Knoten zwischen Ost und West

Was 1989 aus über 40 Jahren Kommunismus hervorging, verzeichnet seit 27 Jahren kontinuierliches Wirtschaftswachstum. Polen ist damit die einzige moderne Volkswirtschaft neben Australien, die das jemals geschafft hat. Jetzt blickt das deutsche Nachbarland wieder gen Osten: Mitte Juni fand erstmals die C-Level-Konferenz "Poland & CEE: Co-Building the Belt & Road" in Warschau statt. Zwei Tage lang diskutierten Fachleute, ob und wie Polen sowie die gesamte mittel- und osteuropäische Region (engl.: "Central Eastern Europe", CEE) von der "Belt & Road Initiative" (BRI) profitieren können. Die Seidenstraßeninitiative hat Chinas Präsident Xi Jinping vor mehr als fünf Jahren ins Leben gerufen. Ein Investitionsprogramm von 900 Milliarden US-Dollar sieht vor, dass die Chinesen Tausende Kilometer Eisenbahnstrecken und ein Portfolio von Häfen in ganz Europa anhäufen. Für Wolfgang Lehmacher, bis vor Kurzem Leiter Supply Chain & Transport Industries beim Weltwirtschaftsforum, kann gerade die CEE-Region von den wirtschaftlichen Impulsen profitieren, die Belt & Road bietet. Kooperationen über Grenzen hinweg "Voraussetzung dafür ist, dass die Nationen sich zusammenschließen und sich als eine Reihe gut gestalteter, eng verbundener Drehkreuze auf der Leinwand des größten Gebietsentwicklungsprojekts aller Zeiten etablieren", betonte Lehmacher in Warschau. "Es ist höchste Zeit, dass Polen und CEE als Schlüsselregion Asien mit Europa verbinden, um die Vorteile der zukünftigen Infrastruktur- und Geschäftsentwicklung zu nutzen", glaubt auch Logistikexperte Frank Schuhholz. Er hat die vom englischsprachigen Medienhaus "Poland Today" veranstaltete Tagung initiiert und zwei Jahre lang vorbereitet. Mit Erfolg: Zu der Konferenz in der polnischen Hauptstadt kamen Teilnehmer aus Logistik und Transport, Infrastruktur und Finanzierung nicht nur aus der CEE-Region, sondern auch aus Asien und Westeuropa. Die "Blaue Banane" und China Gemeinsam diskutierten sie, wie der Korridor zwischen China und der "Blauen Banane", dem europäischen Großraum zwischen Irischer See und Mittelmeer, künftig aussehen könnte und wie lokale und internationale Unternehmen und Institutionen dazu beitragen können. Ihre Beziehungen zu Asien intensivieren will die Europäische Union (EU) beispielsweise mit ihrem neuen EU-Rahmen für die "EU-Asien-Konnektivität". Während des jüngsten 16+1-Gipfels in Dubrovnik wurde außerdem mit Griechenland ein neuer Mitgliedstaat zu einer von China geführten Initiative eingeladen, die 2012 mit dem Ziel gegründet wurde, die Geschäfts- und Investitionsbeziehungen zwischen dem Reich der Mitte und den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas zu fördern. Allein in Griechenland haben die Chinesen seit 2009 über fünf Milliarden Euro investiert. Sie sind Haupteigentümer des griechischen Hafens Piräus. Von Piräus in die baltischen Staaten "Dass Griechenland nun zum Klub 17+1 gehört, lässt auf weitere Investitionen für den Süd-Nord-Korridor von Piräus in die baltischen Staaten hoffen", sagte Patrycja Pendrakowska, Präsidentin des Boym-Instituts in Warschau. Die CEE-Region bestehe zwar hauptsächlich aus Binnenstaaten und könne in dieser Hinsicht nicht mit Ländern mit maritimen Strukturen konkurrieren. Durch ihre zentrale Lage in Europa könne sie künftig jedoch eine wichtige Rolle beim Landverkehr spielen. Damit Polen, die Slowakei, Ungarn und andere CEE-Länder mit bestehenden westeuropäischen Logistik-Hotspots mithalten können, fehlen aber noch die passenden Lieferketten - und zwar in beide Richtungen. Derzeit kennzeichnet Verbindungen zwischen Polen und Asien aber ein Ungleichgewicht: Volle Container kommen aus China, fast leere rollen oder fliegen zurück. Amazon etwa holt einen Großteil seiner Ware täglich per Luftfracht aus Asien nach Warschau, weil Schiffe zu langsam sind - zurück fliegen aber deutlich weniger Güter, berichtete Michal Grochowski, Geschäftsführer der polnischen Frachtfluggesellschaft LOT Cargo. Gerade für den E-Commerce sei eine umfassende Strategie wichtig, betonte Supply-Chain-Experte Lehmacher. Nicht zu vergessen seien dabei auch neue Technologien wie der 3-D-Druck, ergänzte Carsten Pottharst, Deutschlandchef des Bahnfracht-Dienstleisters InterRail Europe, der im euroasiatischen Raum und entlang