Mehr Trailer auf die Bahn

Hans van Doorn bezeichnet sich selbst als Spediteur, der lange Jahre nur ein Verkehrsmittel gekannt hat: den Lkw. Erst im eigenen Unternehmen und jetzt als Kundenbetreuer Deutschland für den holländischen Transportdienstleister Neele Logistics. Bis er jetzt im CTT-Terminal Rotterdam erstmals eine neue Technik im Kombinierten Verkehr (KV) gesehen hat, mit der nichtkranbare Sattelanhänger per Bahn transportiert werden können. "Eine solche Innovation hätte ich bei der Bahn vor zwei Jahren nicht für möglich gehalten", sagt van Doorn. "Die Welt verändert sich", so der Spediteur. Nikrasa: wenig spektakulär Ohne Zweifel ein Lob für die Bahn. Wobei dieses Lob zugleich die Kritik beinhaltet, dass bei der Bahn jahrelang nichts passiert ist. Zumindest nichts Sichtbares für die Spediteure. Ändert sich da gerade Fundamentales? Was van Doorn und seine Kollegen im trimodalen Terminal im Hafen Rotterdam gesehen haben, erscheint zunächst mal wenig spektakulär: Ein Trailer, der auf eine Terminalplattform geschoben wird, in der sich wiederum eine Transportplattform befindet. Ein Reachstacker hebt die Transportplattform an und hievt diese dann mit dem Trailer in den Waggon. Fertig ist die Kiste: So funktioniert die neue Umschlagtechnik Nikrasa. Nikrasa steht für Nicht kranbare Sattelauflieger. Damit wird schon deutlich, wen die Projektpartner von Nikrasa - die Güterbahn TX Logistik, die Bayernhafen-Gruppe und das Logistik-Kompetenz-Zentrum (LKZ) Prien - im Blick haben: die zahlreichen Trailer in Europa, die nicht für den KV geeignet sind, weil ihr Unterbau nicht stabil genug ist, um von einem Kran oder Reachstacker in die Luft gehoben zu werden. "Wir haben in Deutschland maximal 15 Prozent kranbare Sattelauflieger", sagt Thore Arendt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Studiengesellschaft für den Kombinierten Verkehr (SGKV). Bei etwa 300.000 in Deutschland registrierten Trailern gibt es also gut 250.000, die für den KV nicht infrage kommen . Könnte man dieses Potenzial nicht doch KV-fähig machen? Dies haben sich Alexander Ochs und seine Kollegen von der Bayernhafen-Gruppe gefragt. Dabei sollte die herkömmliche Umschlagtechnik mit Kran und Reachstacker nicht geändert werden, um die Investitionen für die Terminalbetreiber nicht in die Höhe zu treiben. Und ihnen war klar: Alleine geht es nicht, dazu müssen Experten und Praktiker mit an den Tisch. Das Motto lautet: Keep it simple Mit TX Logistik konnte man eine Bahn von der Idee überzeugen, mit dem LKZ Prien ein Institut, das Erfahrung im Projektmanagement hat und - nicht ganz unwichtig - über Kontakte zu staatlichen Institutionen verfügt, von denen man sich eine finanzielle Unterstützung erhoffte. Dazu kam das technische Know-how von der Uhly Maschinentechnik. Vor vier Jahren fiel der Startschuss für das Projekt. Auch wenn das Produkt am Ende simpel aussieht, die Herausforderungen waren alles andere als einfach: Zum Beispiel musste die Plattform von den Abmessungen her genau in den Taschenwaggon passen. Zudem sollte sie nicht zu viel wiegen. "Das Gewicht der Plattform spielt zwar für den Spediteur keine Rolle, weil sie ja nicht auf den Lkw kommt und somit das Gesamtgewicht von 44 Tonnen im KV nicht einschränkt", sagt Norbert Rekers, Geschäftsbereichsleiter Business Development bei TX Logistik. Aber zu schwer durfte die Plattform dennoch nicht sein, um nicht das Limit für das Gesamtgewicht des Zuges zu überschreiten. "Die Plattform wiegt etwa 2,4 Tonnen. Da wir derzeit pro Zug in der Regel nicht mehr als fünf Nikrasa-Einheiten mitnehmen, ist das Gewicht für uns kein einschränkender Faktor", so Rekers. Mit Terminalbetreiber und Speditionen hat es nicht nur zahlreiche Gespräche gegeben, sondern auch Tests. "Wir wollten unbedingt vermeiden, dass wir mit einem Produkt in den Markt geht, das im Alltag nicht besteht und dann das Vertrauen der Kunden verliert. An dieser Hürde sind schon viele Innovationen im KV gescheitert", sagt Karl Fischer, Geschäftsführer