Luftfrachtsicherheit

Luftfrachtsicherheit Sicherheitspaket gegenTerrorpäckchen Wie steht es um die Sicherheit bei Luftfracht? Paketbomben an Bord von Flugzeugen bringen das Thema in die Schlagzeilen und Politiker in Zugzwang. Die Branche fürchtet nun die Konsequenzen. Nicht nur den Sicherheitsverantwortlichen hat die Meldung das Blut in den Adern gefrieren lassen: Terroristen haben es geschafft, als Luftfrachtsendung getarnte Sprengsätze in ein Flugzeug zu bringen. Eine im Jemen bei Fedex aufgegebene Sendung flog sogar im Bauch einer Passagiermaschine. Die zweite bei UPS aufgegebene Sendung wurde in Köln-Bonn umgeladen und flog unbemerkt zum Flughafen East-Midlands in Großbritannien weiter, wo sie erst nach Hinweisen der Geheimdienste sichergestellt wurde. Vier Tage später taucht im Berliner Kanzleramt eine Paketbombe aus Griechenland auf, die ebenfalls per Luftfracht kam. Die jüngsten Vorfälle setzen Politiker unter Zugzwang. Die deutsche Bundesregierung dringt nun auf schärfere Regelungen zur Verbesserung der Luftfrachtkontrolle. Ein Fünf-Punkte-Katalog, den Bundesinnenminister Thomas de Maizière seinen EU-Kollegen am Montag in Brüssel vorgelegt hat, sieht u. a. eine bessere Kontrolle von Luftfracht aus unsicheren Drittstaaten vor sowie ein Raster, mit dessen Hilfe verdächtige Sendungen anhand von Frachtlisten gefiltert werden können. Des Weiteren denkt der CDU-Politiker an schwarze Listen für Flughäfen, die nicht nach westlichen Standards kontrollieren. Der Minister hat zudem die Logistikunternehmen aufgefordert, Kunden die exakte Nachverfolgung ihrer Fracht zu verwehren. „Bisher waren alle davon ausgegangen, dass Frachtgut für Attentatsversuche nicht so gefährdet ist, weil Terroristen nicht wissen konnten, in welchem Flugzeug und auf welchem Weg eine Bombe transportiert würde und wann sie wo ankommt.“ Heute seien die Unternehmen stolz darauf, ihren Kunden jederzeit sagen zu können, wo ihre Fracht gerade ist. Der Fünf-Punkte-Katalog soll Grundlage eines Maßnahmenpaktes sein, dass bis zum nächsten Treffen der EU-Innen- und Verkehrsminister am 2. Dezember geschnürt werden soll. Zumindest in Deutschland sollen bei der Entwicklung höherer Standards auch Vertreter der Wirtschaft eingebunden werden. EU-Maßnahmenpaket Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sowie Wirtschaftsverbände warnten dagegen vor überzogenen Sicherheitsmaßnahmen. Beeinträchtigungen durch neue Kosten und längere Abfertigungszeiten müssten sorgfältig geprüft werden. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hans Heinrich Driftmann, gab zu bedenken, „Störungen bei der Durchführung der Luftfracht führten schnell zu erheblichen Einbußen“. Es sei „wichtig, dass der Luftfrachtverkehr bei allen Sicherheitsanstrengungen jetzt nicht zum Erliegen kommt“. Der Flughafenverband ADV sieht den Vorschlag de Maizieres, Fracht aus Nicht-EU-Staaten beim Umladen an EU-Flughäfen erneut zu überprüfen, kritisch. „Uferlose Nachkontrollen beim Umladen von Frachtgütern müssen vermieden werden. Dies ist mit der zeit- und preissensiblen Luftfrachtbranche nicht vereinbar“, so ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel. Besser sei es, dass die Fracht erst gar nicht nach Europa komme. Er forderte eine Verbesserung der Kontrollprozesse in den unsicheren Herkunftsländern. Eine sichere Lieferkette, so Beisel, beginne mit wirkungsvollen Kontrollen bei der Warenannahme durch die Airline beziehungsweise den Spediteur. Harald Zielinski, Head of Security and Environmental Management Lufthansa Cargo, richtet den Blick ebenfalls auf die Herkunftsländer: „Wir müssen zusammen mit den nationalen und europäischen Sicherheitsbehörden sicherstellen, dass nichts mehr eingeflogen wird, was nicht absolut sicher ist“, fordert Zielinski. „Wir fliegen nur Fracht, von der wir von der ersten Verladung an sicher sind, dass man sie gefahrlos in ein Flugzeug laden kann. Man darf den ersten Streckenabschnitt beim Weg der Fracht nicht ignorieren und der beginnt nun mal gelegentlich in Ländern mit fragwürdigen Sicherheitsbestimmungen.