Sicherheit hat ihren Preis

Sicherheit hat ihren Preis Eine neue EU-Verordnung zur Luftfracht-Sicherheit verlangt für Bekannte Versender eine Zertifizierung. Auch für Spediteure und Carrier ändern sich die Spielregeln. Dass derzeit immer noch schätzungsweise 95 Prozent aller Luftfrachtsendungen ohne weitere Sicherheitskontrolle ins Flugzeug gelangen, ist einem rechtlichen Konstrukt zu verdanken, das von Sicherheitsexperten als zahnloser „Papiertiger“ bespöttelt wird. Luftfrachtspediteure, die in der Regel selbst den Status des Reglementierten Beauftragten genießen, lassen sich von ihrem Auftraggeber einfach per Formular bestätigen, dass dieser als Versender der Ware einen ausreichend hohen Sicherheitsstandard erfüllt. Sendungen, die ein per Selbsterklärung Bekannter Versender seinem Spediteur überlässt, gelten als sicher und müssen nicht mehr geröntgt werden. Nach der EU-Folgeverordnung 300/2008, die die jetzt noch gültige EU-Verordnung (EG) 2320/2002 ablösen soll, hat diese Mogelpackung vorgetäuschter Sicherheit nicht länger Bestand. Die Folgeverordnung tritt in Kraft, sobald die zugehörigen Durchführungsvorschriften gelten, spätestens im April 2010. Ende eines Papiertigers Dann müssen Bekannte Versender von der zuständigen Behörde – in Deutschland das Luftfahrtbundesamt (LBA) – zertifiziert werden. In der Durchführungsverordnung, die derzeit auf EU-Ebene noch ausgearbeitet wird, ist eine Übergangsfrist von zwei bis drei Jahren vorgesehen – konkrete Aussagen waren weder beim LBA noch vom zuständigen Referat im Bundesverkehrsministerium (BMVBS) zu erhalten. Sicher ist, dass sich das LBA künftig bei der Durchführung der Audits durch akkreditierte Zertifizierungsgesellschaften unterstützen lassen darf, die im Auftrag der Behörde die Prüfungen durchführen. Aussagen, wie dies in der Praxis aussehen soll, gibt es allerdings noch nicht: Annette Wiedemann, Leiterin Dekra Aviation, einem Schulungsanbieter im Bereich Luftfahrt, mahnt zur Eile: „Das BMVBS muss konkret vorgeben, welche Voraussetzungen die Zertifizierer erfüllen müssen.“ Außerdem benötigten sowohl die Spediteure als auch die Versender endlich Rechtssicherheit. Wie viele der nach Schätzungen zwischen 30.000 und 40.000 Versender sich in Deutschland tatsächlich zertifizieren lassen werden, ist unklar. „Unternehmen, die nur selten Luftfracht haben, werden sich die Kosten einer Zertifizierung sparen und lieber die zusätzlichen Sicherheitskontrollen bezahlen“, mutmaßt Wiedemann. In Frank-reich, wo wie in Großbritannien oder in der Schweiz Bekannte Versender zertifiziert werden müssen, haben sich nur 20 Prozent einem Audit unterzogen. Das könnte künftig Mehraufwand für den Reglementierten Beauftragten – in der Regel der Spediteur – bedeuten, denn er muss sicherstellen, dass die Sicherheit der Transportkette eingehalten wird. Sendungen von Versendern, die nicht als bekannt gelten, müssen dann in jedem Fall geröntgt werden. „Wir gehen davon aus, dass die Spediteure sehr viel mehr als unsicher eingestufte Sendungen erhalten werden“, prophezeit Wolf-Dietrich von Helldorff, Vorsitzender des Luftfrachtausschusses im Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV). Das verursache nicht nur zusätzliche Kosten sondern verzögere auch die Prozesse. Benno Nelles, Produktmanager Luftfracht Deutschland bei Hellmann Worldwide Logistics, rechnet mit zusätzlichen Investitionen in Sicherheitsequipment. Zu den Anschaffungskosten für Röntgengeräte komme