Letzte Meile

Letzte MeileWenn der Postmann nicht mehr klingeltIm Zeitalter von E-Commerce und Privatkundenbelieferung rücken Lösungen für die „Letzte Meile“ immer stärker in den Fokus. Welche Lösungen Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) bieten.Sie ist nicht ganz zwei Meter hoch, fällt mit ihren blauen Farbtönen und unterschiedlich großen Fächern sofort ins Auge und gilt als kommende Konkurrenz zum DHL-Produkt Packstation: die neue Bento-Box (s. Kasten S. 25). Wie ihr gelbes Vorbild hat sie Touchscreen- und Codelese-Fenster, ist aber wegen ihrer modulartigen Bauweise beliebig erweiterbar. Geht es nach Werner Schönewolf, soll die neue Lösung vor allem durch Multimandanten-Fähigkeit überzeugen. „Jeder KEP-Dienst, der Zustellalternativen auf der Letzten Meile wünscht, kann die Bento-Box nutzen“, versichert der Abteilungsleiter des Fraunhofer Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) in Berlin, das die Anlage entwickelt hat. Das Ei des KolumbusDie erste Feuertaufe ist schon bestanden: Über zwei Monate lange testete der Berliner Kurierdienst Messenger die neue Lösung im Rahmen eines EU-Projekts. Jetzt warten die Fraunhofer-Wissenschaftler auf Anfragen weiterer Firmen. Bisher aber hat nur TNT Express Interesse gezeigt. Die anderen KEP-Dienste wollen Letzte-Meile-Probleme weiter mit Website-Produkten lösen, in denen schwer erreichbare Empfänger Wunschtermine für die Zustellung eintragen. Oder sie ermuntern Einzelhändler, sich dem hauseigenen Paketshop-Netz anzuschließen. Hier können Verbraucher Sendungen abholen, bezahlen oder zurückschicken. Mit einer solchen Lösung wirbt auch UPS. In den nächsten zwei Jahren will der Paket-riese die im Februar 2012 erworbene Netzwerk-Plattform Kiala auch auf Deutschland und Großbritannien ausweiten. 300 Versandhändler und Online-Shops nutzen heute schon Kiala, Tendenz steigend.Bento-Box und Kiala sind weitere Angebote zur Lösung des Letzte-Meile-Problems. Viele Verbraucher sind tagsüber in der Arbeit und können daher Pakete, Päckchen oder Eilbriefe nicht entgegennehmen. Und eine Übergabe an den Nachbarn scheidet oft aus, wenn die Sendung dem Empfänger persönlich zu übergeben ist. Eine nochmalige Zustellung am Folgetag kann aus den gleichen Gründen erneut scheitern.Mit der 2002 gestarteten Packstation hat Deutsche Post DHL offenkundig das Ei des Kolumbus gefunden. Weil die gelben Boxen nur nach Eingabe einer persönlichen PIN-Nummer oder Abscannen eines Barcodes auf der Abholbenachrichtigung geöffnet werden können, ist persönliche Zustellung rund um die Uhr garantiert. Jeder Empfänger kann sich für die Abholung eine Woche Zeit lassen. Für den gelben Riesen, der in über 1600 Kommunen Packstationen aufgestellt hat, sind also Letzte-Meile-Probleme in der Regel kein Thema mehr. Wo keine Packstation existiert, werden Sendungen in Filialen und Agenturen hinterlegt.Zehn Jahre dauerte es, bis mit der Bento-Box eine vergleichbare Lösung entstand. Vor millionenschweren Investitionen in Technologie und Infrastruktur schreckte jeder nationale Paketdienst zurück – wohl auch, weil das Letzte-Meile-Thema fast ausschließlich in der Endkunden-Zustellung (B-to-C) virulent ist und die meisten KEP-Dienste – ausgenommen Hermes – den Großteil ihres Geldes mit der Geschäftskunden-Belieferung (B-to-B) verdienen. Stattdessen investierten die Paketdienste in den letzten Jahren verstärkt in flächendeckende Paketshop-Systeme. Jeder Verbraucher soll unweit seines Wohnorts Sendungen aufgeben und abholen – so das Konzept. Allein Hermes hat heute über 14.000 Paketshops. Vor allem Internet-Cafés, Kioske, Tankstellen und andere Standorte mit langen Öffnungszeiten schlossen sich dem Netz an. „In Großstädten muss der Verbraucher im Schnitt 500 Meter zum nächsten Shop zurücklegen, auf dem Land hat er es nie weiter als drei Kilometer“, betont Hermes-Sprecher Frommhold. Der