“ Eine generelle Kontrolle von Transferfrachten brächte die Luftfracht zum Erliegen. So viel wie nötig – so wenig wie möglich Das Bundesverkehrsministerium warnte ebenfalls davor, mit übertriebenen Sicherheitsmaßnahmen die internationalen Warenströme einzuschränken. „Unser Ziel ist die höchstmögliche Sicherheit bei möglichst geringer Belastung des Verkehrs- und Warenflusses“, sagte der für Logistik zuständige Staatssekretär Andreas Scheuer (CSU) im „Handelsblatt“. Der Luftfrachtexperte Reinhard Lankes im Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) warnt vor schnellen politischen Entscheidungen: „Erst sollten die Vorkommnisse im Expressbereich untersucht werden. Erst dann lassen sich Schwachstellen beseitigen.“ Bei der Beurteilung der Vorfälle sei es wichtig, den Bereich der Post- und Expressluftfracht vom Frachtgeschäft einer Lufthansa Cargo oder AirFrance KLM zu unterscheiden – Branchenvertreter werden nicht müde, dies zu wiederholen. Beide Bereiche seien gesetzlich anders geregelt und die Lieferkette unterscheide sich grundlegend – ebenso die Geschäftsmodelle. „Die Sicherheitssysteme der Expressdienstleister unterscheiden sich von denen im Frachtbereich“, erklärt ein auf die KEP-Branche spezialisierter Unternehmensberater, der namentlich nicht zitiert werden möchte. Dies gelte vor allem für die Integratoren wie Fedex oder UPS, die große Flotten eigener Frachtflugzeuge betreiben. Sie sind Spediteur und Carrier in einem und fliegen einen Teil ihrer Sendungen innerhalb des eigenen Netzwerkes ausschließlich auf Frachtmaschinen. Diesem Umstand trägt auch die EU-Gesetzgebung Rechnung: Für Geschäftskunden, deren Sendungen von den Expressdienstleistern ausschließlich auf Frachtmaschinen transportiert werden, wurde der Status des „Geschäftlichen Versenders“ geschaffen. Er muss geringere Anforderungen erfüllen als der Bekannte Versender – unter anderem entfällt die behördliche Zertifizierung (siehe Kasten). Die rechtliche Sonderstellung der Expressdienstleister wird in der Branche kritisch gesehen und als „Lex-KEP“ bespöttelt. Sonderstellung der Expressdienste Auf Anfrage der VerkehrsRundschau gaben sich die Expressunternehmen DHL, Fedex und UPS sehr bedeckt. Weder wollten sie sich über die jüngsten Vorfälle selbst äußern noch über mögliche Auswirkungen der vereitelten Anschläge auf ihr künftiges operatives Geschäft. Auch über die Art und Weise, wie sie die Sicherheit bei Luftfrachtsendungen gewährleisten, waren zum Zeitpunkt der Recherchen keine offiziellen Aussagen zu bekommen. In einer Erklärung von UPS heißt es : „UPS verfolgt einen vielschichtigen Ansatz, um Sicherheit zu gewährleisten. Wir haben Prozesse, Systeme und Verfahren entwickelt, um unsere Mitarbeiter, Flugzeuge und Kundensendungen zu schützen. Diese entsprechen oder übertreffen gar die weltweit geltenden Anforderungen in diesem Bereich.“ Alle Pakete kontrollieren – unmöglich Weil die Expressdienstleister auch Sendungen von Privatversendern akzeptieren, lässt sich das in der herkömmlichen Luftfracht verfolgte Konzept der „sicheren Lieferkette“ nicht übertragen. Privatversender sind per se nicht sicher. Eine 100-prozentige technische Sicherheitskontrolle aller Sendungen mit Röntgengeräten oder Detektoren halten Branchenkenner aber schon aus Kapazitätsgründen für unmöglich und auch nicht wünschenswert. Durch die Sortierzentren großer Expressdienstleister werden bis zu 50.000 Pakte pro Stunde geschleust. Zu den Sicherheitssystemen der Expressdienste erhält man nur vage Hinweise: Stichprobenartiges Röntgen, Übertragung elektronischer Sendungsdaten an die Behörden im Empfängerland und Analyse der Datenmuster nach bestimmten Kriterien und schließlich Bewertung der Sicherheitsgefährdung je nach Herkunftsland seien wichtige Säulen derzeitiger