Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Software

Transport-Management-System Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Software Das Transport-Management-System der Spedition SchmidtGevelsberg hatte ausgedient und ein neues musste her: Zeit auch, um alte gegen neue Prozesse zu tauschen. Ticktack, Ticktack – Irgendwann konnte Rolf Lorenz das immer lauter werdende Geräusch nicht mehr überhören. Was der Geschäftsführer der Spedition Schmidt-Gevelsberg aus Schwelm bei Wuppertal da ticken hörte, war die ablaufende Uhr seiner IT-Anlage. „Das ganze System hatte ein Alter erreicht, in dem Anpassungen nicht mehr reichten“, erklärt er. „Die vermittelten zwar ein Gefühl von Modernität, in Wirklichkeit waren es aber nur Bypässe.“ Das 300 Mitarbeiter zählende Unternehmen hatte sich weiterentwickelt, das IT-System jedoch nicht mit ihm. Viele verschiedene Programme bearbeiteten Prozesse. Das bremste die Abläufe, erhöhte die Fehlerquote und kostete Geld. Bei dem Prozess für die Tagespreise war das zum Beispiel der Fall. Kunden haben an verschiedenen Stellen im Unternehmen angerufen – in der Disposition oder im Vertrieb – und dort Preisauskünfte bekommen. Das alte System hat die Preise aber gar nicht erfasst. „Die Mitarbeiter dokumentierten sie lediglich in Excel“, berichtet Rainer Hoppe von der Beratungsfirma Apari, die die Software-Einführung unterstützt hat. Führte das Angebot zum Auftrag, mussten sich die Mitarbeiter der Abrechnungsabteilung die verstreuten Informationen mühsam zusammensuchen. Die Konsequenz: Die Abrechungsabteilung brauchte unnötig viel Personal. „Die ist in einem solchen Fall Mülleimer für Schwächen in den vorgelagerten Prozessen“, sagt Berater Hoppe. Das war nur eine der Schwachstellen des alten Systems. „Viele Jahre lang haben wir uns daher umgeschaut, aber keine alternative Lösung gefunden“, erklärt Schmidt-Gevelsberg-Chef Lorenz. „Mit der Zeit ist der Entschluss gereift: Das müssen wir selber machen“, fügt er hinzu. So entstand die Idee, gemeinsam mit dem Schwelmer Software-Anbieter Anaxco ein neues Branchenmodell zu entwickeln. Es sollte aus der Erfahrung von Anwendern, den Mitarbeitern von Schmidt-Gevelsberg und den Anaxco-Entwicklern wachsen. Das Ende eines Mammutprojekts Mit dieser Software-Lösung, der „Anaxco Cargo Suite“, arbeitet das Unternehmen nun seit dem Jahreswechsel und hat damit ein Mammutprojekt abgeschlossen. Vom Entschluss, eine eigene Lösung zu entwickeln, bis zum Echtbetrieb sind etwa drei Jahre vergangen. Die Umstellung des gesamten IT-Systems betreffe jede Abteilung und jeden Bereich des Unternehmens, sagt Speditionschef Lorenz. „Das kann schon schnell zur Nahtoderfahrung werden.“ Denn wenn ein Unternehmen eine Software einführt, ist das nie ein reines IT-Projekt. „Anwender denken häufig, ich suche mir ein Produkt aus und dann läuft es“, sagt Gunnar Zeisler von Anaxco. Das funktioniert nicht. Mit einer neuen IT-Lösung müssen Unternehmen immer ihre Prozesse anpassen. „Wir mussten alte Zöpfe abschneiden“, sagt Lorenz. „Das war nicht ganz einfach. Der Mensch bleibt ja gerne auf alten Pfaden.“ Der Geschäftsführer musste die gesamte Mannschaft mit ins Boot holen. Schmidt-Gevelsberg hat den Plan verfolgt, diesen Wandel zusammen mit der Belegschaft anzugehen. Die einzelnen Abteilungen haben Ideen formuliert, wie die Abläufe im Unternehmen künftig aussehen sollen. „Da haben wir uns teilweise in Frühstücksrunden in meinem Büro zusammengesetzt, Brötchen gegessen und diskutiert“, sagt Lorenz. In der lockeren Atmosphäre sei es für die Mitarbeiter einfacher gewesen, sich zu artikulieren. Auch wenn es dort manchmal heiß her ging. Das nicht alles glatt läuft, ist normal. Im Ablauf solcher Projekte gibt es häufig die Situation, dass sich Entwickler und Anwender nicht einig sind, ob nun der Kunde seine Prozesse ändert oder der Anbieter die Software anpasst. „Das kann Zeit kosten“, sagt Zeisler von Anaxco. Das war auch bei Schmidt-Gevelsberg der Fall, vor allem dann, wenn Mitarbeiter ihre Prozesse nachträglich anpassen mussten. „Das hat uns nach hinten geworfen“, sagt Zeisler. „Dadurch hatten wir einen gefühlten Zeitverlust von etwa sechs Monaten.