Verbraucher kann wählen, ob Sendungen an die Heimadresse oder den Paketshop verschickt werden. Hermes zufolge werden 95 Prozent der Sendungen im ersten Anlauf zugestellt – der Paketdienst kann aber keine Zahlen nennen, wie viele Empfänger tatsächlich den Gang zum Paketshop bevorzugen.Ein offenes HintertürchenJe dichter das vorhandene Paketshop-Netz ist, desto zurückhaltender fällt die Reaktion auf die Bento-Box aus. Während Hermes eine Teilnahme kategorisch ausschließt, hält sich GLS ein Hintertürchen offen. „Bei einem Packstation-ähnlichen System muss sowohl die Sicherheit des Pakets als auch der Schutz der Empfängerdaten zweifelsfrei geklärt werden“, betont Konzernchef Rico Back. „Zudem muss gewährleistet sein, dass die Sendung ausschließlich vom rechtmäßigen Empfänger entnommen werden kann.“ Mit 5000 Stationen ist das Netz von GLS ein Drittel so groß wie das von Hermes. Vor allem auf dem flachen Land kann von einer flächendeckenden Präsenz keine Rede sein. Back strebt aber mittelfristig eine Verdoppelung auf 10.000 Paketshops an. Ähnlich geht DPD vor. Der Paketdienst, der wenig mehr als 4000 Stationen hat, berichtet von „ständigen Neuzugängen“ ins Netz. An Einzelhändlern, die ein interessantes Zusatzgeschäft wittern, herrscht offenkundig kein Mangel. An guten Tagen kommen erfahrungsgemäß 30 bis 40 Abholer. Pro Paket gibt es eine Provision von 30 bis 50 Cent, zudem winken Synergiegeschäfte. Zentrale Lage, lange Öffnungszeiten, Parkplätze vor der Ladentür in unmittelbarer Umgebung – Händler, die alles das erfüllen, dürfen sich gute Chancen ausrechnen, mit einem Paketdienst ins Geschäft zu kommen.„Viele Versand- und Online-Händler nutzen die Shops als Zustelladresse“, berichtet Frommhold. Wenn die wichtigsten Kunden mit den vorhandenen Lösungen zufrieden sind, sehen auch Paketdienste keinen Nachbesserungsbedarf. Mit Kiala tritt nun allerdings ein weiteres Paketshop-Netz in den Ring. Als potenzielle Teilnehmer will Mutterkonzern UPS vor allem Tankstellen und Schreibwarengeschäfte gewinnen.Für die Bento-Box-Macher bedeutet dies jedoch, dass sie sich neue Geschäftsfelder suchen müssen. Möglichkeiten gibt es offenbar zuhauf: So kann das System auch als Sammel- und Verteilpunkt für lokale Kurierverkehre eingesetzt werden. Dies wurde in Berlin ebenfalls getestet. Für die Fraunhofer-Entwickler bedeutet das Ganze aber jede Menge Zusatzarbeit. „Wie viele Kurierdienste besondere Dispositions- und Warenverfolgssysteme mit eigenen Schnittstellen nutzen, muss das System an jeden Nutzer neu angepasst werden“, sagt Schönewolf. Multimandantenfähigkeit hat eben ihren Preis. ❙❚■ Stefan Bottler, freier JournalistDie wohl bekannteste Letzte-Meile-Lösung: Die Packstationen der Deutschen Post DHLLetzte MeileDie Letzte-Meile-Lösungen der großen Paket- und ExpressdiensteFirmaDie Letzte-Meile-LösungVor- und NachteileDPDAnlieferungen zu Wunschterminen (Zeitfenster: 2 bis 6 Stunden, zwei Zustellversuche), Abholung in Paketshops (über 4000 Stück), Samstagszustellung auf WunschAusbau des Paketshop-Netzes vor allem in ländlichen Regionen geplantDeutsche Post/DHLEinmaliger Zustellungsversuch, Abholung in Postfilialen, Agenturen und Packstationen (2500 Stück), Samstagszustellung Flächendeckendes Abholnetz vorhanden, Erweiterung vieler Packstationen um zusätzliche Fächer geplantFedexZweimaliger Zustellversuch, Abholung in DepotsSamstagszustellung vom Zielort abhängigAbholmöglichkeit nur in Ballungszentren und einzelnen Großstädten, keine Ausbaupläne bekanntGLSEinmaliger Zustellversuch, anschließend Anlieferung zu Wunschterminen oder Adressen, Abholung in Paketshops (rund 5000 Stück), Samstagszustellung auf Wunsch Ausbau des Paketshop-Netzes auf 10.000 Stationen vor allem in ländlichen Regionen geplantHermes Bis zu vier Zustellversuche, Wunschtermine möglich, Abholung in Paketshops (rund 14.000 Stück), SamstagszustellungFlächendeckendes