des LKZ Prien. Deshalb haben die Projektpartner Nikrasa immer wieder den Praktikern vorgestellt. "Wir haben gefragt, was falsch ist an unserem Produkt, und haben dann zahlreiche Antworten bekommen, die wir nicht hören wollten", erzählt Rekers heute mit einem Schmunzeln im Gesicht. Damals sei das jedoch alles andere als amüsant, aber dennoch notwendig und hilfreich gewesen, fügt er hinzu. Nicht ohne Grund hat sich der Startschuss für den Einsatz von Nikrasa immer wieder verschoben, sodass der ursprüngliche Fahrplan mehrmals angepasst werden musste, verbunden mit einem hohen Aufwand. Das meiste Geld hat TX Logistik in Nikrasa investiert. Rekers spricht von einer "siebenstelligen Summe", will jedoch die drei Millionen Euro, die im Markt genannt werden, weder bestätigen noch dementieren. Als Gegenleistung hat TX Logistik von der Bayernhafen-Gruppe, die das Patent an Nikrasa hält, das Recht erhalten, Nikrasa exklusiv zu vermarkten. Auf wie viele Jahre diese Nutzung eingeschränkt ist, wollten die Partner nicht verraten. An der Finanzierung von Nikrasa beteiligt haben sich mit einem sechsstelligen Betrag auch die Länder Bayern und Österreich. Derzeit hat TX Logistik 70 Transportplattformen im Einsatz auf den Routen Padborg-Verona, Verona-Herne und Bettembourg (Luxemburg)-Triest. "Wir lassen für die Kunden die Plattformen produzieren", sagt Rekers. Ein Kunde kann zwar zu Testzwecken Nikrasa ausprobieren. Doch will er langfristig mit nicht KV-fähigen Trailern auf die Schiene, muss er in diese Technik investieren. Zudem muss er auch für eine Rückfracht sorgen, was laut Rekers jedoch generell im KV üblich ist und nichts mit Nikrasa zu tun hat. Der TX-Manager bestätigte gegenüber der VerkehrsRundschau, dass die Kosten für Nikrasa höher seien als der Transport von kranbaren Sattelaufliegern. "Man kann jedoch nicht einen konkreten Betrag nennen, weil je nach Menge, Relation und Dauer der Vereinbarung die Preise zum Teil stark schwanken können", sagt Rekers. Wer sich auf Nikrasa einlässt, hat den Vorteil, dass er jederzeit auf seine Plattform zugreifen kann. Er muss zudem nicht die Mehrkosten eines kranbaren Trailers tragen. Nicht weniger wichtig ist, dass kranbare Auflieger 200 bis 500 Kilogramm schwerer sind. "Das ist für viele Spediteure ein entscheidendes Argument gegen den kranbaren Trailer, vor allem, wenn sie viele Transporte haben, bei denen das Gewicht der limitierende Faktor ist", sagt KV-Experte Arendt. Sicher, im KV kann man 44 Tonnen fahren und dieses Mehrgewicht mehr als wettmachen. Aber im reinen Straßentransport verliert man Nutzlast. Rekers schilderte in Rotterdam vor den holländischen Spediteuren das Beispiel eines großen Kunden, der in den KV einsteigen wollte und in kranbare Sattelauflieger investiert hat. Nach wenigen Monaten hat dieser jedoch entnervt aufgegeben. "Die Trailer waren immer genau dort, wo er sie gerade nicht brauchte", gab Rekers die Begründung des Spediteurs wieder. Zustimmendes Nicken unter den Anwesenden. Mit Nikrasa haben die Spediteure zwar nicht die völlige Flexibilität, weil ja auch die Transportplattform am richtigen Ort sein muss. "Aber ich kann darauf jeden x-beliebigen Trailer stellen", sagt Rekers. Nikrasa ist eine Ergänzung Seit im September die ersten Plattformen nach einem dreimonatigen Test regelmäßig unterwegs sind, gibt es laut Rekers keine Probleme im Betrieb. Mittlerweile können auch Mega-Trailer befördert werden. "Nikrasa wird den KV nicht revolutionieren", sieht er die Technik nüchtern. Andererseits bezeichnet er Nikrasa "als intelligentes, cleveres und marktgerechtes System, das unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöht". Es soll ein "Ergänzungsprodukt" zu der herkömmlichen Umschlagtechnik sein. "Nikrasa dient beispielsweise dazu, die Auslastung eines Zuges von 95 auf 100 Prozent zu bringen." Oder die Zahl der Rundläufe auf einer Strecke zu erhöhen, wenn zusätzliche Nikrasa-Trailer die Lücke schließen, die nötig ist, um einen weiteren Zug wirtschaftlich anbieten