der Schulungsaufwand und der höhere Personaleinsatz. „Kleinere Unternehmen werden da Probleme haben und für Sicherheitskontrollen verstärkt auf Dritte zugreifen müssen“, prognostiziert Nelles. Schon jetzt ist der Anteil der Fracht, die bei Hellmann einer Sicherheitskontrolle unterzogen wird, mit 15 Prozent vergleichsweise hoch. „Die notwendigen Kontrollen sind ein zusätzlicher Aufwand und machen mittlerweile einen Kostenanteil aus, der auf einigen Strecken mit der eigentlichen Frachtrate vergleichbar ist“, erklärt der Luftfrachtmanager. Mehraufwand für Spediteure Auch die Carrier müssen sich auf Veränderungen einstellen. So soll das Handling von Transit- und Transferfracht modifiziert werden. Harald Zielinski, Leiter der Sicherheitsabteilung bei Lufthansa Cargo, fordert deshalb eine praxisgerechte Gestaltung der Bestimmungen (siehe Interview). ❙❚■ Dietmar Winkler Sicherheitslücken in der Luftfracht-Supply-Chain Sowohl Logistikdienstleister als auch Verlader glauben, dass die Transportkette bei Luftfracht noch erhebliche Sicherheitsmängel aufweist. Das liegt nach Meinung der Befragten unter anderem am Mangel durchgängiger Sicherheitskonzepte, wie aus einer Studie des International Transfer Center for Logistics (ICTL) und der TU Berlin hervorgeht. Die Studie wurde vom Immobilienentwickler World Cargo Center GmbH in Auftrag gegeben. diwi Ursachen/Gründe fürSicherheitsmängel aus Sicht derLogistikdienstleister aus Sicht der Verlader Neue Sicherheitsvorschriften erhöhen den Aufwand Harald Zielinski, Leiter der Sicherheitsabteilung der Lufthansa Cargo, plädiert für eine praxisgerechte Gestaltung der neuen Sicherheitsvorschriften und warnt vor Zeitverlusten bei der Luftfracht. Welche Änderungen bringen die neuen EU-Sicherheitsvorschriften? Harald Zielinski: Viele Details sind noch nicht abschließend geklärt und wir sind noch in Verhandlung mit der EU-Kommission. Ein für uns wichtiger Punkt ist beispielsweise das Handling von Transit- und Transferfracht. In der Verordnung gibt es die Anforderung, dass Frachtgut beim Verladen von einem auf ein anderes Flugzeug einer zusätzlichen Sicherheitskontrolle unterzogen werden muss. Eine solche Regelung würde uns als Carrier deutlich treffen. Was wären die Auswirkungen in der Praxis? Das würde zu erheblichen Zeitverzögerungen führen. Sendungen müssten aus dem Flugzeug entladen, geröntgt und unter Umständen entpalettiert werden – das kostet locker einen Tag zusätzlich. Das würde den Luftfrachttransport letztlich auch teurer machen – damit würde sich der Transport per Flugzeug bei manchen Gütern nicht mehr rechnen. Was wäre Ihre Wunschvorstellung? Dass nur Fracht, die nicht den Sicherheitsvorschriften der EU entspricht, in die Sicherheitskontrolle muss. Beispielsweise Fracht einer Airline, über deren Standards man nicht viel weiß. Ab 2010 müssen Bekannte Versender zertifiziert sein. Ein Fortschritt? Ich halte die Zertifizierung der Versender grundsätzlich für richtig. Ein solches Verfahren würde die jetzt praktizierte Anerkennung des Bekannten Versenders durch den Reglementierten Beauftragten per Erklärung ablösen. Und wir plädieren intensiv für eine Regelung, die im Zertifizierungsprozess neben dem LBA auch unabhängige Institutionen zulässt. Selbst wenn sich nur ein Teil der Versender zertifizieren lässt, hat das LBA nicht die personelle Ausstattung, um das in akzeptabler Zeit zu leisten. diwi Interview

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