“ Damit daraus nicht doch eine Nahtoderfahrung wurde oder das Projekt gar beerdigt werden musste, hat die Schwelmer Spedition sich noch rechtzeitig Hilfe von Logistikberater Apari geholt. Neutraler Dolmetscher hilft „Fachleute und IT-ler sprechen oft nicht die gleiche Sprache. Da spielen wir dann den Übersetzer“, erklärt Apari-Geschäftsführer Hoppe. Die Mitarbeiter von Schmidt-Gevelsberg kennen sich im Transportwesen gut aus und die von Anaxco in IT-Fragen. Beide Seiten waren in ihrem Tagesgeschäft so gefangen, dass es schwer war, sich in eine neutrale Position zu versetzen. „Bei Alpha-Tieren, die ja meist in Führungspositionen sitzen, herrschen verschiedene Meinungen“, sagt Lorenz. Apari konnte dann als neutrale Instanz Rudelkämpfe verhindern. Und die Beraterfirma hat dafür gesorgt, dass Schmidt-Gevelsberg einen Projektleiter benennt, der das Projektmanagement übernimmt. Im besten Fall kommt der aus dem eigenen Haus. „Dann hat er Stallgeruch“, wie Hoppe sagt. Das hilft nicht nur, die Mitarbeiter abzuholen, sondern hat auch den Vorteil, dass das Know-how im Unternehmen bleibt. Diesen Projektleiter hat Apari gecoacht. Vor allem was das Testen des neuen Systems angeht. Neben dem Projektmanagement sei das ein wichtiger Punkt, den die Anwender gerne unterschätzen, sagt Berater Hoppe. Die Mitarbeiter von Schmidt-Gevelsberg waren zuerst irritiert und haben nicht verstanden, warum sie das selbst testen sollen und das nicht Anaxco übernimmt. Sie wollten eine fehlerfreie Software, die funktioniert. Es bringt aber nichts, wenn das der Entwickler testet. Der kennt sich mit dem Tagesgeschäft des Anwenders nicht aus. So haben die Anwender selbst Hunderte Testfälle entworfen, die typische Abläufe im Betrieb darstellen. Vom Modultest, wo die Anwender nur einen Schritt des Prozesses, wie den Tagespreis anzulegen, simulierten, über Integrationstests, wo sie den gesamten Ablauf von der Tagespreisauskunft bis zur Abrechnung durchspielten. Abschließend führte das Projektteam einen Performancetest durch: Die Mitarbeiter fütterten die Datenbank mit Aufträgen der letzten Jahre, um zu prüfen, ob das System auch mit großen Datenmengen flüssig arbeitet. Nicht nur testen, systematisch testen ist wichtig. „Sonst kann man mit dem Go-Live unliebsame Überraschungen erleben“, so Berater Hoppe. Das Testverfahren bei Schmidt-Gevelsberg hat sich bewährt: Die Anzahl und Schwere der Fehler sei viel niedriger gewesen als in ähnlichen Projekten. Drei lachende Gesichter So gab es bei Schmidt-Gevelsberg keine bösen Überraschungen, als die neue Software in den Echtbetrieb ging. „Als das System lief, hat mir der Projektleiter eine SMS geschickt: drei lachende Gesichter“, sagt Hoppe. Vorbei ist die Arbeit damit aber nicht: Zwar ist das Einführungsprojekt am 31. Januar 2014 zu Ende gegangen, nun gilt es, in der Situation des Regelbetriebs noch Kleinigkeiten auszubessern und Prozesse weiterhin voranzutreiben. Denn nur, wenn man eine Software nachhaltig pflegt und überarbeitet, ist sichergestellt, dass ihre Zeit nicht bald wieder abläuft. ❙❚■ Katharina Spirkl Am Markt gab es kein passendes Produkt. Deshalb entwickelte Schmidt-Gevelsberg ein eigenes „Die Umstellung auf ein neues System kann schnell zur Nahtoderfahrung werden“ Rolf Lorenz, Geschäftsführer Schmidt-Gevelsberg Typischer Zeitplan zur Einführung eines Transport-Management-Systems Schulung der Mitarbeiter (Prozesse/TMS) Lastenheft und Ausschreibung Definition der Soll-Abläufe/Prozesse Definition der Testfälle und Modul-Test Integrationstest Vorbereitung Go-Live ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Pflichtenheft: Anpass-ungen/Erweiterungen TMS: Anpassungen/Erweiterungen Integrationstest Performance/Lasttest, Datenübernahme Aufbau Produktionsumgebung Spediteur Monate TMS Anbieter

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