der Neuen Seidenstraße operiert. Für möglichst hohe Verbraucherreichweiten potenzieller neuer Distributionszentren sind derzeit gleich mehrere Mega-Infrastrukturprojekte geplant. So will der Betreiber des Zentralflughafens Warschau CPK nicht nur einen großen neuen Airport bauen, sondern auch das gesamte Passagier- und Frachtschienensystem des Landes verändern, berichtete Piotr Malepszak, Präsident des Verwaltungsrates von CPK, bei der Konferenz. Ebenfalls die Wirtschaft in der Region ankurbeln soll das Projekt "Finest Bay Area", das Peter Vesterbacka, Mitbegründer von FinEstBay Area Development aus Finnland, vorstellte. Das Ziel: Der mit 103 Kilometern längste Unterwasserbahntunnel der Welt soll Skandinavien ab 2025 mit der CEE-Region verbinden und so als "Herz Eurasiens" eine weitere Lücke im BRI schließen. Schließlich sei Helsinki der nächste Nachbar Chinas, Indiens, Japans und Koreas in Europa, so Vesterbacka. Denkbar ist perspektivisch auch eine weitere Anbindung bis hin nach Nordamerika und über den Atlantik zum Pazifischen Ozean über die Nordwestpassage, die per Schiff infolge des Klimawandels immer länger befahrbar ist, sowie an das finnisch-norwegische Bahnprojekt "Arctic Railway" für weitere Transportvolumina über die Arktis, das ab den 2030er-Jahren in Betrieb gehen soll. Künstliche Insel für kreative Köpfe Angedacht ist im FinEstBay-Projekt zudem eine künstliche Insel auf halber Tunnelstrecke samt Unicampus, auf der künftig 15.000 junge, kreative Talente aus aller Herren Länder leben, studieren und arbeiten sollen - quasi das "Silicon Valley" der Ostsee. Versorgt wird die neu entstehende Metropolregion zwischen Helsinki und Tallinn unter anderem mithilfe "smarter" Container und Lastenräder, so lautet zumindest die Vision. Eine Tunnelfahrt von Flughafen zu Flughafen der beiden Städte soll demnach gerade einmal 20 Minuten dauern, gegenüber aktuell zwei Stunden per Fähre. In der Umgebung der beiden Airports sollen ebenfalls autofreie "Smart Cities" für je 15.000 Einwohner entstehen, was für Zuzug auch aus dem asiatischen Raum sorgen soll. Investoren, unter anderem aus China und Dubai, sowie politische Unterstützer für den 15 Milliarden Euro teuren zweiröhrigen Eisenbahntunnel hat der Start-up-Guru Vesterbacka schon an Land gezogen. Der auf zwei Jahre geschätzte Bau hat zwar noch nicht begonnen, doch auf der Website des Unternehmens werden bereits Fahrtickets zum Kauf angeboten. "Wie schwer kann es schon sein, einen Tunnel zu bauen?", fragte Vesterbacka die Zuhörer in Warschau. Herausforderungen im Tagesgeschäft Neben derlei futuristischen Ideen spielen bei der Gestaltung der BRI aber auch ganz profane Alltagsfragen eine Rolle, die gerade für Logistiker nicht zu unterschätzen sind: Etwa, wie Zoll- und Grenzkontrollen entlang der Strecke die Preisgestaltung beeinflussen werden oder welche Anreize und Subventionen für die Verlagerung von Verkehren zwischen See-, Schienen- und Luftfracht nötig sind. "Um attraktive Preise anbieten zu können, müssen wir vor allem die leeren Container füllen, die momentan von Europa nach China zurückfließen", erinnerte Andrzej Siess, Berater des Vorstands von Raben Management Services aus Robakowo bei Poznan, an das Kernproblem. Chancen und Risiken von Investitionen Zu guter Letzt ging es im Panel "Finanzierung der BRI" auch darum, wie nachhaltig grenzüberschreitende Investitionen im Rahmen der BRI-Initiative sind. Denn nicht nur die Mehrwertsteuersätze variieren von Land zu Land, sondern auch die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen. Fest steht aber schon heute: Alleine werden selbst die Chinesen den enormen Kapitalbedarf der BRI nicht stemmen können, waren sich die Experten in Warschau einig. Um in Polen weiter Ideen dazu auszutauschen, ist eine Fortsetzung der Konferenz geplant. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Osteuropa" www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Die Chinesen pumpen mit ihrer "Belt & Road Initiative" (BRI) Gelder in Milliardenhöhe in die Infrastruktur Südeuropas und der Mittelmeerregion. Bei einer neuen Konferenz in Polen stand im Fokus, wie auch Mittel- und Osteuropa profitieren können. 27 Jahre kontinuierliches Wirtschaftswachstum am Stück kann Polen vorweisen.

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