Sicherheitssysteme. „Wir müssen die Überwachung am Abholort verbessern, gründlicher prüfen, wenn Sendungen in unser System eingehen“, sagte DHL-Express-Chef Ken Allen in einem Interview der Financial Times. Kosten für noch mehr Sicherheit steigen Trotzdem konnte nicht verhindert werden, dass die bei Fedex aufgegebene Paketbombe in ein Passagierflugzeug gelangte. Weil DHL, UPS oder Fedex nicht alle Ziele in der Welt selbst anfliegen, werden auch Sendungen an Bord anderer Airlines geflogen – in diesem Fall von Sanaa im Jemen nach Doha im Emirat Katar und von dort weiter nach Dubai. Brancheninsider sehen hier ein ernst zu nehmendes Schnittstellenproblem zwischen Express und Fracht. Dass die Mitnahme von Fracht in Passagiermaschinen künftig ganz verboten werden könnte, daran glaubt momentan niemand. Ram Menen, Bereichsvorstand Cargo der Fluggesellschaft Emirates ist aber überzeugt, dass der jüngste Vorfall die Spielregeln verändern wird und Mehrkosten auf die Branche zukommen. Damit rechnet man auch bei Lufthansa: „Wir erwarten deutliche Mehrkosten für die Sicherheit“, lässt Zielinski schon jetzt wissen. ❙❚■ Jörg Kürschner, Dietmar Winkler Nach entsprechenden Hinweisen der Geheimdienste wurde in den vergangenen Wochen an mehreren Flughäfen Bombenalarm ausgelöst Röntgenapparat für Luftfracht-Sendungen am Flughafen Wien. Nicht alles kann entdeckt werden Luftfrachtsicherheit Päckchen müssen genauso sicher sein wie Reisekoffer Eine 100-prozentige Überprüfung der Fracht bringt keine 100-prozentige Sicherheit, glaubt Patrick Döring, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion und verkehrspolitischer Sprecher. Sollte mehr Verantwortung im Bereich Luftfrachtsicherheit vom BMVBS (bzw. LBA) ans Innenministerium übergeben werden? Patrick Döring: Nein. Beide Ministerien haben die für ihren Bereich notwendige spezifische Fachkompetenz. Das BMVBS im Bereich der Luftfahrt, das BMI im Bereich der Gefahrenabwehr. Eine engere Zusammenarbeit – insbesondere bei der Zuverlässigkeitsprüfung des Versenders – scheint jedoch geboten zu sein. Welche Aufgaben könnte die Bundespolizei bei der Kontrolle von Luftfracht konkret übernehmen? Bei der Erarbeitung eines neuen Sicherheitskonzeptes müssen alle denkbaren Lösungsansätze berücksichtigt werden. Doch die besonderen Stärken der Bundespolizei liegen sicherlich in ihrem Kernbereich, der Koordination und Überwachung. Dieses hat sie im Passagierbereich vielfach unter Beweis gestellt. Auch im Luftfrachtverkehr wäre daher eine engere konzeptionelle Zusammenarbeit mit dem Luftfahrtbundesamt überlegenswert. Was würde dies kosten und wer trägt die Kosten? Zunächst bedarf es eines schlüssigen Gesamtkonzeptes mit einer klaren Aufgabenverteilung. Danach muss über die Mittelausstattung gesprochen werden. Allgemein gilt, dass die Bundespolizei für den Kernbereich der Gefahrenabwehr zuständig ist. Hierfür muss der Staat die Kosten tragen. Die Kosten operativer Kontrollaufgaben muss jedoch die Luftverkehrswirtschaft übernehmen, letztlich also die Frachtkunden und Passagiere. Sollten alle Frachtstücke zu 100 Prozent gescreent werden? Der Sicherheit muss natürlich höchste Priorität eingeräumt werden. Das gilt für den Passagierverkehr ebenso wie für den Frachtverkehr. Ein Paket darf am Ende nicht weniger sicher sein als ein Reisekoffer. Klar ist jedoch auch, dass es nie eine absolute Sicherheit geben wird, auch nicht bei einer 100-prozentigen Überprüfung der Luftfracht. Daher müssen Aufwand und Ergebnis in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Ist das Konzept der sicheren Lieferkette vom Hersteller über den Spediteur bis zum Empfänger der Ware nicht ausreichend? Dieses Konzept bietet sicherlich eine gute Grundlage, doch muss es anhand der neuen Gefährdungsanalyse stetig weiterentwickelt und in das Gesamtkonzept zur Sicherheit im Luftverkehr eingebunden werden. Sollte das Beiladen von Luftfrachtsendungen in Passagiermaschinen generell