargo-Projekt ansetzen: Es hat einen einheitlichen und offenen IT-Standard entwickelt, den alle Beteiligten nutzen können - Frachtführer, Spediteure und Verlader. "Ziel ist außerdem, das Gesamtnetzwerk zu optimieren", erklärt Florian Krietsch vom Planungsspezialisten PTV. Die Macher von I-Cargo wollen also nicht nur dabei helfen, möglichst viele Alternativen für den Transport von A nach B zu finden. Ein zentraler Planungsalgorithmus soll zusätzlich dafür sorgen, dass die verwendeten Transportmittel auch optimal ausgelastet sind. Eine Mammutaufgabe. Dass sie zu bewältigen ist, hat I-Cargo in Pilotversuchen gezeigt. Ein Beispiel: Zusammen mit dem Logistikprovider Intellitrans wurde eine Routensuchmaschine für den Transport von Holzprodukten von Skandinavien nach Kontinentaleuropa aufgebaut - mit detaillierten Angaben zu CO2-Ausstoß, Kosten und der Möglichkeit, direkt in der Bildschirmmaske die Leistung beim jeweiligen Dienstleister zu buchen. Fazit des Tests: Ein solches System senkt die Kosten, verbessert die Ökobilanz und reduziert zeitraubende Kontakte zwischen Verlader und Logistikdienstleister. Das Versprechen von I-Cargo klingt also durchaus verlockend. Um den Traum von der eingangs erwähnten Transport-Suchmaschine wahr werden zu lassen, müssen jedoch vor allem die Logistikunternehmen in Vorleistung gehen. Jetzt sind die Dienstleister gefordert Zweierlei ist nötig: Zunächst muss das eigene Leistungsangebot detailliert in einem elektronischen Format beschrieben werden (Fachwort: "Transport Service Description"). Welche Relationen werden bedient? Mit welchem Gerät? Welche Emissionen entstehen dabei? "Die Daten sind oft schon im Netz, aber nicht standardisiert", erklärt Krietsch. In einem zweiten Schritt muss das interne IT-System der Logistikdienstleister mit der I-Cargo-Plattform verbunden werden - schließlich soll der Planungsalgorithmus ja später wissen, auf welchen Transporten noch Kapazitäten frei sind. Experte Krietsch hält den Aufwand der Anbindung für moderat, sofern der Betrieb Daten schon digital erfasst und tauscht (Technische Details: www.i-cargo.eu/content/icargo-white-paper-0). Die Überzeugungsarbeit fehlt noch Die Frage ist: Werden sich die Dienstleister dafür begeistern lassen, derart detaillierte Daten rauszugeben? Schließlich können die Verlader so leichter Angebote vergleichen und den Preisdruck erhöhen. "Andererseits hat der Dienstleister die Chance, seine Auslastung zu verbessern und in Kontakt mit neuen Kunden zu kommen", wendet Professor Schumacher ein. Insgesamt sind die Forscher vom Erfolg ihres Projekts überzeugt. "Der Trend geht zur Standardisierung von Nachrichten und zu mehr Kooperationen", meint Krietsch. Auf lange Sicht werde sich eine zentrale Datendrehscheibe wie I-Cargo durchsetzen. "Allein, weil die Kunden das verlangen", sagt Schumacher. Wie geht es weiter mit dem Projekt? "Wir versuchen, uns von der Forschungsebene möglichst schnell auf die Ebene der industriellen Anwendung zu bewegen", sagt Germán Herrero Carcel, zuständig für den Bereich Transport in der Forschungs- und Innovationsabteilung bei Atos Spanien. Das Unternehmen steht an der Spitze des I-Cargo-Konsortiums und hat in der Pilotphase zur IT-Infrastruktur beigetragen. Die Zugangspunkte zur Plattform seien definiert und Pilotprojekte (siehe Kasten) hätten gezeigt, dass das Konzept funktioniere, so Herrero. Auf der Messe Transport Logistic in München wollen die Beteiligten zeigen, wie eine dienstleisterübergreifende Transportplanung wirtschaftliche Kennzahlen (KPI) verbessern kann. Zu der Frage, wann sich ein System wie I-Cargo etablieren wird, äußern sich die Macher nicht. Hier liegt der Knackpunkt des Projekts: Spezifikationen wurden festgelegt und dazu ungezählte Präsentationen veröffentlicht. Doch Praktiker wissen, dass die eigentliche Aufgabe erst kommt, die Vermarktung. Die Frage ist: Wie bringt man eine kritische Masse von Verladern und Dienstleistern dazu, sich so einer Plattform anzuschließen? Nur wenn alle mitmachen, lassen sich heikle Oliven-Transporte zuverlässig über die Plattform abwickeln. Pilotprojekt MixMoveMatch: Post-It-Erfinder 3M senkt Transportkosten um 35 Prozent - ohne zusätzliche Investitionen Lassen sich Transporte günstiger und umweltschonender abwickeln - allein durch verbesserte Planung? Das ist die Kernfrage hinter dem Forschungsprojekt iCargo. Wie sie sich in der Praxis beantworten lässt, zeigt das Unternehmen 3M. Der Konzern, bekannt durch seine gelben Haftnotizzettel, beliefert seine Kunden bislang direkt. Das Problem: Die Paletten erreichen in den seltensten Fällen die maximale Ladehöhe eines Lkw, es bleibt viel Raum ungenutzt. Diese Verschwendung hat 3M mit einem neuen System namens MixMoveMatch beendet.Das Prinzip: 3M stellt die Kundenpaletten nicht im Werk zusammen, sondern lässt die Einzelkartons zunächst zu einem nahen Distributionszentrum transportieren. Hier werden sie mit Lieferungen an andere Kunden kombiniert. Das Ergebnis sind komplett gefüllte"Megapaletten". Sie werden auf Lkw verladen, die auf bestimmten Langstrecken verkehren. Erst in einem Logistikzentrum, das möglichst nah am 3M-Kunden liegt, werden die Paletten wieder aufgelöst. Dann kommt der entscheidende Schritt: Sendungen von verschiedenen Verladern (nicht nur von 3M!) werden zusammengefasst und gebündelt ausgeliefert. Der große Vorteil von MixMoveMatch liegt darin, dass keine Investitionen in Fahrzeuge oder Lagerkapazitäten nötig sind. Der einzige zusätzliche Arbeitsschritt ist das zweimalige Verpacken von Paletten. Dem stehen große Einsparungen gegenüber: 3M hat die Auslastung der eigenen Lkw seit dem Start des Projekts verdoppelt, die Transportkosten konnten um bis zu 35 Prozent, die CO2-Emissionen um 50 Prozent gesenkt werden.An dem Pilotprojekt von MixMoveMatch waren die Logistikdienstleister DHL und Gebrüder Weiss beteiligt, es ist mittlerweile auf zehn europäische Länder ausgedehnt worden. Interessant: Die Plattform steht für alle Verlader und Dienstleister offen. Zusätzliche IT-Infrastruktur ist nicht nötig, da die zentrale Planungssoftware in der Cloud läuft (www.mixmovematch.com). cg