Logistikstandort

Logistikstandort Wo Zalando & Co. die Zelte aufschlagen Die Versandhändler sind weiter auf der Suche nach neuen Flächen. Dabei bleibt Deutschland als Logistikstandort gefragt – auch wenn zunehmend Versandzentren im ausländischen Grenzgebiet errichtet werden. Ist es nur ein zusätzliches Lager oder der Abschied vom Logistikstandort Deutschland? Diese Frage stellen sich viele Experten, seit Amazon bekannt gegeben hat, in Polen drei große Versandlager eröffnen zu wollen. Hinzu soll bis 2016 ein Standort in Tschechien mit 4000 festen Kräften kommen. Gewerkschaftler vermuten, dass die Amerikaner von dort aus in Zukunft den deutschen Markt versorgen wollen – zu niedrigeren Lohnkosten und ohne Streikrisiko. Amazon-Manager Tim Collins räumte zwar ein, von Polen aus deutsche Kunden bedienen zu wollen, betonte aber: „Wir haben keine Pläne, Standorte zu schließen oder zu verlagern.“ Insgesamt acht Logistikzentren betreibt Amazon derzeit in Deutschland. Auch Zalando erweitert seine Flächen Sicher ist: Der Boom beim E-Commerce sorgt auch für einen Bauboom bei Logistikimmobilien. Fast zeitgleich mit Amazon hat der Schuh- und Modespezialist Zalando angekündigt, sein Versandzentrum in Mönchengladbach um neue Gebäude mit einer Fläche von 56.000 Quadratmetern zu erweitern. Und das könnte erst der Anfang sein: 25 Millionen Quadratmeter – so viel zusätzliche Fläche benötigen europäische Onlinehändler in den kommenden fünf Jahren, sagt eine neue Studie des Marktforschungsunternehmens Jones Lang LaSalle voraus (siehe auch Interview). Doch welche Regionen profitieren von dem Bauboom? Und nach welchen Regeln suchen die Versender ihre Standorte aus? Grundsätzlich gehen Versandhändler bei der Wahl ihrer Logistikstandorte nach einem klaren Schema vor. Am Anfang steht eine einfache Frage: Welchen Service wollen wir unseren Kunden bieten? Früher genügte eine Zustellung innerhalb von 48 Stunden, heute sind 24 Stunden der Standard und viele Versender denken sogar schon über eine taggleiche Belieferung (Same Day Delivery) nach. „Für 24 Stunden reicht in Deutschland oft ein Standort aus, für Same Day sind sechs bis acht nötig“, erklärt Andreas Hartwig, Handelsexperte bei Miebach Consulting, „ich denke, vor allem Amazon will sich diese Option offenhalten“. Er betont aber, dass dies nur Durchschnittswerte seien: Ein Großversender etwa würde mehr als ein Logistikzentrum benötigen – nicht zuletzt, um sich gegen Risiken wie einen Streik an einem Standort abzusichern. Im zweiten Schritt werden die Logistikkosten kalkuliert, dabei gilt die Regel: Je mehr Logistikzentren, desto geringer die Transportkosten. Bei Kurier-, Express- und Paketdiensten (Kep) fallen diese Kos-ten zwar auf den ersten Blick immer gleich aus, schließlich bezahlt der Großkunde hier pro Packstück. Dieser Preis wird jedoch ausgehandelt und der Standort des Versenders fließt dabei mit ein. Am Ende dieser Analyse, die häufig mithilfe von Planungssoftware durchgeführt wird, weiß der Versender, welche Regionen für einen Standort optimal sind. „Die Empfehlung der Software ist aber nur ein Startpunkt“, betont Michael Gräf von der Unternehmensberatung Locom Consulting, Karlsruhe, die Firmen bei Ansiedlungsentscheidungen unterstützt. Danach komme der Markt zu Wort. Dabei muss eine Reihe von Faktoren berücksichtigt werden: Wie sieht die Verkehrssituation aus? Welche Bebauungsmöglichkeiten gibt es? Steht Personal vor Ort in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung? Wie stehen die Chancen, die Immobilie nach einigen Jahren wieder zu veräußern? Günzburg sagt „Nein“ zu Zalando Neben diesen harten Faktoren spielt auch die lokale Förderpolitik eine große Rolle. „Die politischen Rahmenbedingungen sind sehr wichtig“, sagt Ingmar Böckmann, Logistikexperte beim Bundesverband des Deutschen Versandhandels (BVH). Welche Grundstücke zu welchem Preis zur Verfügung gestellt werden, entscheidet jede Gemeinde anders. Mitunter können Konzerne auch mit direkten Subventionen rechnen. Dabei geht es nicht nur um Gewerbesteuereinnahmen. „Manch eine Wirtschaftsförderung möchte damit glänzen, dass die Top-Marken mit ihren Logistikzentren vor Ort sind“, gibt Berater Gräf ein Beispiel. Doch es geht auch anders: So hat der Landkreis Günzburg im November entschieden, sein Gewerbegebiet nicht für Zalando zu öffnen – obwohl der Versender 2000 Arbeitsplätze schaffen wollte. Über die Gründe hielten sich die Offiziellen bedeckt, unter anderem war von „Flächenmangel“ die Rede. Das politische und wirtschaftliche Tauziehen hinter