untersagt werden? Nein. Dadurch lösen wir keine Probleme. Derzeit werden rund 60 Prozent der gesamten Luftfracht in Passagiermaschinen zugeladen. Sollte dieses Aufkommen zukünftig nur noch in Frachtmaschinen transportiert werden, würden die Verkehrsleistung und Transportkosten sprunghaft ansteigen. Das können wir uns weder ökonomisch noch ökologisch leisten. jk Interview Patrick Döring Luftfrachtsicherheit Sicherheit in der Luftfracht Laut den EU-Verordnungen (EG) Nr. 300/2008 und (EG) Nr. 185/2010 müssen alle Fracht- und Postsendungen vor der Verladung in ein Flugzeug einer 100%igen Frachtkontrolle unterzogen werden. Grundsätzlich tragen die Airlines die letzte Verantwortung, da sie gemäß 6.1.1. Satz 2 des Anhangs der Luftsicherheitsverordnung EG Nr. 300/2008 nur kontrollierte und als sicher eingestufte Fracht entgegennehmen dürfen. Fracht, die als nicht sicher gilt, muss vom Carrier einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden. Allerdings entfällt die Verpflichtung zu einer Sicherheitskontrolle, wenn davon auszugehen ist, dass die Sendung aus einer „sicheren Lieferkette“ stammt. Das Konzept der „Sicheren Lieferkette“ Eine zentrale Rolle bei der Gewährleistung der „sicheren Lieferkette“ spielt der Reglementierte Beauftragte (RegB). Reglementierte Beauftragte sind vom Luftfahrtbundesamt (LBA) zertifizierte Unternehmen, Agenturen oder Speditionen, die in geschäftlicher Beziehung mit einer Airline stehen und entweder selbst Sicherheitskontrollen durchführen oder Fracht im Rahmen der sicheren Lieferkette von einem bekannten Versender übernehmen. Der Bekannte Versender ist derjenige, der die Luftfracht in den Sendungslauf gibt – in der Regel Hersteller von Wirtschaftsgütern, die exportiert werden. Er muss bestimmte Sicherheitsvorschriften erfüllen. So ist Luftfracht vor unbefugtem Eingriff zu schützen und Mitarbeiter sind zu schulen. Seit Ende April 2010 muss auch der bekannte Versender behördlich zugelassen werden. Allerdings gilt eine dreijährige Übergangsfrist. Die Mehrheit der Bekannten Versender konnte sich daher mittels einer „Sicherheitserklärung“ in den Übergangszeitraum retten. Versender, die bis zum Stichtag 29. April 2010 von ihrem Reglementierten Beauftragten (i. d. Regel die Spedition) per Sicherheitserklärung als Bekannter Versender anerkannt waren, haben für die Zertifizierung durch das LBA noch bis 2013 Zeit. Bis April 2010 war die Anerkennung des Bekannten Versenders per Sicherheitserklärung übliche Praxis. Die Anerkennung erfolgte per Standardformular, mit der der Versender dem Reglementierten Beauftragten bestätigt, im Unternehmen alle Sicherheitsauflagen zur Einhaltung der sicheren Lieferkette zu erfüllen. Diese Praxis stand in der Kritik, weil der Reglementierte Beauftragte gegenüber seinem Kunden keine Möglichkeit hat, die Sicherheitsstandards in dessen Unternehmen zu beurteilen. Expressbereich Expresssendungen, die von DHL, UPS oder Fedex transportiert werden, stammen häufig von Privatversendern. Das Konzept der sicheren Lieferkette lässt sich daher nicht übertragen. Es gelten spezielle Sicherheitsvorschriften für den Expressbereich. diwi Hintergrund Das Konzept der sicheren Lieferkette BekannterVersender ReglementierterBeauftragter Airline Abholer Empfänger Luftfrachtsicherheit Millionen von Sendungen Im Jahr 2009 wurden von und nach Deutschland 500-600 Millionen Packstücke (Fracht + Express) per Luftfracht transportiert. Der Anteil der klassischen Luftfracht ohne Express beträgt 187 Millionen Packstücke inkl. Transitfracht. Expressfracht Tagtäglich transportieren Expressdienstleister wie UPS,DHL oder Fedex 4,5 bis 5 Millionen Sendungen Sicherheitskontrollen Der Anteil der Fracht, die tatsächlich einer physischen Sicherheitskontrolle unterzogen wird (z. B. Röntgen) liegt nach Schätzungen und abhängig von der jeweiligen Airline zwischen 5 und 20 Prozent.

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