Abholnetz vorhanden, Verdichtung nur in EinzelfällenTNT ExpressEinmaliger Zustellversuch, anschließend Anlieferung zu Wunschterminen oder Adressen, Abholung in Depots, Samstagszustellung auf WunschAbholmöglichkeit nur in Ballungszentren und einzelnen GroßstädtenEngagement für Bento-Box-ProjekteUPSEinmaliger Zustellversuch, anschließend Anlieferung zu Wunschterminen oder -adressen, Abholung in Depots, Kunden-Center oder MBE-Franchisenehmer (rund 150 Stück), Samstagszustellung bei Eilbedürftigkeit Ab 2013 oder 2014 Aufbau eines deutschlandweiten Kiala-Netzwerks geplantNeues Postgesetz: Lösung für Schlüsselhäuser in Sicht?Björn Hupbauer hat genau nachgezählt. „In unserer Zustellregion gibt es 100 Wohnhäuser mit Briefkästen hinter der Eingangstür“, sagt der Geschäftsführer des Briefdiensts HB Regiopost. „Nur von 70 haben wir einen Schlüssel.“ Und für Hupbauer ist das Problem überschaubar. Denn seine Firma stellt in Südostoberbayern zu, wo es wenige Mehrfamilienhäuser gibt. In Großstädten stehen aber viele Zusteller vor verschlossener Tür: Ist kein Anwohner da, hilft auch Dauerläuten bei anderen Klingeln nichts. „In München ist jedes dritte Wohnhaus ein Schlüsselhaus“, vermutet Wolfgang Schmid, Gründer des neuen Briefdiensts By..Mail. „Für die Zustellung arbeiten wir mit 7000 Hausschlüsseln.“ Das Problem scheint kaum lösbar: Viele Hausverwaltungen ignorieren Anfragen nach einem Hausschlüssel oder machen dessen Herausgabe von einem Beschluss der Eigentümergemeinschaft abhängig. Auch von der Deutschen Post, die in der Regel Zugang zu jedem Haus hat, können die Briefdienste keine Hilfe erwarten. Jetzt soll die Novellierung des Postgesetzes helfen. Die Eckpunkte, die das Bundeswirtschaftsministerium erstellt hat, sind indes just in diesem Punkt sehr vage. So sollten laut dem vorliegenden Gesetzesentwurf die Befugnisse der Bundesnetzagentur mit dem Ziel erweitert werden, „bestehende Defizite“ beim Zugang zu Adressen und Postfächern zu beseitigen. Wie die Bundesnetzagentur gegen dieses Letzte-Meile-Problem vorgehen soll, bleibt also unklar. Aus juristischen Gründen kann der Deutschen Post die Herausgabe von Schlüsseln kaum vorgeschrieben werden, wenn ihre Überlassung etwa an bestimmte Konditionen gebunden ist. So mancher Briefdienst hat vor diesem Problem schon kapituliert. „Wir verschicken Sendungen für nicht zugängliche Häuser über die Post“, sagt Hupbauer – das freilich stellt den Wettbewerb völlig auf den Kopf. botFür Zusteller oft ein Problem: SchlüsselhäuserNeues PostgesetzLetzte MeileWelche Vorteile die Bento-Box Kurierdiensten bieten kann Von der Packstation unterscheidet sich die Bento-Box etwa durch die Modul-Bauweise. Jedes Modul ist als Rollcontainer gestaltet, der nach Bestückung im KEP-Depot zum Bento-Box-Standort transportiert und gegen eine leere Einheit ausgetauscht werden kann. Während eines zweimonatigen Praxistests im Berliner Stadtteil Friedenau bewährte sich das Konzept. Projektpartner Messenger nutzte die Bento-Box für den Umschlag von PKW- auf Fahrradzustellung: In den engen Wohnstraßen von Friedenau, einem Viertel mit 11.000 Einwohnern pro Quadratkilometer, kommen Kuriere auf zwei Rädern schneller voran als auf vier Rädern. „Overnight-Sendungen lassen sich mit der Bento-Box problemlos versenden und zustellen“, zieht Messenger-Dispositionsleiter Dirk Brauer eine erste Bilanz. Zusätzlich wünscht er sich noch eine automatisierte Benachrichtigung per SMS oder E-Mail, wenn Sendungen eingetroffen sind. Ein weiteres Problem ist: „Wenn unterschiedliche KEP-Dienste die Bento-Box nutzen, kann es aufgrund der modulartigen Bauweise schwierig werden, ausreichend große Flächen zu finden“, sagt Projekt-Initiator Michael Kuchenbecker, Senior Consultant von Logistic-Network Consultants. botKurierdienst Messenger testete die Bento-BoxPraxislösung

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