zu können, erklärt Rekers. Und wie reagieren die Kunden? "Positiv und interessiert", sagt Rekers. Bob Kamps bestätigt diesen Eindruck. "Wir fahren seit drei Jahren mit TX Logistik Container und Wechselbehälter per Bahn", sagt der Inhaber der Kamps Transport BV in Pijnacker (Niederlande). Zusammen mit der Neele Logistics kann er sich durchaus vorstellen, mehr Güter auf die Bahn zu verlagern. Denn der Fahrermangel, die Wünsche der Kunden und zahlreiche Staus machen den Weg über die Straße von Monat zu Monat beschwerlicher, den er neben dem intermodalen Transport für Sendungen von und nach Süddeutschland nutzt. Allerdings: Die 43 Auflieger in seinem Fuhrpark, die sind allesamt nicht kranbar. Nikrasa wäre eine Lösung, wobei er zu bedenken gibt, dass der Preis dafür im Vergleich zum Straßentransport stimmen muss. Zu den Kunden, die bereits "Ja" zu Nikrasa gesagt haben, zählt die Nagel-Group. Zehn Plattformen setzt das Unternehmen bislang unter anderem auf der Strecke Padborg-Verona ein. "Alle Kühlauflieger sind vorher per Lkw auf diese Strecke gegangen", sagt Monika Kasten, Leiterin Business Development bei Nagel Danmark in Padborg. Doch die Nagel-Group hat sich nicht nur zur Nutzung von Nikrasa verpflichtet. Die Spedition hat seit 2012 auch bei der Entwicklung mitgewirkt und immer wieder Trailer zur Anpassung der Technik bereitgestellt. "Wir haben Nikrasa von Anfang an als ein visionäres Projekt eingeschätzt, von dem auch wir gemeinsam mit unseren Kunden profitieren können", begründet Kasten das Engagement. Der Verzicht auf den Kauf von kranbaren Kühltrailern und deutlich mehr Flexibilität bei der Disposition der Auflieger sind aus ihrer Sicht zwei zentrale Vorteile. Wie sich diese finanziell bemerkbar machen, dazu sagt Kasten nichts. "Das ist noch zu früh", so die Nagel-Managerin. Doch es scheint sich zu lohnen. Denn die Nagel-Group hat bereits beschlossen, in weitere Plattformen zu investieren. Die Chancen von Nikrasa & Co. Ein positiver Schub also für den KV, wenn die Speditionen in die Verlagerung von Transporten von der Straße auf die Schiene investieren. Doch ist das wirklich so? Es gibt nicht wenige Stimmen im Markt, die den Aufbau paralleler Systeme zur herkömmlichen KV-Umschlagtechnik für kontraproduktiv halten. Es werde dann nicht mehr in kranbare Trailer investiert, befürchten die Kritiker. Und die bisherige Technik habe sich etabliert und bewährt, lautet ein weiteres Gegenargument. Nach Ansicht von SGKV-Geschäftsführer Arendt ist nicht auszuschließen, dass ein "Wildwuchs" verschiedener Systeme nebeneinander dazu führt, dass sich die Systeme gegenseitig die Mengen wegnehmen, die sie brauchen, um rentabel zu arbeiten. Auf nationaler Ebene gibt er den Systemen die größten Chancen, die sich am besten in die herkömmliche Umschlagtechnik mit Kran und Reachstacker integrieren. "Anders sieht es auf internationalen Routen aus, wo die Terminaldichte nicht so hoch ist wie in Deutschland", sagt Arendt. Und wer in der Lage sei, dem Spediteur beim Überspringen einer der größten Hürden im KV behilflich zu sein, nämlich der Organisation des Vor- und Nachlaufes, dem könne es gelingen, die Mengen zu akquirieren, die notwendig sind, um die Gewinnschwelle zu erreichen. Eine Vorgabe der Politik, eine bestimmte Technik vorzuschreiben, hält er politisch für kaum durchsetzbar und auch für nicht zielführend. "Denn der limitierende Faktor sind gar nicht mal immer die Trailer, sondern häufig auch die dafür notwendigen Taschenwagen oder die Terminalkapazitäten." Eine finanzielle Förderung beim Kauf von kranbaren Trailern erachtet er jedoch für sinnvoll. Und das Bemühen der KV-Akteure um den Sattelauflieger begrüßt er, da dies ein stark wachsendes Segment sei (siehe Grafik Seite 27). Auch van Doorn kann sich vorstellen, zusammen mit seinem Partner Kamps stärker in den KV einzusteigen. "Nikrasa hat sicher Zukunft", sagt er, nicht zuletzt angesichts des sich abzeichnenden Fahrermangels. Doch müsse es auch wettbewerbsfähig sein, wendet er