den Kulissen macht eine Prognose nahezu unmöglich. „Am Ende kann die Standortentscheidung signifikant von der Empfehlung der Software abweichen“, so Gräf. Dass sich viele Versender – wie Amazon – letztendlich für Osteuropa entscheiden, ist keine Überraschung, schließlich sind hier die Lohnkosten deutlich niedriger als in Deutschland. Und gerade Versandläger operieren mit viel Personal: Rund die Hälfte der Kosten entfallen auf Löhne und Gehälter. Wenn, wie in Polen, Mitarbeiter 20 Prozent günstiger arbeiten, kann das bei der Standortwahl den Ausschlag geben. Besonders attraktiv ist derzeit zum Beispiel das tschechische Grenzgebiet rund um die Stadt Bor. „Hier gibt es eine gute Verkehrsanbindung, der süddeutsche Raum ist nah, außerdem sind viele Dienstleister schon vor Ort“, urteilt Miebach-Experte Hartwig. Hinzu komme, dass diese Standorte als Brückenkopf für den osteuropäischen Markt infrage kommen. Marktkenner warnen jedoch vor dem Rückschluss, Deutschland sei als logistische Drehschreibe für den Onlinehandel bald chancenlos. „Deutschland komplett aus Osteuropa zu bedienen, macht keinen Sinn“, stellt Hartwig klar. Seine Begründung: Einerseits steigen auch in Osteuropa die Löhne bei teilweise geringerer Produktivität. Andererseits legen die Transportkosten überproportional zu, sodass die Kostenvorteile abschmelzen. Hinzu kommt, dass diese Standorte für die taggleiche Belieferung nicht geeignet sind. „Für Same-Day-Lieferungen werden neue Standortkonzepte in den Kernregionen der Nachfrage benötigt“, betont Berater Gräf. Lohnhöhe nicht allein entscheidend Übrigens: Den Vorwurf, dass die Karawane der Großversender ständig an die Orte mit den geringsten Lohnkosten weiterzieht, halten Marktkenner nicht für stichhaltig. „Man hat es üblicherweise mit Laufzeiten von zehn Jahren und mehr zu tun“, erklärt Gräf. Kurzfristige Umzüge von Logistikzentren seien in den seltensten Fällen wirtschaftlich. Branchenvertreter weisen außerdem darauf hin, dass Stundenlöhne allein nicht die Standortwahl bestimmen. „Die Tätigkeiten in den Logistikzentren sind nicht so trivial, wie oft gedacht wird. Deshalb wollen Unternehmen, dass Mitarbeiter nach der Einarbeitung möglichst lange dabei bleiben“, betont BVH-Experte Böckmann. ❙❚■ Constantin Gillies, freier Journalist Interview In einigen Ballungsräumen wird es eng Rainer Koepke, Immobilienexperte bei Jones Lang LaSalle, über die Hürden bei der Erschließung von Logistikflächen. Nach welchen Kriterien suchen E-Commerce-Anbieter die Standorte ihrer Versandlager aus? Rainer Koepke: Da die Versender mit Kep-Dienstleistern arbeiten, müssen sie sich nicht unbedingt nahe bei den Kunden ansiedeln. Bevorzugt werden Regionen, in denen Lager-flächen preisgünstig zu mieten sind und genug Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Bei Amazon in Brieselang etwa wurden sehr viele Arbeitslose eingestellt. Auch Zalando hat mit dem Standort Erfurt eine Region mit – damals – hoher Arbeitslosigkeit gewählt. Üblicherweise suchen sich die Anbieter ein Grundstück und lassen dann die Immobilie von einem professionellen Entwickler errichten. Wird im Zuge von Same Day Delivery die Logistik wieder näher an die Städte rücken? Das ist vor allem ein Thema für die Kep-Dienstleister. DHL etwa ist ja schon dabei, die Umschlagzentren in Ballungsräumen für größere Volumina und schnellere Durchläufe auszulegen. Für den wachsenden Lebensmittelversand müssen stadtnah neue Verteilzentren eingerichtet werden. Sind überhaupt genug Flächen vorhanden? In den Big-7-Ballungsräumen (Frankfurt, Berlin, Hamburg, Stuttgart, Köln, Düsseldorf, München) gibt es nur noch wenige freie Grundstücke. Doch wenn man in die Regionen geht, gibt es noch Potenzial, etwa in neu ausgewiesenen Gewerbegebieten oder auf Flächen, die ehemals militärisch genutzt wurden. Allerdings sind nicht alle Gemeinden gleich offen gegenüber der Logistik – das konnte man zuletzt im Kreis Günzburg sehen, wo eine Ansiedlung von Zalando abgelehnt wurde. Gerade in Süddeutschland vergibt man freie Flächen lieber an Produktionsunternehmen, weil diese mehr qualifizierte Arbeitsplätze schaffen. Wegen mangelnder Fläche müssten Versender wie Amazon aber nicht ins Ausland abwandern … Nein, es gibt im Ruhrgebiet, am Niederrhein oder in den neuen Bundesländern noch viele freie Grundstücke. cg 25 Millionen Quadratmeter benötigen Onlinehändler in Europa in den nächsten fünf Jahren „Für Same Day Delivery sind in Deutschland sechs bis acht Standorte nötig“ Andreas Hartwig, Handelsexperte bei Miebach Consulting