ein. Der skeptische Blick, den er dabei aufsetzt, verrät, dass das derzeitige Angebot seinen Erwartungen noch nicht ganz entspricht. Und vielleicht schwingt dabei die Hoffnung mit: Wer sich bei der Technik bewegt, der tut dies womöglich auch beim Preis und bei der Leistung. Cargo Beamer: Neue Verbindung über die Alpen Neuer Zug im ersten Halbjahr Der CargoBeamer (CB) hat kranbare und vor allem nicht-kranbare Sattelanhänger als Transporteinheit im Fokus. Bei CB wird der Trailer auf einen Waggonaufsatz geschoben, eine Art Wanne. Die Wanne wird dann automatisch auf den Waggon gezogen. Der Vorteil ist eine sehr schnelle Be- und Entladung.Bislang gibt es jedoch nur im VW-Werk in Wolfsburg eine Anlage, wo diese Technik zum Einsatz kommt."Derzeit fährt drei Mal die Woche eine Wagengruppe von drei bis vier Wagen zwischen Wolfsburg und Beckingen", sagt Juan Nagel, Geschäftsführer CargoBeamer Intermodal Operations. Diese Wagengruppe ist Bestandteil eines Zuges von DB Schenker Rail Automotive zwischen Beckingen (Saarland) und Berlin, bei dem die CB-Wagengruppe in Fallersleben ausgekoppelt beziehungsweise integriert wird. In Wolfsburg gibt es fünf Module auf einer Länge von 100 Metern, davon sind zwei mit CB-Technologie ausgebaut."VW hat jedoch ein Interesse, mehr Transporte mit CargoBeamer abzuwickeln", sagt Nagel. Er rechnet damit, dass VW im nächsten Jahr die Volumina mit CB erhöhen wird und so dann auch ganze Züge abgewickelt werden können.Um den Markteintritt zu erleichtern, will CB noch in diesem Halbjahr drei Mal die Woche einen Ganzzug zwischen Nordrhein-Westfalen und Norditalien anbieten. Es kommen zwar CB-Trailer zum Einsatz, jedoch werden konventionelle Terminals genutzt. Das Besondere an dem Zug laut Nagel und damit der Reiz für Kunden: Es soll der erste Zug sein, der in der Lage ist, vier Meter hohe Sattelauflieger auf der Gotthard-Route zu transportieren. Dieser Zug ist jedoch nur ein Zwischenschritt. Denn bereits im nächsten Jahr sollen in der Nähe der derzeitigen Standorte Terminals mit CB-Umschlagtechnik entstehen und angefahren werden. cd Modalohr dehnt sein Terminalnetzwerk aus Neue Route nach Calais Auch mit der Modalohr-Umschlagtechnik ist es möglich, nicht-kranbare Sattelauflieger zu transportieren. Dazu sind wie bei der Cargo-Beamer-Technik eigens dafür konstruierte Terminals und Waggons notwendig. Lohr-Waggons nutzen Terminals mit in den Boden eingelassenen Umschlagsystemen und werden durch Öffnen der Waggons vom Boden aus seitlich beladen.Seit 2003 ist diese Technik der Lohr Industries im Einsatz. So fahren Züge zwischen Aiton (bei Lyon) und Orbassano (in der Nähe von Turin) sowie zwischen Bettembourg (Luxemburg) und Le Boulou bei Perpignan (Frankreich). Nach Unternehmensangaben haben die Waggons seit 2003 mehr als 10 Millionen Kilometer zurückgelegt und es sind dabei 100.000 Sattelauflieger pro Jahr transportiert worden.Modalohr hat sich zum Ziel gesetzt, ein Netz von Terminals zu errichten. "Wir sind jedoch kein Operator, sondern stellen Terminals und Waggons zur Verfügung", sagt Hervé Morel, Direktor Eisenbahnnetzwerk bei Lohr Industries. Viia, eine Tochter der SNCF Geodis, vermarktet die Züge. "Zwischen Calais und Le Boulou fährt zum Jahresende zwei Mal pro Tag jede Richtung ein weiterer Zug", kündigte Morel gegenüber der VerkehrsRundschau an. Der Zug führt über Bettembourg. Im Blick haben die Betreiber vor allem Auflieger, die über Calais nach Großbritannien und in umgekehrter Richtung unterwegs sind. Im Hafen von Calais wird gerade ein Terminal gebaut. Neben bereits beschlossenen Bauten von Terminals in Frankreich hält Modalohr auch Ausschau nach Standorten in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen."Von dort aus soll es eine Verbindung über die Alpen zu einem Terminal nördlich von Mailand geben", sagt Morel. Wie CargoBeamer, so behauptet auch Morel, dass mit den Modalohr-Zügen der Transport von vier Meter hohen Trailern möglich ist. cd

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